Ich habe schlicht die Kaffeetasse schlampig unter die Senseo
gestellt, weil ich in Gedanken und es erst 11 Uhr am Samstagvormittag
war, und da hat sie, als sie fast vollgelaufen war, das Übergewicht
bekommen und ist zuerst auf die Küchenarbeitsplatte und dann mit einem
lauten Klirren auf den Küchenfußboden gefallen. Überall Kaffee und
Porzellansplitter. Eine ziemliche Sauerei. Nicht schön. Der Schatz
steckt den Kopf aus der Badezimmertür: „Thilo? Ist was passiert?“ „Die
AfD hat meinen Kaffee umgeschmissen“, brülle ich zornig über mich selbst
zurück. Kurzes Schweigen. Dann der Schatz wieder: „Was hat die AfD
gemacht?“ „… meinen Kaffee umgeschmissen“, wiederhole ich mich, während
ich einen Putzlappen im fröhlichen Chaos unseres Putzschranks suche.
Ich höre, wie sich die Badezimmertüre schließt. Etwa eine Minute ist
Ruhe. Dann geht die Türe wieder auf und der Schatz steht in voller
Pracht und seinen Ausgehklamotten vor mir in der Küche. „Hast Du eben
gesagt, die AfD hat Deine Kaffeetasse umgeschmissen?“, fragt sie
ungläubig. „Ja, letztlich ist es die Schuld der AfD“, erkläre ich, jetzt
zum dritten Mal. Entweder ist sie schwerhörig oder etwas debil. Sie
guckt zumindest so. Dann verzieht der Schatz spöttisch die Mundwinkel:
„Die AfD! Hat Deinen Kaffee umgeschmissen! Soso!“
Ich seufze. Wenn ich etwas nicht leiden kann, dann ist es Spott
angesichts einer Notlage, in der ich mich durchaus befinde, wenn ich in
einer Schlafanzughose auf dem Boden mit einem Putzlappen knie. „Ja,
letztlich war es die AfD“, erwidere ich unfreundlich, „soll ich es mir
aufs T-Shirt drucken?“ Der Schatz, der keine Anstalten macht, mir zu
helfen, nimmt grinsend auf einem der Barhocker an unserem Küchentresen
Platz. „Das erklärst Du mir mal, wie sie das gemacht hat, die AfD“,
insistiert er. Ich stehe auf und wringe den Putzlappen in der Spüle aus.
Und erkläre es dem Schatz so langsam, wie es mir in meinem Ärger
möglich ist: „Das war so: Während Du ins Bad bist, bin ich auf den
Balkon, um zu rauchen. Dabei habe ich auf Twitter gestöbert. Und bin bei
Ralf Stegner – Du kennst ihn, das ist der Li-La-Launebär der SPD –
hängengeblieben. Und der schrieb sinngemäß, dass die AfD die Demokratie
abschaffen will und an allem schuld ist. Deswegen war ich in Gedanken,
was ich für eine Replik schreiben könnte, und deswegen habe ich die
Tasse nur so halb unter die Senseo gestellt, und als sie
vollgelaufen war, folgte ihr Weg durch das Gewicht des Kaffees der
rechtsextremen Schwerkraft, die in unserer Küche herrscht und nahm
zuerst ihre Roll- und dann ihre Flugbahn Richtung Erdmittelpunkt, was
sich als letztlich tödlich für das Material der Kaffeetasse und ihres
Inhalts herausstellte und mich sozusagen in die Knie gezwungen hat, um
die Scherben hier wieder aufzulesen. Ist das so schwer zu begreifen?“
Der Schatz schaut mich besorgt an, ich vermute, er vermutet, ich habe
mir das Corona-Virus eingefangen. „Ich habe mir kein Corona-Virus
eingefangen“, setze ich sicherheitshalber hinzu.
„Okay“, sagt der Schatz warm und mitfühlend, „aber wenn Du Dich doch
über Ralf Stegner geärgert hast, dann ist doch Ralf Stegner schuld und
nicht die AfD.“ Sie ist augenscheinlich nicht in der Lage, einfachste
Kausalketten zu verstehen. Aber der Schatz hat Glück, er hat ja mich, um
sie ihm zu erklären: „Das ist doch ziemlich simpel: Gäbe es die AfD
nicht und wäre sie nicht so hinterfotzig und gemein und würde FDPler
statt ihres eigenen Kandidaten wählen, dann hätte Ralf Stegner nicht
über sie tweeten können und dann hätte ich mich nicht geärgert und hätte
die Kaffeetasse nicht so nachlässig unter die Senseo gepackt
und dann wäre sie auch nicht kaputt gegangen. Ist das so schwer zu
begreifen?“ Ich gehe wieder in die Knie. Es gibt wenig ekelhaftere
Sachen, als braune Brühe mit Porzellanstückchen von einem Boden zu
wischen. Ich hasse es.
Der Schatz runzelt die Stirn. Ein sicheres Zeichen, dass er
nachdenkt. Oder verärgert ist. „Die AfD gibt es doch nur, weil sich die
anderen Parteien mehr nach links orientiert haben“, lässt er mich an
seiner wirren Gedankenwelt teilhaben, „im Grunde sind doch eigentlich
die CDU und die SPD an dieser Sauerei schuld.“ Gott, der Schatz ist so
süß, wenn er nachdenkt. „Das ist Blödsinn“, gebe ich meiner Herzdame
Hilfestellung, „wenn Du das so siehst, dann ist eigentlich Bismarck an
diesem Malheur schuld, weil er es nicht geschafft hat, das SPD-Verbot 1890
durch den Reichstag verlängen zu lassen. Oder Hitler ist schuld, weil
er den Zweiten Weltkrieg verloren hat. Oder die Alliierten sind schuld,
weil sie die SPD wieder als politische Partei zugelassen haben. Oder
Ralf Stegners Mutter ist schuld, weil sie ihn geboren hat …“ „Oder die
Mutter von Napoleon dem Dritten, weil der den deutsch-französischen Krieg verloren hat“, ergänzt der Schatz in seiner unbestechlichen Frauenlogik.
„Eben. Man muss also in der Kausalkette irgendwann einmal einen
Schlussstrich ziehen, sonst kommt man vom Hundertsten ins Tausendste“,
erläutere ich mit einem kurzen Schrei, weil ich mich auf eine kleine
Scherbe gekniet habe, „und gerade heute ist es wichtig, Haltung zu
zeigen. Und Namen und Anschrift derer zu nennen, die unsere Demokratie
gefährden, wenn nicht sogar ausnutzen, um ihre eigenen politischen Ziele
zu verfolgen. Mit Kaffeetassen fängt das an, und wo das hinführt,
wissen wir alle!“ Der Schatz schlägt sich vor die Stirne. „Oh verdammt,
ich wollte mich ja um halb Zwölf mit Iris treffen, das habe ich ja
vollkommen verpasst wegen Deiner blöden Kaffeetasse“, durchfährt es sie.
Sie schaut sich nach ihrem Handy um. „Eigentlich ja nicht wegen meiner
Kaffeetasse, sondern …?“, helfe ich ihr, „… wegen der AfD“, ergänzt der
Schatz brav. „Korrekt, jetzt hast Du es!“, lobe ich sie. Man muss das
auch einmal anerkennen.
Der Schatz hat sein Handy gefunden und ruft Iris an: „Du, ich komme
etwas später. Bitte warte auf mich. Die AfD hat mich aufgehalten!“ Genau
so ist es. „Nimm einen Schirm mit, es regnet“, empfehle ich. „Mache
ich! Wären die von der AfD nicht solche Klimaleugner, hätten wir schönes
Wetter“, bemerkt der Schatz zornig, bevor er sich hektisch fertig
kleidet und das Haus verlässt. Sie hat es endlich verstanden.
(Mehr zerschlagenes Porzellan des Autors unter www.politticker.de)
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