Stationen

Sonntag, 1. März 2020

Robusta oder arabica?

Ich habe schlicht die Kaffeetasse schlampig unter die Senseo gestellt, weil ich in Gedanken und es erst 11 Uhr am Samstagvormittag war, und da hat sie, als sie fast vollgelaufen war, das Übergewicht bekommen und ist zuerst auf die Küchenarbeitsplatte und dann mit einem lauten Klirren auf den Küchenfußboden gefallen. Überall Kaffee und Porzellansplitter. Eine ziemliche Sauerei. Nicht schön. Der Schatz steckt den Kopf aus der Badezimmertür: „Thilo? Ist was passiert?“ „Die AfD hat meinen Kaffee umgeschmissen“, brülle ich zornig über mich selbst zurück. Kurzes Schweigen. Dann der Schatz wieder: „Was hat die AfD gemacht?“ „… meinen Kaffee umgeschmissen“, wiederhole ich mich, während ich einen Putzlappen im fröhlichen Chaos unseres Putzschranks suche.
Ich höre, wie sich die Badezimmertüre schließt. Etwa eine Minute ist Ruhe. Dann geht die Türe wieder auf und der Schatz steht in voller Pracht und seinen Ausgehklamotten vor mir in der Küche. „Hast Du eben gesagt, die AfD hat Deine Kaffeetasse umgeschmissen?“, fragt sie ungläubig. „Ja, letztlich ist es die Schuld der AfD“, erkläre ich, jetzt zum dritten Mal. Entweder ist sie schwerhörig oder etwas debil. Sie guckt zumindest so. Dann verzieht der Schatz spöttisch die Mundwinkel: „Die AfD! Hat Deinen Kaffee umgeschmissen! Soso!“
Ich seufze. Wenn ich etwas nicht leiden kann, dann ist es Spott angesichts einer Notlage, in der ich mich durchaus befinde, wenn ich in einer Schlafanzughose auf dem Boden mit einem Putzlappen knie. „Ja, letztlich war es die AfD“, erwidere ich unfreundlich, „soll ich es mir aufs T-Shirt drucken?“ Der Schatz, der keine Anstalten macht, mir zu helfen, nimmt grinsend auf einem der Barhocker an unserem Küchentresen Platz. „Das erklärst Du mir mal, wie sie das gemacht hat, die AfD“, insistiert er. Ich stehe auf und wringe den Putzlappen in der Spüle aus.
Und erkläre es dem Schatz so langsam, wie es mir in meinem Ärger möglich ist: „Das war so: Während Du ins Bad bist, bin ich auf den Balkon, um zu rauchen. Dabei habe ich auf Twitter gestöbert. Und bin bei Ralf Stegner – Du kennst ihn, das ist der Li-La-Launebär der SPD – hängengeblieben. Und der schrieb sinngemäß, dass die AfD die Demokratie abschaffen will und an allem schuld ist. Deswegen war ich in Gedanken, was ich für eine Replik schreiben könnte, und deswegen habe ich die Tasse nur so halb unter die Senseo gestellt, und als sie vollgelaufen war, folgte ihr Weg durch das Gewicht des Kaffees der rechtsextremen Schwerkraft, die in unserer Küche herrscht und nahm zuerst ihre Roll- und dann ihre Flugbahn Richtung Erdmittelpunkt, was sich als letztlich tödlich für das Material der Kaffeetasse und ihres Inhalts herausstellte und mich sozusagen in die Knie gezwungen hat, um die Scherben hier wieder aufzulesen. Ist das so schwer zu begreifen?“ Der Schatz schaut mich besorgt an, ich vermute, er vermutet, ich habe mir das Corona-Virus eingefangen. „Ich habe mir kein Corona-Virus eingefangen“, setze ich sicherheitshalber hinzu.
„Okay“, sagt der Schatz warm und mitfühlend, „aber wenn Du Dich doch über Ralf Stegner geärgert hast, dann ist doch Ralf Stegner schuld und nicht die AfD.“ Sie ist augenscheinlich nicht in der Lage, einfachste Kausalketten zu verstehen. Aber der Schatz hat Glück, er hat ja mich, um sie ihm zu erklären: „Das ist doch ziemlich simpel: Gäbe es die AfD nicht und wäre sie nicht so hinterfotzig und gemein und würde FDPler statt ihres eigenen Kandidaten wählen, dann hätte Ralf Stegner nicht über sie tweeten können und dann hätte ich mich nicht geärgert und hätte die Kaffeetasse nicht so nachlässig unter die Senseo gepackt und dann wäre sie auch nicht kaputt gegangen. Ist das so schwer zu begreifen?“ Ich gehe wieder in die Knie. Es gibt wenig ekelhaftere Sachen, als braune Brühe mit Porzellanstückchen von einem Boden zu wischen. Ich hasse es.
Der Schatz runzelt die Stirn. Ein sicheres Zeichen, dass er nachdenkt. Oder verärgert ist. „Die AfD gibt es doch nur, weil sich die anderen Parteien mehr nach links orientiert haben“, lässt er mich an seiner wirren Gedankenwelt teilhaben, „im Grunde sind doch eigentlich die CDU und die SPD an dieser Sauerei schuld.“ Gott, der Schatz ist so süß, wenn er nachdenkt. „Das ist Blödsinn“, gebe ich meiner Herzdame Hilfestellung, „wenn Du das so siehst, dann ist eigentlich Bismarck an diesem Malheur schuld, weil er es nicht geschafft hat, das SPD-Verbot 1890 durch den Reichstag verlängen zu lassen. Oder Hitler ist schuld, weil er den Zweiten Weltkrieg verloren hat. Oder die Alliierten sind schuld, weil sie die SPD wieder als politische Partei zugelassen haben. Oder Ralf Stegners Mutter ist schuld, weil sie ihn geboren hat …“ „Oder die Mutter von Napoleon dem Dritten, weil der den deutsch-französischen Krieg verloren hat“, ergänzt der Schatz in seiner unbestechlichen Frauenlogik.
„Eben. Man muss also in der Kausalkette irgendwann einmal einen Schlussstrich ziehen, sonst kommt man vom Hundertsten ins Tausendste“, erläutere ich mit einem kurzen Schrei, weil ich mich auf eine kleine Scherbe gekniet habe, „und gerade heute ist es wichtig, Haltung zu zeigen. Und Namen und Anschrift derer zu nennen, die unsere Demokratie gefährden, wenn nicht sogar ausnutzen, um ihre eigenen politischen Ziele zu verfolgen. Mit Kaffeetassen fängt das an, und wo das hinführt, wissen wir alle!“ Der Schatz schlägt sich vor die Stirne. „Oh verdammt, ich wollte mich ja um halb Zwölf mit Iris treffen, das habe ich ja vollkommen verpasst wegen Deiner blöden Kaffeetasse“, durchfährt es sie. Sie schaut sich nach ihrem Handy um. „Eigentlich ja nicht wegen meiner Kaffeetasse, sondern …?“, helfe ich ihr, „… wegen der AfD“, ergänzt der Schatz brav. „Korrekt, jetzt hast Du es!“, lobe ich sie. Man muss das auch einmal anerkennen.
Der Schatz hat sein Handy gefunden und ruft Iris an: „Du, ich komme etwas später. Bitte warte auf mich. Die AfD hat mich aufgehalten!“ Genau so ist es. „Nimm einen Schirm mit, es regnet“, empfehle ich. „Mache ich! Wären die von der AfD nicht solche Klimaleugner, hätten wir schönes Wetter“, bemerkt der Schatz zornig, bevor er sich hektisch fertig kleidet und das Haus verlässt. Sie hat es endlich verstanden.
   
(Mehr zerschlagenes Porzellan des Autors unter www.politticker.de)

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