Stationen

Montag, 6. Dezember 2021

Zeitgeist

Sönke Wortmanns Romandebüt Es gilt das gesprochene Wort ist über weiteste Strecken dermaßen gelungen, daß man es kaum glauben kann.

Was verbindet „man“ denn mit dem Filmregisseur und Produzenten Wortmann, Jahrgang 1959? Wohl: den totalen Mainstream. Er wurde 1994 mit der harmlosen Filmkomödie Der bewegte Mann berühmt, legte 1997 mit Das Superweib noch eins drauf und fuhr mit dem ernsthaft rührenden Volksstück Das Wunder von Bern (2003; es ging um die Fußballweltmeisterschaft 1954 und um das Drama der Kriegsheimkehrer) ordentlich Meriten ein.

Zugegeben hervorragend, schon mal gar nicht „mainstreamig“ und viel zu wenig beachtet war sein Film Der Campus (1998), eine Adaption des Romans aus der Feder des (so tät man heute sagen; Schwanitz ist längst tot) erzkonservativen Schriftstellers und Gelehrten Dietrich Schwanitz. Schwanitz/Wortmann hatten hier bereits früh das Monstrum der Political Correctness zur Kenntlichkeit entstellt.

Eben tourt Wortmanns „ähnlich gelagerter“ Film Contra durch die Kinos. Es geht auch hier um politische Korrektheit, und es ist seehr witzig. Man sollte ihn sich ansehen!

Bevor ich zu Wortmanns höchst erstaunlichem Roman komme, eine Vorbemerkung zu meiner „persönlichen Beziehung“ zu diesem „Bundesregisseur.“ (Wortmann ist Mitglied der GRÜNEN und gehörte zweimal der Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten an.)

Diese Beziehung begann 2006 und endete 2021. Ich war ihr einziger aktiver Teilhaber. Als meine (insgesamt sieben) Kinder noch klein waren, fanden wir uns in einer Datenbank für Statisten. Ich hatte uns dort angemeldet – wegen meines Interesses am Kunstprodukt Film (auch als Jugendliche verdingte ich mich gelegentlich als Komparsin), und weil ich als Vollzeitmutter gern für solche kleinen Abwechslungen zur Verfügung stand. Wir wurden manchmal gebucht; Kinder, zumal geduldige (Statisten müssen eine Menge aushalten, vor allem Zeit mitbringen!) sind immer gefragt.

Besonders in Erinnerung geblieben: Als ich und meine Töchter für den Film Dresden zu originalgetreuen 40er-Jahre-Bürgerinnen gekleidet und frisiert wurden.

Anno 2006 passierte ich mit meinen damals sechs Kindern das Casting zu Sönke Wortmanns Die Päpstin, der quasi vor unserer eigenen Haustür gedreht wurde. Zwei meiner Kinder sind in diesem (übrigens albernen) Film zu sehen, sekundenlang. Wir hatten eine paar Tage „am Set“ verbracht und waren eigentlich weitere Drehtermine gebucht. Die wurden jäh abgesagt.

Eine Freundin von mir fungierte damals als Kostümschneiderin. Sie berichtete mir, daß es ein wahres Drama um uns gegeben habe. Jemand in der Filmcrew habe aufgedeckt, daß es sich bei dieser „vielköpfigen Familie“ um „Rechte“ gehandelt habe. Es sei Panik ausgebrochen. Man mußte uns fernhalten!

Ich hatte dem Regisseur Sönke Wortmann damals daraufhin einen kurzen Brief geschrieben, der erwartbar unbeantwortet blieb.

15 Jahre später habe ich nun Wortmanns Buchverlag Ullstein (ich war dort selbst mal Autorin einer Anthologie) um ein Rezensionsexemplar des Debütromans gebeten. Ullstein ist/war einer der Verlage, der uns sonst umstandslos belieferte. Nun ereilte mich  aber eine kryptische Absage:

(…) Da wir jedoch das Buch von Sönke Wortmann in Ihrer Zeitschrift nicht transportiert sehen, möchten wir hiervon Abstand nehmen. Viele Grüße (…)

Soweit. Immerhin, danke, durfte ich das Werk ja noch kaufen. Bevor ich die Lektüre aufnahm, las ich mir vier, fünf aktuellere Wortmann-Interviews durch. Alle: lahm, dröge, medioker, uninspirierend, sehr BRD.

Warum wollte ich das Buch dann überhaupt lesen? Jemand hatte mir gesagt, der Romandebütant sei doch relativ „ausgebufft“, in Wahrheit eine „Kippfigur“, nur eben: „Ist doch klar, daß so Chargen wie Wortmann in Interviews Wert drauflegen, als Saubermann durchzukommen. Aber er ist halt schon ein Künstler, und zwar kein dummer, sondern in Wahrheit ein hellwacher Beobachter des Zeitgeistes.“

Nun denn! In diesem Roman laufen die Handlungsfäden die längste Zeit lose verbunden parallel: Wir schreiben ca. 2019, alles ist der Realität nachgezeichnet. Es gibt Trump, es ist gibt Mohammed VI. (den König von Marokko), und es gibt Anton Hofreiter. Daneben das fiktionale Personal.

Das besteht im Wesentlichen aus Cornelius von Schröder, einem hohen Beamten im diplomatischen Dienst in Marokko; aus Hans Behring, dem deutschen Außenminister – einem versierten Hochschullehrer, der flache Hierarchien schätzt und überhaupt ganz und gar auf der Höhe des Zeitgeists ist – und Franz-Josef Klenke, dem 33jährigen hochbegabten Redenschreiber des Außenministers. Er kommt eigentlich aus der Werbebranche.

Die weiblichen Nebenrollen werden wie folgt bespielt: Wir haben die coole und selbstironische Lesbierin Barbara Bachmann-Berk, die als Büroleiterin des Außenministers fungiert. Marysol, die chilenische (Noch-)Ehefrau des mutmaßlich rechten Verschwörungstheoretikers von Schröder, und Maria, die Gespielin Klenkes. Er ist für die Reden zuständig, sie hingegen ist stumm: selektiven Mutismus nennt man medizinisch ihre Angststörung.

Die ganze Geschichte ist so wunderbar authentisch erfunden, so dicht erzählt und so sehr voller subtiler Spitzen, daß man das Buch kaum weglegen mag! Eine unglaubliche Spiel- und Fabulierfreude liegt in diesem Erzählen. Da schadet es gar nicht, daß manche erzählerische Fährten im Nirwana enden.

Beispiel dafür: Es taucht immer wieder ein unglaublich eitler Romanautor namens Carsten Pollerhoff auf, der mit seinem aktuellen Roman Im Dunstkreis der Fische (schon das: so hübsch ausgedacht!) sinnlos durch die subventionierten Institutionen des Literaturbetriebs tourt. Pollerhoff spielt (wie Wortmann selbst es einst tat) in der „Autonama“, der deutschen Nationalmannschaft der Schriftsteller. Viel Spaß beim Raten, wer gemeint sein könnte. Zur eigentlichen Handlung steuert er nichts bei, eine farbenfrohe Zutat ist er allemal.

Klenke also ist der Redenschreiber. Er erledigt seinen Job mit äußerster Eloquenz. Er weiß etwa:

es war natürlich wesentlich heikler, eine Rede zu schreiben, die in Israel gehalten würde als beispielsweise in der Schweiz. Wenn der deutsche Außenminister in der Knesset sprach, mußte jede Silbe stimmen.

Klenke ist sehr firm im Thema „historische Reden“. Er kennt Dutzende in- und auswendig, und er weiß um ihr, bös´ möchte man sagen: manipulatorisches Potential. Wen gewinnt der populistische Redner wodurch wozu? Welche Floskeln ziehen, welche Geßlerhüte gilt es zu beachten?

Abgedruckt sind hier etliche seiner Kunstwerke. Besonders schön ist seine viereinhalbseitige Rede, die Außenminister Behring in der Prager Kirche St. Cyrill und Method hält. Dort hatten sich anno 1942 die beiden Widerstandskämpfer verschanzt, die zuvor das (letztlich tödliche) Attentat auf Reinhard Heydrich verübt hatten. Einem SS-Kommando gelang es nicht, die Kirche zu stürmen. Man flutete das Gebäude mit Hilfe der Feuerwehr und setzte Tränengas ein. Unter Absingen der Nationalhymne erschossen sich die Attentäter in der Krypta.

Das ist exakt der Stoff für eine Blut- und Tränen-Rede, wie sie zu diesem Außenminister paßt. Sie ist nicht nur an den tschechischen Kollegen und die „sehr geehrten Gäste“ gerichtet, sondern – logisch – auch an „Lukasz“, einen einfachen Mann aus dem Volk, den Behring „persönlich kennenlernen durfte“.

Behring/Klenke beschreibt, wie die beiden Außenminister vor „neun Wochen“ sich zu politischen Gesprächen in der Villa Borsig zusammensetzten. Es sei um die Eurokrise gegangen, um den syrischen Bürgerkrieg mit all den armen Flüchtlingen und schließlich um eine aktuelle Ausstellungseröffnung, die die deutsche Besetzung der Tschechoslowakei thematisierte.

Behring/Klenke:

Als wir darüber sprachen, sah Lukasz [wie der plötzlich in die Villa Borsig gelangt, bleibt natürlich offen –  aber es paßt fraglos gut ins Drama] mich an und sagte: ‘Weißt du, ich hatte eine Großcousine, die war verheiratet mit einem Schuster in einem Dorf namens Lidice. Sie alle wurden 1942 ermordet. Ich habe sie nie kennengelernt.‘ Lieber Lukasz, dieser Moment hat mich tief bewegt.

Es folgt, was folgen muß: Behring habe sich – dadurch veranlaßt – auf Suche begeben und ermittelt, daß auch sein Vater „in der Wehrmacht“ war:

Heute, lieber Lukasz, muss ich dir also antworten, und ich will es auch Ihnen allen nicht verheimlichen: (…) Mein Vater war unter den Tätern!

Es folgen: Narben, Vergangenheit, Wunden, niemals schweigen, ganz persönlich geprägt etc. pp. Wortmann malt den Duktus, die gängigen Floskeln zeitgenössisch-staatsmännischer Reden auf´s Allerschönste aus. Er weidet sich nahezu in der Zurschaustellung der Phraseologie – aber nie dröhnend, nie auf Stammtischniveau, sondern fein, sehr fein.

Der Autor hat sich offenkundig tief in die Recherchearbeit begeben. Er hat unter anderem die Botschaften in Südafrika und Marokko besucht und die protokollarischen Gepflogenheiten beobachtet. Eine höhere, dadurch kaum angreifbare Ironie ist in diesem Roman sehr häufig am Werk.

Ein diplomatischer Besuch in Mali etwa gerät so komisch, daß er jeder Beschreibung spottet. Das Flugzeug mit der deutschen Delegation verspätet sich durch afrikanische Lappalien:

Ein General der malischen Armee verlor die Nerven, gab ein Kommando und die militärische Ehre begann, obwohl die Gäste noch gar nicht da waren. Einundzwanzig Böllerschüsse wurden abgefeuert, was wiederum das Zeichen für die Militärkapelle war, die deutsche Nationalhymne zu spielen, die für die Delegation ungehört verklang.

Am Ende gibt es eine schrille Wendung, die sich vorsichtig angedeutet hatte. Die Personalie „Carsten von Schröder“ liest sich so, als hätte ein Lektor oder sonstiger Ratgeber dem Autoren irgendwann eingeflüstert, daß es „so“ nicht gehe. Daß man die unterschiedlichen Sichten (etwa auf die Massenmigrationsthematik) nicht so ambivalent in der Schwebe halten könne.

Jedenfalls wird Carsten Schröder etwa ab der Hälfte des Buches recht unversehens zum reinen Charakterschwein (vulgo: zum „Rechten“) ausbuchstabiert. Ein Typ, der auf den Anblick eines sterbenden Tiers mit einer Erektion reagiert und der am Ende selbst morden will. Mehr braucht es ja nicht, um einen Charakter zu desavouieren.

Das steht nun ziemlich verloren und eindimensional in dieser wunderbaren Geschichte – als wäre es nachträglich hineingepfercht worden, als notwendiger Kotau.

Für mich ist Es gilt das gesprochene Wort dennoch einer der besten, feinsinnigsten Romane des Jahres 2021.    Ellen Kositza



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.