Stationen

Donnerstag, 16. Juni 2022

Drei Mann in keinem Boot

Das Duo Mario Draghi und Emmanuel Macron droht, das deutsch-französische Tandem abzulösen. Der Trend war lange abzusehen. Dass Deutschlands Position in der EU erodiert, ist Merkels außenpolitisches Erbe.

Bereits seit letztem Jahr treibt eine doppelköpfige Chimäre ihr Unwesen in Europa. Es ist die Nachfolgekreatur von Merkozy. Hatten einst der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel als bekannteste Aushängeschilder der europäischen Politik gegolten, kündigen sich nunmehr tiefgreifende Veränderungen an. Das Duo aus dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron erlangte bereits letztes Jahr die Bezeichnung „Dracron“. Bereits im September des letzten Jahres verwendete der Spiegel den Terminus für das Duo aus den beiden größten romanischen Ländern. Focus und Welt übernahmen die Wortschöpfung nur wenige Tage später.

Anlass zur Sorge: Im Vakuum nach den Bundestagswahlen könnte die Stunde Italiens und Frankreichs schlagen, um das bis dahin tonangebende Tandem aus Paris und Berlin zu ersetzen.

Die Financial Times hatte zuvor ähnliche Töne angestimmt. Am Wochenende nahm die Deutsche Welle die Thematik auf und verwies darauf, dass der Begriff mittlerweile auch in den französischen und italienischen Medien kursiere. In Italien wiederum deutete der Libero den Beitrag der DW als Anzeichen, dass man in Berlin offenbar selbst um die eigene Stellung bange. Während die DW abwiegelt, dass die jetzige Erscheinung nicht das deutsch-französische Tandem ersetzen könne, sind Zweifel an dieser Stelle durchaus angebracht. Denn anders als die Medien suggerieren, datiert die machtpolitische Zeitenwende in der europäischen Außenpolitik nicht auf den Abtritt Merkels. Sie ist lange vorbereitet. Denn es war die Kanzlerin selbst, die den Stein ins Rollen brachte. Bereits der Finanz- und Eurokrise haftete der Widerspruch an, dass er Frankreich und Deutschland in die Verantwortung brachte, Paris und Berlin zusammenschweißte – obwohl beide Länder stark divergierende Interessen hatten.

Auf Sarkozy, der trotz seiner Schwächen Frankreich im europäischen Mächtekonzert eine wichtige Stimme gab, folgte François Hollande. Er war ein Glücksfall für die deutsche Position. Obwohl Frankreich weiterhin über starke Vernetzungen und einflussreiche Persönlichkeiten in Brüssel verfügte, erwies sich Hollande selbst als schwache Figur. Die Passivität Frankreichs wird erst aus der Retrospektive klar, sieht man die vielfachen Vorstöße seines Nachfolgers. Akzente setzte Hollande nur wenige.

Auch deswegen stand Europa in der Mitte der 2010er Jahre massiv im Zeichen der „ewigen Kanzlerin“. Es war ein Zeitfenster des kompletten Versagens. Merkel wollte mit der von ihr angestoßenen Energiewende auch ein europäisches Zeichen setzen; die heutige Brüsseler Klimapolitik ist vor allem eine deutsche Angelegenheit, repräsentiert durch Ursula von der Leyens Green Deal und dem anhaltenden Widerstand gegen die Kategorisierung von Atomkraftwerken als „grün“.

Die Migrationskrise 2015 riss Deutschland als „sein“ Thema an sich, statt den bedrängten Griechen und Ungarn Hilfe zu leisten und diese beim Grenzschutz nachhaltig zu unterstützen. Stattdessen erklärte Merkel das Problem zur Chefsache. Ergebnis: Deutschland als Magnet für Migrationsströme, zerbrochenes Tafelsilber mit EU-Partnern und das bis heute bestehende Bild eines Schlaraffenlandes, das die Schuld lieber nach Athen, Rom, Madrid oder Warschau abschiebt, statt die Pull-Faktoren auszuschalten, mit denen es die Beladenen und Bedrückten aus der ganzen Welt anzieht.

Die Bevormundung anderer EU-Staaten in der Causa sind bis heute unvergessen. Berlin glaubte, mit seiner moralisierenden Migrationspolitik die Herzen der Welt gewonnen zu haben – die Medien behaupten das bis heute –, während die Mehrzahl der Europäer schockiert über die Wankelmütigkeit und Willkür des Riesen im Herzen des Kontinents war.

Kausal verwoben damit ist die nächste von Merkel vollzogene Weichenstellung: nämlich der Brexit 2016, bei dem für viele Briten die deutsche Haltung und Politik 2015 ein Hintergrund war, die maßgeblich die EU-Politik in diesem Bereich mitbestimmte. Dass deutsche Medien und Politiker ebenfalls einen Anteil an der Missstimmung hatten, ist kein Geheimnis. Es wird für spätere Historiker noch ein Rätsel bleiben, wie die deutsche Bundesregierung sich jahrelang mit Milliardengeldern darum bemühte, das kleine Griechenland in der EU zu halten und dieses unter allen Umständen zu retten, sich aber einen Dreck um das bedeutende Albion scherte, das finanz- wie europapolitisch entscheidend war, um die deutsche Position in den Schlüsselbereichen weiterhin durchzusetzen.

Mit dem selbst verschuldeten Abschied der Briten aus der EU hatte Merkel den Scheitelstein für den Niedergang der deutschen und den Aufstieg der lateinischen Dominanz gesetzt. Mit der Verstärkung des romanischen Impulses und der Ausschaltung des angelsächsischen musste zwangsläufig auch die Mentalität wechseln. In der harten politischen Währung heißt das: Mehrheiten für die Schuldenunion, die Unumkehrbarkeit des weichen Euros und die Zentralisierung zu einem Bürokraten-Imperium. In den Jahren 2017 bis 2021 pellte sich lediglich das verschleiernde Gerüst ab, das Merkels Bauwerk verhüllte.

Dabei machte bereits das Jahr 1 nach dem Brexit klar, dass Deutschlands Bedeutung abnahm. Mit Macron kam ein dynamischer Präsident an die Macht, der sehr früh seine Ambitionen zeigte. Während Merkels Stimmenverlust in der Bundestagswahl und die lang anhaltende Koalitionssuche das Bild einer deutschen „lame duck“ verstärkten, forderte Macron einen europäischen Finanzminister. Dazu kam es zwar nicht; der darauffolgende Aachener Vertrag verdeutlichte jedoch, dass Frankreich nun wieder verstärkter eingriff, um die „europäische Integration“ voranzutreiben. Deutschland tat das auf europäischer Ebene, was die CDU seit Jahren hinsichtlich der SPD tat: Man kam den Forderungen entgegen, um den Hausfrieden zu wahren, schwächte das Endprodukt anders ab, deklarierte es um und verzögerte es etwas – am Ende blieb es jedoch immer umetikettierte Politik des Gegners.

Für Macron war die deutsche Karte zuerst die ergiebigere, weil 2017 in Italien eine Regierung aus der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega kam, die ebenfalls deutlich stärkere Akzente in Europa setzte und sich als Gegenpol zu Paris inszenierte. Aus europäischer Perspektive waren damit die Jahre 2017 bis 2019 schon französisch-italienisch gezeichnet, wenn auch eher als Gegner denn als Alliierte. Berlin rückte dafür in den letzten Jahren der Ära Merkel in den Hintergrund. Auch dem Ausland blieb der physische Verfall der Kanzlerin nicht verborgen.

Obwohl in Deutschland die reduktionistische Ansicht vorherrscht, finanzpolitische Erwägungen müssten Italien prinzipiell zu einem Verbündeten Frankreichs machen, herrscht nach wie vor eine aus vielen Gründen bedingte Rivalität – freundlicher gesagt: ein Konkurrenzwettbewerb – zwischen den beiden romanischen Nationen vor. Um nur eines der Beispiele zu nennen: In der Mittelmeerpolitik haben beide Länder divergierende Interessen. Rom beschuldigt Paris bis heute, mutwillig die Bombardierung Libyens vorangetrieben zu haben, was nicht nur zum Ende des italienischen Einflusses in Tripolis führte, sondern der Halbinsel bis heute einen regen Migrantenschub beschert. Für die „Populisten-Regierung“ saß der eigentliche Gegner nicht in Berlin, sondern in Paris, das bereits damals als dominante Kraft in Brüssel wahrgenommen wurde. Für Deutschland brachte die verschärfte Rivalität dagegen eine Verschnaufpause, die das Unvermeidliche jedoch nur hinauszögerte.

Die neue französisch-italienische Entente ist daher auf eine einzelne Personalie zurückzuführen. Mit der Regierung der nationalen Einheit hat Mario Draghi eine noch bedeutendere Schlüsselstellung als Giuseppe Conte vor ihm. Dass das Gesicht der EZB zusammen mit dem Investmentbanker Macron heute die EU anführt, ist eine Erfüllung der Geschichte. Hier wächst zusammen, was zusammengehört. Draghi kann als einer der Schöpfer der heutigen EU-Ordnung gelten, Macron als eines ihrer Geschöpfe. Es ist nicht nur davon auszugehen, dass beide das europäische Projekt effizienter denn je vorantreiben; es ist auch davon auszugehen, dass man aufgrund ihrer Herkunft größere Hoffnung in sie setzt als in Deutschland, das seit Jahren Initiativen in der europäischen Zusammenarbeit eher vermissen lässt. Dass Italien dieses Jahr zudem den OSZE-Vorsitz hat, wertet Italien als Partner auf.

Das Einzige, worauf die Gegner des neuen französisch-italienischen Tandems spekulieren können, ist die notorische Instabilität der Regierungen in Rom. Mit Draghi bietet Italien derzeit einen bestens vernetzten Regierungschef, der dazu Gewicht in internationalen Belangen besitzt. Doch Draghis Amtszeit läuft im Frühjahr 2023 aus – und die Chancen, dass er wiedergewählt bzw. kandidiert, erscheinen gering.

Sollte es jedoch der ambitionierten Giorgia Meloni von den Fratelli d’Italia gelingen, ihre derzeit starken Umfragewerte in Parlamentssitze umzuwandeln, und Matteo Salvini wie Silvio Berlusconi die benötigte Mehrheit beschaffen – ein Sieg des rechten Lagers konstatieren die Umfragen seit 2019 durchgehend, nur mit jeweils wechselnden Werten für die verschiedenen Parteien des Bündnisses –, würden sich allerdings für Berlin wie Paris ganz andere Probleme ergeben. Gegen die rechtsverdrehten Nationalpopulisten (oder welche Begriffe man sich für sie auch immer einfallen lässt) könnten Deutschland und Frankreich dann wieder näher zusammenrücken. Dem deutsch-französischen Tandem stünde dann jedoch eine Koalition aus Rom, Warschau und Budapest gegenüber. Merkels Erbe in der EU-Politik macht’s möglich.   Marco Gallina

»Olaf, wohin wollen uns diese ukrainischen Sicherheitskräfte bringen? Die sagten, sie wollten dir jetzt geben, "was du verdient hast".«
»Einfach die Ruhe bewahren, Britta, einfach die Ruhe bewahren.«

„Wir befürchten, dass der Bundeskanzler nicht Herr seiner Entscheidungen ist“. Solch einen Vorwurf von CDU-Politiker Roderich Kiesewetter kann Olaf Scholz eigentlich nicht im Raum stehen lassen. Es sind mindestens drei Felder denkbar, auf denen der Kanzler sich persönlich erpressbar gemacht haben könnte. 

Es ist einer der schwersten Vorwürfe, den man einem Menschen in entscheidender Position machen kann. Jedenfalls kann es Bundeskanzler Olaf Scholz kaum einfach so hinnehmen, wenn der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter sagt: „Wir befürchten, dass der Bundeskanzler nicht Herr seiner Entscheidungen ist“. Kiesewetter wirft also im Namen der Opposition dem Kanzler kaum verklausuliert vor, durch Putin erpressbar zu sein. Damit flankiert er einen von seiner Bundestagsfraktion geplanten Antrag, durch den Scholz gezwungen werden soll, den gemeinsamen Bundestagsbeschluss zur Lieferung schwerer Waffen endlich voll umzusetzen. Dass Scholz bei den Waffenlieferungen bremst, ist unübersehbar. Glaubwürdige Erklärungen hat Scholz dafür bislang jenseits von Floskeln nicht gegeben. Tut er es aus Rücksicht auf pazifistische und traditionell moskaufreundliche Befindlichkeiten seiner Partei (die er aus seiner eigenen Frühzeit gut kennt, siehe unten)? Hat Putin gegenüber Scholz in den Telefongesprächen mit einem sofortigen Gas-Lieferstopp oder gar militärischer Eskalation gedroht, falls Deutschland schwere Waffen liefert? Oder hat das Regime des früheren Geheimdienstagenten Putin tatsächlich persönliche Druckmittel in Form von Erpressungsmaterial („Kompromat“) gegen Scholz in der Hinterhand? 

Scholz hat mindestens drei Schwachstellen, bei denen eine persönliche Erpressbarkeit vorstellbar sein könnte:

Offenkundig ist seine fragwürdige Rolle in der Affäre um die Cum-Ex-Geschäfte der Hamburger Privatbank Warburg. Der wurden 47 Millionen Steuerschulden erlassen, als Scholz noch Erster Bürgermeister in Hamburg war. Bislang hat es Scholz geschafft, dass nicht gegen ihn ermittelt wird, obwohl es mindestens drei Treffen mit dem damaligen Warburg-Chef gab. Scholz’ entscheidende Verteidigungslinie besteht nur aus seiner Behauptung, sich an Inhalte der Gespräche nicht erinnern zu können. Die Affäre hat Scholz bislang auch im Bundestagswahlkampf erstaunlich wenig anhaben können, da sie kaum auf die Titel-Seiten oder in die Tagesschau vordrang. Aber Warburg bleibt Sprengstoff für Scholz. Wer weiß, dass es eine Lunte gibt und sie jederzeit zünden könnte, hätte die Macht, Scholz politisch zu vernichten. Der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi, einer der wenigen Bundespolitiker, die in der Warburg-Affäre immer wieder nachborte, warf Scholz schon im Oktober 2021 vor, sich „erpressbar“ zu machen

Vielleicht noch mehr gilt das womöglich für den Wirecard-Skandal. Der größte Finanzbetrugsfall der deutschen Geschichte um den Zahlungsabwickler und einstiegen Dax-Konzern fiel in die Ressortzuständigkeit des damaligen Bundesfinanzministers Scholz. Die unmittelbaren Verfehlungen fanden bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) statt – aber Scholz’ Ministerium war für deren Kontrolle zuständig. Wirecard war lange eine Art Vorzeige- und Lieblingsunternehmen der Bundesregierung, für das sich Merkel und Scholz auch persönlich einsetzten, nicht zuletzt noch 2019 in China. Fabio de Masi wirft den deutschen Behörden vor, den Betrug lange gedeckt zu haben. Womöglich ist Wirecard auch ein Geheimdienstskandal, hinter dem ein politisches Netzwerk steht, wie in Cicero spekuliert wird. Das Zusammenspiel von deutschen Behörden wie die dem Bundesfinanzminister unterstellten „Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht“ und Journalisten, um Wirecard zu beschreibt der Journalist der Financial Times, David McCrum eindrucksvoll in einem Buch, das in diesen Tagen erschienen ist.

Groß geworden war Wirecard als Zahlungsabwickler für Online-Glücksspiel und Pornographie. Damit war das Unternehmen nicht nur für die organisierte Kriminalität und Terroristen als potentielle Geldwäschemöglichkeit interessant, sondern indirekt auch für Nachrichtendienste, um selbst Zahlungen für Aktivitäten im Ausland zu tarnen. Fabio De Masi ist laut Cicero überzeugt, dass der mittlerweile untergetauchte Ex-Vorstand Jan Marsalek das genutzt hat, um mit Geheimdiensten aus verschiedenen Ländern zusammenzuarbeiten.

Im April wurde bekannt, dass der Bundesnachrichtendienst ein angebliches Gesprächsangebot des flüchtigen Ex-Wirecard-Chefs Jan Marsalek ausgeschlagen hat, weil man eine Falle befürchtete. Anfang 2021 bot ein Mann einem BND-Vertreter in Moskau an, ein Treffen mit Marsalek zu vermitteln. Der BND fand jedoch Presseberichten zufolge heraus, dass dieser Informant Verbindungen zum russischen Geheimdienst FSB habe. Und dieser gab offiziell bekannt, Marsalek sei gar nicht in Russland. Über die Ablehnung dieses Angebots durch den BND sei auch das Kanzleramt informiert gewesen. 

Der Grund der Ablehnung war laut Presseberichten die Befürchtung, der russische Geheimdienst suche nur nach Gelegenheiten „Kompromate“ zu schaffen, also etwa Fotos, die BND-Agenten mit Marsalek zeigen, um damit der Bundesregierung heimliche Kontakte zu dem untergetauchten Wirtschaftskriminellen unterstellen zu können. 

Jedenfalls belegt dieses Vorkommnis selbst, dass man in Berliner Regierungs- und Geheimdienstkreisen genau das offensichtlich befürchtet: Dass Putins Regime die Bundesregierung mit Kompromaten destabilisieren oder erpresserisch gefügig machen will.

Es kommt noch ein drittes, bislang noch weniger als die beiden ersten beachtetes Feld hinzu: Scholz’ Juso-Vergangenheit als Sympathisant des DDR-Regimes. Dokumente, die Hubertus Knabe in TE präsentierte, zeigen, wie Scholz in den 1980er Jahren als Funktionär der SPD-Jugendorganisation nicht nur persönlich gegen den Nato-Doppelbeschluss protestierte und schrieb, sondern auch den direkten Schulterschluss mit Ostberlin praktizierte. Scholz wetterte gegen den „US-Imperialismus“ und, so Knabe, „zu Beginn seiner Politikerkarriere vertrat Scholz im Konflikt mit Moskau ausgesprochen Kreml-nahe Positionen. Wie bislang unveröffentlichte Dokumente im Bundesarchiv belegen, unterhielt er auch persönlich enge Beziehungen zu Funktionären der DDR und der Sowjetunion.“ Als im Mai 1980 der damalige Juso-Vorsitzende und spätere Bundeskanzler und Gazprom-Aufsichtsratsvorsitzende Gerhard Schröder den Chef der FDJ, Egon Krenz, zum offiziellen Besuch in Bonn empfing, war auch Scholz in Kontakt mit Funktionären des Ostblocks. Als erklärter Marxist und Vertreter des sogenannten Stamokap-Flügels war er für diese von besonderem Interesse. In einem Aufsatz über „Aspekte sozialistischer Friedensarbeit“ schreib Scholz, dass „längerfristig auch die Frage der militärischen Integration der BRD in die NATO auf der Tagesordnung stehen“ werde.

Die von Knabe bekannt gemachten zahlreichen DDR-Kontakte des jungen Juso-Funktionärs Olaf Scholz alleine sind für linke Politiker der Scholz-Generation noch nicht ausreichend kompromittierend. Grundsätzlich DDR-freundlich waren in der alten Bundesrepublik viele, nicht nur Sozialdemokraten. Allerdings braucht man nur wenig Phantasie, um sich vorzustellen, dass Scholz bei seinen DDR-Kontakten auch mit Mitarbeitern der Staatssicherheit oder dem damaligen sowjetischen Geheimdienst KGB in Berührung kam (für den bekanntlich ab 1985 auch der junge Wladimir Putin in Dresden aktiv war). Der letzte Leiter der Auslandsaufklärung der Staatssicherheit Werner Großmann (1929-2022) sagte noch kurz vor seinem Tod in einer ZDF-Fernsehdokumentation süffisant lächelnd, er freue sich, „dass es da auch Quellen gegeben hat, die unbekannt geblieben sind, auch nach unserem Ende“.  

Würden grundlegende Vergehen von Scholz auf einem dieser genannten Felder öffentlich nachweisbar, hätte dies mit Sicherheit das Ende seiner politischen Karriere zur Folge. Die Frage, die der CDU-Abgeordnete Kiesewetter nach Scholz’ möglicher Erpressbarkeit stellt, schließt aber noch eine weitere Frage mit ein: Wäre es tatsächlich denkbar, dass Scholz sein persönliches Politiker-Schicksal höher bewertet, als Fragen, bei denen es um einen Krieg in Europa, um das Schicksal von Staaten und Leben und Sterben von Zigtausenden Menschen geht? 

Allein der Verdacht dürfte Scholz Ansehen grundlegend beschädigen. Wenn Scholz nicht bald eine glaubwürdige Erklärung für seine zaudernde Ukraine-Politik präsentiert, wird seine Position auch schon ohne das Bekanntwerden eines Kompromats existentiell geschwächt.  Ferdinand Knauss

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