Der Text könnte aus dem Parteiprogramm der AfD stammen: „Die Familie
ist die kleinste Zelle der Gesellschaft. Sie beruht auf der für das
Leben geschlossenen Ehe und auf den besonders engen Bindungen, die sich
aus den Gefühlsbeziehungen zwischen Mann und Frau und den Beziehungen
gegenseitiger Liebe, Achtung und gegenseitigen Vertrauens zwischen allen
Familienmitgliedern ergeben.“
Doch das Hohelied auf Ehe und Familie stammt aus dem
Familiengesetzbuch der DDR. Schon im nächsten Satz hieß es dort: „Die
gesellschaftlichen Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik
sind die feste Grundlage für die sozial gesicherte Existenz der
Familie.“ Die Wirklichkeit sah freilich anders aus: Die Scheidungsrate
der DDR war eine der höchsten der Welt. Und die meisten Kinder bekamen
ihre Eltern nur sehr selten zu Gesicht. Denn von klein auf mussten sie
zehn oder mehr Stunden in Krippen, Kindergärten oder Schule und Hort
verbringen.
Nach der Wiedervereinigung berichteten ostdeutsche Frauen, wie
schwierig es war, der Familie gerecht zu werden. Hauptgrund dafür war,
dass fast alle Frauen berufstätig waren – die meisten in Vollzeit, also
wöchentlich 43 ¾ Stunden. Nach Feierabend begann dann die „zweite
Schicht“: Kinder abholen, Einkaufen, Haushalt – im Durchschnitt weitere
47 Stunden pro Woche.
Vor allem das Einkaufen war in der Mangelwirtschaft der DDR eine
mühselige Angelegenheit. Hinzu kam die schlechte Ausstattung vieler
Wohnungen. In 65 Prozent aller Haushalte musste abends erst einmal der
Kohleofen in Gang gebracht werden. Und 18 Prozent hatten kein Bad. Die
Produktion der einzigen DDR-Spülmaschine wurde nach zwei Jahren wieder
eingestellt.
Der Wochentag einer Ostdeutschen sah deshalb häufig so aus, dass sie
ihre Kinder um 5 Uhr morgens weckte, um 6 Uhr in die Krippe oder den
Kindergarten brachte und anschließend bis 16 Uhr arbeitete. Danach
musste sie einkaufen, die Kinder wieder abholen, Abendbrot machen,
Wäsche waschen, den Nachwuchs ins Bett bringen und den Haushalt in
Ordnung bringen – bis sie selbst erschöpft ins Bett fiel.
Trotz dieser millionenfachen Erfahrung wird die Lage der Frauen in
der DDR in bestimmten politischen Kreisen vielfach verklärt. Auf der
Website der Heinrich-Böll-Stiftung findet sich zum Beispiel ein langer Beitrag
der Linken-Bundestagsabgeordneten Anke Domscheit-Berg, in dem die
Familienpolitik der SED unverblümt zur Nachahmung empfohlen wird.
Möglichst viele Kinder müssten in Krippen und Kitas untergebracht werden
– erst dann könnten Frauen sich selbst verwirklichen.
Dabei ging es der SED keineswegs um das Wohl der Frauen. Mit massivem
Druck wollte sie vielmehr erreichen, dass sich möglichst viele von
ihnen als Lohnarbeiterinnen verdingen. Denn in der DDR herrschte ein
notorischer Arbeitskräftemangel, für den vor allem die ineffiziente
Planwirtschaft und der aufgeblähte Partei- und Staatsapparat
verantwortlich waren.
Schon 1950 legte das “Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und
die Rechte der Frau” fest: „Durch die Eheschließung darf die Frau nicht
gehindert werden, einen Beruf auszuüben oder einer beruflichen
Ausbildung und ihrer gesellschaftlichen und politischen Fortbildung
nachzugehen; auch wenn hierdurch eine zeitweilige örtliche Trennung der
Eheleute bedingt wird.” Noch weitgehendere Regelungen enthielten das
Familiengesetzbuch von 1966 und das Arbeitsgesetzbuch von 1978.
Gleichzeitig propagierte die SED unablässig das Idealbild der
sozialistischen Frau, die als Traktorfahrerin, Maschinistin oder
Chemiefacharbeiterin „ihren Mann steht“. Auf diese Weise wurde die
Erwerbsbeteiligung von Frauen in der DDR auf 91,2 Prozent hochgetrieben –
die höchste Quote der Welt.
Erst der Geburtenknick durch die Anti-Baby-Pille veranlasste die SED
zu einer partiellen Kurskorrektur. Unter Parteichef Erich Honecker
sollten Frauen nun auch verstärkt dazu motiviert werden, Kinder zu
bekommen. Seit 1972 erhielten deshalb Neuverheiratete unter 26 Jahren
einen zinslosen Ehekredit von zuletzt 7.000 Mark. Diesen konnte man, wie
es in der DDR hieß, „abkindern“ – mit dem dritten Kind war der Kredit
getilgt. Mütter erhielten außerdem eine Geburtenhilfe in Höhe von
zuletzt 1.000 Mark, seit 1975 wurde ihnen zudem Kindergeld ausgezahlt.
1976 wurde dann das sogenannte Babyjahr eingeführt – eine bezahlte
Freistellung für alleinerziehende Mütter von zuletzt zwölf Monaten, die
später auf alle Mütter ausgedehnt wurde. Berufstätige Mütter genossen
zudem einen einjährigen Kündigungsschutz, einen Schwangerschaftsurlaub
von zuletzt 26 Wochen und eine bezahlte Freistellung, wenn das Kind
krank war. Bei drei, später zwei Kindern wurde ihre Wochenarbeitszeit
auf 40 Stunden reduziert, außerdem gab es drei zusätzliche Urlaubstage.
Den monatlichen „Haushaltstag“ für verheiratete Frauen – ursprünglich
eine Erfindung der Nationalsozialisten – konnten später auch
unverheiratete Mütter in Anspruch nehmen.
Am Ziel der Berufstätigkeit möglichst aller Mütter hielt die SED
dabei fest. Das Angebot an Kinderkrippen, Kindergärten und Schulhorten
wurde deshalb großflächig ausgebaut. Am Ende betrug der Versorgungsgrad
bei den Krippen 80,2 Prozent, bei den Kindergärten sogar 95,1 Prozent.
Für ein Essensgeld von täglich 1,40 Mark (Krippe) oder 35 Pfennig
(Kindergarten) wurden die Kinder von sechs bis 18 Uhr betreut.
Entsprechend viele Eltern nahmen das Angebot in Anspruch.
Diese Maßnahmen werden heute vielfach als Beleg ins Feld geführt,
dass die DDR der Bundesrepublik in puncto Gleichberechtigung der Frau
überlegen gewesen sei. Dabei wird vergessen, dass es für arbeitsfähige
Frauen (und Männer) eine auch strafrechtlich verankerte Pflicht zur
Arbeit gab. Paragraph 249 Absatz 1 des DDR-Strafgesetzbuches sah vor:
„Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche
Ordnung und Sicherheit beeinträchtigt, indem er sich aus Arbeitsscheu
einer geregelten Arbeit entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, wird mit
Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu
zwei Jahren bestraft.“ 1973 wurden deshalb rund 14.000 Menschen
verurteilt. Längere Phasen der Selbstfindung oder der Mutterschaft, wie
sie heute üblich sind, waren in der DDR praktisch unmöglich.
Unmöglich war es auch für junge Paare, das Zusammenleben erst einmal
auszuprobieren, bevor sie eine Familie gründeten. Nur wenn sie
heirateten und/oder ein Kind bekamen, hatten sie eine Chance, eine
Wohnung zu bekommen. Eigene vier Wände gab es in der DDR nämlich nur auf
Zuteilung. Das prominenteste Beispiel einer solchen Ehe ist Angela
Merkel, die mit 23 Jahren einen Kommilitonen heiratete – und sich bald
darauf wieder scheiden ließ. Den Namen ihres Kurzzeitmannes Ulrich
Merkel trägt sie immer noch.
Die meisten DDR-Bürger gingen deshalb bereits mit Anfang Zwanzig den
Bund fürs Leben ein und bekamen bald ihr erstes Kind. Doch viele dieser
Ehen gingen bald wieder zu Bruch – mit all den Folgen für die Kinder.
Die Scheidungsquote in der DDR lag zuletzt bei über 38 Prozent. Die
materiellen Anreize für Mütter konnten auch nicht verhindern, dass die
sogenannte Fertilitätsrate von 2,5 Kindern pro Frau (1965) auf nur noch
1,4 Kinder (1989) abfiel.
Ein wesentlicher Grund dafür war, dass Mutterschaft und
Berufstätigkeit eine enorme Doppelbelastung bedeuteten. Verantwortlich
dafür war nicht nur das Verhalten der Männer, sondern auch der
sozialistische Staat, der Kinder und Haushalt de facto als Frauensache
betrachtete. Nahezu alle familienpolitischen Vergünstigungen – vom
Haushaltstag bis zum Babyjahr – standen nämlich nur Frauen zu. Nicht
zufällig hieß das schulische Mitteilungsheft in der DDR „Mutti-Heft“.
Das Ungerechte daran war, dass Frauen – entgegen den gesetzlichen
Bestimmungen – obendrein meist deutlich weniger verdienten als Männer.
Aller Propaganda zum Trotz arbeiteten nämlich die meisten von ihnen in
frauentypischen Berufen, die auch im Sozialismus schlechter bezahlt
wurden. Da Teilzeitarbeit praktisch nur für Frauen genehmigt wurde,
betrugen die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern rund 30 Prozent
– gut acht Prozent mehr als heute. Auch bei den Renten machte (und
macht sich bis heute) diese Ungleichbehandlung bemerkbar.
Auch sonst konnte von Gleichberechtigung keine Rede sein. Trotz der
hohen Erwerbsbeteiligung von Frauen lag ihr Anteil in oberen
Leitungspositionen unter zehn Prozent, in Top-Führungspositionen sogar
unter fünf Prozent. Besonders offensichtlich war dies ausgerechnet bei
der SED, die die Gleichberechtigung so lauthals propagierte: Wie Anna
Kaminsky in dem Buch „Frauen in der DDR“
vorrechnet, waren nur 26 von 221 Mitgliedern des letzten
Zentralkomitees weiblich. Im Politbüro gab es sogar keine einzige Frau
mit Stimmrecht.
Auch die DDR-Regierung war reine Männersache – mit einer Ausnahme:
der Frau von Erich Honecker, die 26 Jahre lang „der“ Minister für
Volksbildung war. In der DDR wurde nämlich nicht gegendert. Selbst am
Frauentag hielten in der Regel Männer die großen Reden.
Leidtragende der DDR-Familienpolitik waren neben den Frauen vor allem
die Kinder. Die gängige Praxis, sie bereits kurz nach der Geburt für
neun oder zehn Stunden in eine Krippe zu geben, war für die Babys oft
eine traumatische Erfahrung, wie die Psychoanalytikerin Agathe Israel in
ihrem Buch „Krippen-Kinder in der DDR“
eindringlich beschreibt. Viele reagierten darauf mit psychosomatischen
Störungen. Auf individuelle Bedürfnisse wurde kaum Rücksicht genommen,
weil der Tagesablauf einem zentralen Plan zu folgen hatte – mit festen
Zeiten für die Fütterung, das „Töpfen“, das Schlafen, das Spielen und
das Spazierengehen.
Im Zentrum der sozialistischen Erziehung stand dabei die Einordnung
ins „Kinderkollektiv” und das Erlernen von Befehl und Gehorsam, mit
wachsendem Alter auch die politische Indoktrination. Insbesondere die
Sauberkeitserziehung war rigide. Strafen und Beschämung vor anderen
waren keine Seltenheit – etwa indem das Kleinkind mit der Windel ins
Gesicht geschlagen wurde. Die staatliche Betreuung bedeutete eine heute
kaum noch vorstellbare Entmündigung der Eltern in der Kindererziehung.
Am Ende trug die Familienpolitik der SED sogar mit zum Untergang der
DDR bei. Die hohen Sozialausgaben wurden nämlich nicht aus eigener Kraft
finanziert, sondern immer mehr durch Auslandskredite. Als Egon Krenz im
Oktober 1989 einen Kassensturz anordnete, stellte sich heraus, dass die
DDR kurz vor der Pleite stand. Der Chef der Zentralen Plankommission
prognostizierte: „Allein ein Stoppen der Verschuldung würde im Jahr 1990
eine Senkung des Lebensstandards um 25–30 Prozent erfordern und die DDR
unregierbar machen.“ Seine Worte sollten nur kurze Zeit später in
Erfüllung gehen. Hubertus Knabe
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