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Mittwoch, 27. März 2019

Verlogene Tageschau




Gestern kamen sie wieder zu Hauf, die Liebesgrüße aus Gaza. Ganze 60 Raketen an der Zahl sorgten dafür, dass die Einwohner im Süden von Israel eine weitere Nacht in ihren Bunkern verbringen mussten. Ein Haus in Sderot erlitt einen direkten Treffer. Verletzt wurde dabei zum Glück niemand. Wären die Bewohner um einige Sekunden langsamer gewesen und nicht rechtzeitig in den Bunker gekommen, hätte man heute im ganzen Land um sie trauern müssen.
Nur einen Tag zuvor traf eine iranische Fajr-Rakete ein Haus bei Tel Aviv. Dabei wurden sieben Menschen verletzt, darunter zwei Kinder.
Dieses Ereignis nimmt Frau Susanne Knaul zum Anlass, in der taz einen Artikel zu veröffentlichen, in welchem sie klar und deutlich darauf hinweist, dass der Raketenbeschuss auf Tel Aviv keine Reaktion auf Israel sei, sondern »ein durchsichtiger Versuch der Hamas, von ihren innenpolitischen Problemen abzulenken«, nämlich den massiven Demonstrationen der Bevölkerung von Gaza gegen die Hamas und den steigenden Unmut, der sich nicht gegen Israel sondern die eigene Regierung richtet. Ein guter Ansatz von Frau Knaur.
Beschämend, man will fast sagen widerlich, ist allerdings folgender Textteil:
Mit den Raketen auf die grenznahen israelischen Ortschaften kann man sich arrangieren. Öffentliche Gebäude sind sicher konstruiert, die Bevölkerung ist geschützt, erhält Steuervergünstigungen und ist die seit Jahren aufheulenden Sirenen gewohnt. Die palästinensischen Attacken auf Tel Aviv treffen dagegen das Nervenzentrum des Landes, und sie treffen ahnungslose schlafende Familien.
Susanne Knaul, taz
Es mag ja sein, dass Frau Knaul sich mit den Raketen auf den Süden Israels arrangieren kann, aber was sagen die Menschen, die es betrifft? Ich habe mit einem davon gesprochen und nachgefragt.
Genauer gesagt, mit Aya, meiner Cousine, gerade im siebten Monat schwanger. Sie ist 38 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern, zehn und sieben Jahre alt, im Kibbuz Nir Yitzhak, einige Kilometer entfernt von der Grenze zum Gazastreifen. Aya stammt aus Rishon LeZion, ihr Mann Erez aus Haifa im Norden. Vor ihrem Umzug in den Kibbuz lebten sie in Rechovot, etwa 30 Kilometer südlich von Tel Aviv, in einer großen und hellen Wohnung, finanziell gut gesichert.
Warum also der Umzug in die Nähe von Gaza?
Aya erzählt, dass sie das Stadtleben für sich und ihre Kinder nicht wollten. Sie wollten ein gutes Umfeld für die Kinder, eine Gemeinschaft, in der man die guten wie auch die schlechten Zeiten zusammen erlebt und durchsteht. Eine Gemeinschaft, die die Kinder in das Leben der Erwachsenen integriert.
Sie berichtet von einem Unfall, den ihr Mann hatte, und noch ehe sie überhaupt davon erfahren hatte, standen die Nachbarn schon vor ihrer Tür, die ihr die Kinder abnahmen, schon mit dem Krankenhaus gesprochen und ihr alles abgenommen hatten, damit sie zu Erez ins Krankenhaus fahren konnte.
Kibbuz Nir Itzhak hat ein ausgezeichnetes Lehr- und Erziehungsprogramm, das über die Stunden in den Unterrichtsräumen hinausgeht. Das Leben dort ist auf die Liebe zu Mensch und Natur ausgerichtet. Kinder werden angehalten, in der Früh aufzustehen um noch vor der Schule bei jedem Wetter zunächst die Tiere im Kibbuz zu versorgen. Dadurch werden den Kindern Werte vermittelt wie Pflichtbewusstsein und Empathie für Mensch und Tier.
Die Kinder lernen auf natürliche Weise über den Kreislauf des Lebens, von Verantwortung für sich und andere, darüber, der Gesellschaft etwas zurückzugeben und mehr. Sie werden angeregt, Fragen zu stellen und die Antworten, die sie erhalten, sind niemals abschließend, sondern lassen Raum für Interpretation und weitere Fragen.
Während sie erzählt, kann ich am anderen Ende der Leitung beinah das breite Lächeln auf ihrem Gesicht sehen. Und so erklärt sie mir weiter, dass die Kinder im Kibbuz dazu erzogen werden, gute Menschen zu sein, solche, die verstehen, dass es auch auf der anderen Seite des Zauns Kinder gibt, und dass diese sich, wenn es draußen knallt und kracht, ebenso fürchten wie sie selbst. Damit sie das bei all ihrer Angst nicht vergessen.
Die Kinder im Kibbuz werden dazu erzogen, den Frieden zu suchen und so wird es ihnen zu Hause wie auch im gesamten Kibbuz vorgelebt.
»Du beschreibst das Leben fast wie ein Paradies«, sage ich zu ihr. Sie lacht. Aber dann wird sie nachdenklich. Laut Aya sind 90% des Lebens dort tatsächlich paradiesisch. Aber es gibt diese verdammten 10% der Hölle. Diese Hölle bricht innerhalb von Sekunden los und kann dann innerhalb weniger Minuten wieder vergehen.
Oder es dauert Stunden. Oder Tage. Man weiß es vorher nicht.
Trotz dieser immerzu drohenden Hölle lieben die Kinder das Leben im Kibbuz. Bislang hatten sie immer verweigert, in Zeiten von dauerhaftem Beschuss zu den Großeltern zu fahren. Wenn draußen die Sirenen heulen und sie zusammen im Bunker sitzen, erklären die Eltern den Kindern, dass sie wenigstens alle zusammen sind und sie den Kindern immer geben werden, was sie brauchen. Dass sie zusammen auf bessere Zeiten hoffen. Alle Eltern dort sprechen so zu ihren Kindern.
Ayas Kinder wissen, dass die Familie den Kibbuz auch wieder verlassen kann, wenn sie dieses Leben nicht mehr möchten. Aber die Kinder wollen bleiben. Sie wollen bei ihren Freunden bleiben, bei den Tieren, bei ihrem Schwimmbad. Sie wollen den Zusammenhalt der Gemeinschaft, die gemeinsamen Feiertage, die Natur und die gute Luft, die Schule, die sie lieben und ja, auch die Momente der Stille. Dann, wenn die Sirenen nicht mehr heulen. Dann, wenn sie wieder raus dürfen um zu nachzusehen, wie es den Pferden geht.
Der Kibbuz hat einen Stall mit Therapiepferden
Für die Kinder gehören sie einfach nur zum Kibbuz. Aber er ist ein integraler Bestandteil des dortigen Lehrprogramms. Alle Kinder, die dort leben, sind mehrfach in der Woche dort. Jede Jahrgangsstufe übernimmt an einem Tag in der Woche Aufgaben. Je nach Alter werden die Tiere versorgt, die Boxen gemistet, die Pferde gefüttert und getränkt, geduscht und gestriegelt. Die Älteren unter ihnen bekommen Reitunterricht und weisen die Jüngeren in ihre Aufgaben ein. So entsteht ein enger Zusammenhalt.
Ohne dass die Kinder es merken, tragen diese Pferde einen immensen therapeutischen Beitrag zu ihrem Leben bei. Ayas Sohn hat Schlafstörungen. Die kleine Tochter Konzentrationsschwierigkeiten. Viele Kinder im Kibbuz leiden unter diversen Störungen. Bei aller Liebe zum Leben im Kibbuz, die ständige Bedrohung hinterlässt Spuren.
Gerade der Stall macht Aya und dem Kibbuz dieser Tage große Sorgen. Weil die Menschen aus der Umgebung seit der Bedrohung durch Feuer nicht mehr so tief in den Süden fahren, sind etliche der Reitstunden ausgefallen. Die Kosten für Wasser steigen, Heu für die Pferde ist verbrannt und muss neu beschafft und bezahlt werden.
Gestern kamen sie wieder zu Hauf, die Liebesgrüße aus Gaza. Ganze 60 Raketen an der Zahl sorgten dafür, dass die Einwohner im Süden von Israel eine weitere Nacht in ihren Bunkern verbringen mussten. Ein Haus in Sderot erlitt einen direkten Treffer. Verletzt wurde dabei zum Glück niemand. Wären die Bewohner um einige Sekunden langsamer gewesen und nicht rechtzeitig in den Bunker gekommen, hätte man heute im ganzen Land um sie trauern müssen.
Nur einen Tag zuvor traf eine iranische Fajr-Rakete ein Haus bei Tel Aviv. Dabei wurden sieben Menschen verletzt, darunter zwei Kinder.
Dieses Ereignis nimmt Frau Susanne Knaul zum Anlass, in der taz einen Artikel zu veröffentlichen, in welchem sie klar und deutlich darauf hinweist, dass der Raketenbeschuss auf Tel Aviv keine Reaktion auf Israel sei, sondern »ein durchsichtiger Versuch der Hamas, von ihren innenpolitischen Problemen abzulenken«, nämlich den massiven Demonstrationen der Bevölkerung von Gaza gegen die Hamas und den steigenden Unmut, der sich nicht gegen Israel sondern die eigene Regierung richtet. Ein guter Ansatz von Frau Knaur.
Beschämend, man will fast sagen widerlich, ist allerdings folgender Textteil:
Mit den Raketen auf die grenznahen israelischen Ortschaften kann man sich arrangieren. Öffentliche Gebäude sind sicher konstruiert, die Bevölkerung ist geschützt, erhält Steuervergünstigungen und ist die seit Jahren aufheulenden Sirenen gewohnt. Die palästinensischen Attacken auf Tel Aviv treffen dagegen das Nervenzentrum des Landes, und sie treffen ahnungslose schlafende Familien.
Susanne Knaul, taz
Es mag ja sein, dass Frau Knaul sich mit den Raketen auf den Süden Israels arrangieren kann, aber was sagen die Menschen, die es betrifft? Ich habe mit einem davon gesprochen und nachgefragt.
Genauer gesagt, mit Aya, meiner Cousine, gerade im siebten Monat schwanger. Sie ist 38 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern, zehn und sieben Jahre alt, im Kibbuz Nir Yitzhak, einige Kilometer entfernt von der Grenze zum Gazastreifen. Aya stammt aus Rishon LeZion, ihr Mann Erez aus Haifa im Norden. Vor ihrem Umzug in den Kibbuz lebten sie in Rechovot, etwa 30 Kilometer südlich von Tel Aviv, in einer großen und hellen Wohnung, finanziell gut gesichert.
Warum also der Umzug in die Nähe von Gaza?
Aya erzählt, dass sie das Stadtleben für sich und ihre Kinder nicht wollten. Sie wollten ein gutes Umfeld für die Kinder, eine Gemeinschaft, in der man die guten wie auch die schlechten Zeiten zusammen erlebt und durchsteht. Eine Gemeinschaft, die die Kinder in das Leben der Erwachsenen integriert.
Sie berichtet von einem Unfall, den ihr Mann hatte, und noch ehe sie überhaupt davon erfahren hatte, standen die Nachbarn schon vor ihrer Tür, die ihr die Kinder abnahmen, schon mit dem Krankenhaus gesprochen und ihr alles abgenommen hatten, damit sie zu Erez ins Krankenhaus fahren konnte.
Kibbuz Nir Itzhak hat ein ausgezeichnetes Lehr- und Erziehungsprogramm, das über die Stunden in den Unterrichtsräumen hinausgeht. Das Leben dort ist auf die Liebe zu Mensch und Natur ausgerichtet. Kinder werden angehalten, in der Früh aufzustehen um noch vor der Schule bei jedem Wetter zunächst die Tiere im Kibbuz zu versorgen. Dadurch werden den Kindern Werte vermittelt wie Pflichtbewusstsein und Empathie für Mensch und Tier.
Die Kinder lernen auf natürliche Weise über den Kreislauf des Lebens, von Verantwortung für sich und andere, darüber, der Gesellschaft etwas zurückzugeben und mehr. Sie werden angeregt, Fragen zu stellen und die Antworten, die sie erhalten, sind niemals abschließend, sondern lassen Raum für Interpretation und weitere Fragen.
Während sie erzählt, kann ich am anderen Ende der Leitung beinah das breite Lächeln auf ihrem Gesicht sehen. Und so erklärt sie mir weiter, dass die Kinder im Kibbuz dazu erzogen werden, gute Menschen zu sein, solche, die verstehen, dass es auch auf der anderen Seite des Zauns Kinder gibt, und dass diese sich, wenn es draußen knallt und kracht, ebenso fürchten wie sie selbst. Damit sie das bei all ihrer Angst nicht vergessen.
Die Kinder im Kibbuz werden dazu erzogen, den Frieden zu suchen und so wird es ihnen zu Hause wie auch im gesamten Kibbuz vorgelebt.
»Du beschreibst das Leben fast wie ein Paradies«, sage ich zu ihr. Sie lacht. Aber dann wird sie nachdenklich. Laut Aya sind 90% des Lebens dort tatsächlich paradiesisch. Aber es gibt diese verdammten 10% der Hölle. Diese Hölle bricht innerhalb von Sekunden los und kann dann innerhalb weniger Minuten wieder vergehen.
Oder es dauert Stunden. Oder Tage. Man weiß es vorher nicht.
Trotz dieser immerzu drohenden Hölle lieben die Kinder das Leben im Kibbuz. Bislang hatten sie immer verweigert, in Zeiten von dauerhaftem Beschuss zu den Großeltern zu fahren. Wenn draußen die Sirenen heulen und sie zusammen im Bunker sitzen, erklären die Eltern den Kindern, dass sie wenigstens alle zusammen sind und sie den Kindern immer geben werden, was sie brauchen. Dass sie zusammen auf bessere Zeiten hoffen. Alle Eltern dort sprechen so zu ihren Kindern.
Ayas Kinder wissen, dass die Familie den Kibbuz auch wieder verlassen kann, wenn sie dieses Leben nicht mehr möchten. Aber die Kinder wollen bleiben. Sie wollen bei ihren Freunden bleiben, bei den Tieren, bei ihrem Schwimmbad. Sie wollen den Zusammenhalt der Gemeinschaft, die gemeinsamen Feiertage, die Natur und die gute Luft, die Schule, die sie lieben und ja, auch die Momente der Stille. Dann, wenn die Sirenen nicht mehr heulen. Dann, wenn sie wieder raus dürfen um zu nachzusehen, wie es den Pferden geht.
Der Kibbuz hat einen Stall mit Therapiepferden
Für die Kinder gehören sie einfach nur zum Kibbuz. Aber er ist ein integraler Bestandteil des dortigen Lehrprogramms. Alle Kinder, die dort leben, sind mehrfach in der Woche dort. Jede Jahrgangsstufe übernimmt an einem Tag in der Woche Aufgaben. Je nach Alter werden die Tiere versorgt, die Boxen gemistet, die Pferde gefüttert und getränkt, geduscht und gestriegelt. Die Älteren unter ihnen bekommen Reitunterricht und weisen die Jüngeren in ihre Aufgaben ein. So entsteht ein enger Zusammenhalt.
Ohne dass die Kinder es merken, tragen diese Pferde einen immensen therapeutischen Beitrag zu ihrem Leben bei. Ayas Sohn hat Schlafstörungen. Die kleine Tochter Konzentrationsschwierigkeiten. Viele Kinder im Kibbuz leiden unter diversen Störungen. Bei aller Liebe zum Leben im Kibbuz, die ständige Bedrohung hinterlässt Spuren.
Gerade der Stall macht Aya und dem Kibbuz dieser Tage große Sorgen. Weil die Menschen aus der Umgebung seit der Bedrohung durch Feuer nicht mehr so tief in den Süden fahren, sind etliche der Reitstunden ausgefallen. Die Kosten für Wasser steigen, Heu für die Pferde ist verbrannt und muss neu beschafft und bezahlt werden.   Alexandra Margalith


Hier eine hervorragende Analyse von Florian Markl.



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