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Freitag, 10. Juni 2022

Rechtsbeugung unter Wissenschaftlichkeitsanmaßung

Der renommierte Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek hat sich das letzte Produkt aus der Harbarthschen Staatsstreichmanufaktur vorgenommen und mit einer auch für den Laien problemlos zu verstehenden Besprechung des Impfpflicht-Beschlusses vom 27. April 2022 hat er meines Erachtens die Rechtsbeugungsthese vollinhaltlich bestätigt.
Der Freiburger Emeritus bezeichnet die Entscheidung der Verfassungsrichter jedenfalls als ein Fehlurteil und stuft sie überdies sogar als verfassungswidrig ein, weil sie auf falschen Tatsachenbehauptungen und einer juristisch unhaltbaren Argumentation beruhe. Zuvor hatte bereits der – vielleicht nicht ganz so renommierte, jedoch numinos brillante – Staatsrechtler Ulrich Vosgerau der Urteilsbegründung unserer höchsten, indes kaum mehr hohen Richter Rechtsfehlerhaftigkeit bescheinigt. Mit anderen Worten: Das juristische Niveau der Argumentation ist unterirdisch. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weist so massive fachliche Fehler auf, dass damit wohl nicht einmal ein Referendar durchs Examen käme. Da das Gericht weder dem im Examen herrschenden Zeitdruck unterliegt noch Mangel an fachlicher Beratung hat – jedem Richter stehen hochqualifizierte wissenschaftliche Hilfskräfte zur Verfügung –, bleibt nur eine Schlussfolgerung übrig: Das Gericht – also der Erste Senat unter Harbarth – wollte bewusst entgegen der Rechtslage entscheiden. Dies ist in der Tat die Definition der Rechtsbeugung.

Es gibt aber keinen Nachweis für den Vorsatz. Denn wie wollte man ihn beweisen? Der Gedanke, das Urteil ist so schlecht, dass es Absicht sein muss, ist in juristischer Hinsicht - in diesem Fall! - ein Zirkelschluss. Interessant ist aber nicht diese juristische Sackgasse, sondern dass sich das Recht beugende Verfassungsrichter womöglich gegen Haftung für Fehlurteile schützen können, indem sie auf diesen Zirkelschluss pochen, während ganz andere Verbrecher dies nicht können.
In Vorsatzfragen gibt es seit dem Bestehen des Strafrechts nie einen Nachweis im streng wissenschaftlichen Sinne, das liegt in seiner Natur als innerer Vorgang beim Menschen. Selbst ein Geständnis des ‚Täters’ könnte diese Anforderung nicht erfüllen, denn es könnte getürkt sein oder er könnte sich in einem derart psychischen Ausnahmezustand befunden haben, dass er zu einer den Vorsatzbegriff ausfüllenden Willensbildung nicht in der Lage war.
Die Strafrechtsdogmatik macht einen Unterschied zwischen Vorsatz und Schuldfähigkeit. Aber bei beiden Elementen gilt das Gleiche: Es gibt keinen naturwissenschaftlichen Strengbeweis über deren Vorliegen oder Nichtvorliegen. Nur dass sich zu Fragen der Schuldfähigkeit immer ein psychiatrischer Gutachter zu äußern hat. Auch dieser ist auf äußere Merkmale angewiesen wie Umstände und Art der Tatausführung. Genau letztere ist in allen Standardfällen die entscheidende Grundlage, um von einem vorsätzlichen Handeln des Täters auszugehen.
Nehmen wir als Beispiel einen Bankraub mit Geiselnahme. Hier kam noch kein Gerichtsreporter auf die Idee, das Gericht, das die Tat als vorsätzliche einstuft, eines Zirkelschlusses zu bezichtigen. In den Fällen allerdings, in denen die Tatausführung allein beide Möglichkeiten zulässt, Vorsatz oder Fahrlässigkeit, vulgo Schlamperei, und der vorliegende Fall ist ein solcher, zieht man einen Schluss aus hinzukommenden Indizien. Genau das ist hier bei der Bewertung der BVerfG-Entscheidung erfolgt, nämlich den Indizien der zur Verfügung stehenden fachlichen Kompetenz, der Zeit und der Schilderung Vosgeraus im zitierten und damit zum Gegenstand der Aussage gemachten Artikel, worin geschildert wird, dass der 1. Senat in der Antragsschrift lang und breit und ausdrücklich auf die wissenschaftlich fundierte Problemlage der Impfungen hingewiesen wurde. Darüber hat sich der 1. Senat schlicht hinweggesetzt. Jedes deutsche Strafgericht zieht aus einer solchen Konstellation den Schluss, dass das keine Schlamperei war, sondern bewusstes Handeln. Jede andere Folgerung würde unterstellen, der 1. Senat sei auf allen Positionen einschließlich der wissenschaftlichen Mitarbeiter mit debilen und/oder kognitionsunfähigen Dilettanten besetzt. Auf einen solchen Gedanken mag man vielleicht bei der Betrachtung des einen oder anderen Ministerposten kommen, doch für das BVerfG möchte ich das ausschließen.

Warum tun die Richter das? Weil sie, frei nach Olaf Scholz, es können! Präziser formuliert: Weil sie dazu angehalten werden und die Unabhängigkeit dieser durchweg mit Parteikadern besetzten Truppe dahin ist.

Alle fragwürdigen bzw. verfassungswidrigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts der Jahre 2015 ff. haben eines gemeinsam: Sie richten sich gegen den Demos, sie untergraben das Prinzip einer von unten, durch das (Staats-)Volk legitimierten Ordnung zugunsten der Etablierung einer Politik als "Eliten"projekt (i.e. Oligarchenprojekt. Es soll künftig in Deutschland wie möglichst überall von oben durchregiert werden können.
Wie jedes andere Abrissbirnenwerk in Kein-schöner-Land vollzieht sich auch der Grundrechtsabbau durch jenes Gericht, welches eigentlich zum Schutz der Grundrechte berufen ist, offen vor aller Augen – nach dem eines Hippiestaates würdigen Motto „Ist ja eh wurscht” – und ohne einen „Aufschrei” der allenfalls von vereinzelten Zynikern noch so genannten „Vierten Gewalt”. Die schon länger hier Regierenden haben begriffen, dass sie mit den schon länger hier lebenden Michels und Michelinen praktisch alles machen können, ohne dass es sich in den Umfragen anders niederschlüge als im Wechsel von Rot zu Schwarz und umgekehrt, mit starken Beimischungen von Grün; sie können ihnen das Reisen, Autofahren und Häuslebauen verbieten, die Steuern und Energiepreise auf Weltspitzenniveau emporjazzen, sie mit Inflation enteignen, die Landschaften verspargeln, die Innenstädte levantisieren, die Opposition praktisch verbieten oder jedenfalls jeglicher Mitwirkungsmöglichkeiten berauben, das private freie Wort zur halsbrecherischen Angelegenheit machen, es ist egal, es ist egal, es ist egal.

Wenn Nancy Faeser, um mal ein überkeckes Gedankenspiel zu statuieren, morgen die zehn nach ihrer Ansicht schlimmsten Rechtsextremisten oder Rechtspopulisten oder Querdenker oder überhaupt Rechten, jedenfalls Nazis – auch diese Differenzierung ist längst eh wurscht – auf dem Alexanderplatz in Käfigen ausstellen ließe, um für mehr Toleranz und Vielfalt zu werben, würde der eine und die andere halblaut sagen oder schreiben, das ginge jetzt wohl doch zu weit, aber am Ende wäre auch das – egal. Sie könnten alles machen. Und deshalb geben sich nicht einmal die Roten Roben noch Mühe und dem Wahlvolk die Ehre, ihre Urteile plausibel, stringent und auf einem angemessenen Niveau zu begründen. Es ist egal.
Wie schon in seiner vor ziemlich genau einem Jahr veröffentlichten Klima-Entscheidung hat sich das Gericht neuerlich angemaßt, von der Höhe einer "wissenschaftlichen Erkenntnis" zu urteilen, von der sogar jeder Berliner Gymnasiast weiß, dass sie nicht existiert, dass solche Befunde nur bis zu ihrer Falsifizierung gelten. Das heißt, die Richter verwandeln Hypothesen, Prognosen, Modelle – die übrigens fast durchweg von staatsabhängigen Forschern erstellt wurden – in für jedermann verbindliche Rechtsvorschriften. Wie beim Klima-Beschluss entschlugen sie sich auch diesmal wieder jeglicher Beweiserhebung. Nicht nur die Rechtsbeugung unter Wissenschaftlichkeitsanmaßung bedeutet eine neue Qualität höchstrichterlicher Regierungs- und Zeitgeisthörigkeit, sondern auch die Wurstigkeit der Begründung.

Das Bundesverfassungsgericht hat damit den Boden der weltlichen juristischen Entscheidungsfindung verlassen und sich in den Bereich der zivilreligiösen Dogmatik begeben. Es hat sich zu einer Art staatlicher Glaubenskongretation erhoben. Das Muster des kalten Staatsstreichs im Dienste der Großen Transformation tritt immer deutlicher hervor, mögen Vosgerau und Murswiek es auch nicht explizit so formulieren, aber das Grundvertrauen in den Rechtsstaat und seine Hüter ist erschüttert (siehe dazu etwa Oliver Lepsius in seinem Artikel auf der Webseite LTO oder den Cicero-Beitrag von Jessica Hamed).

Besonders pikant in diesem Zusammenhang ist das rigide Vorgehen des Staates gegen den Weimarer Amtsrichter Christian Dettmar, der im April 2021 an zwei Weimarer Schulen die Maskenpflicht für Schüler aufgehoben hatte. Dettmers Büro und Wohnung wurden von der Polizei durchsucht – wie auch die Wohnungen von elf weiteren einer staatsfeindlichen Verschwörung Verdächtigten –; der unbotmäßige Amtsrichter wird jetzt sogar wegen Rechtsbeugung vor Gericht gestellt. Hausdurchsuchungen bei Kritikern der Coronamaßnahmen, „Querdenkern” und „Hetzern” gehören inzwischen zur Folklore des besten Deutschlands, das es je gab. Aber auch das ist in der öffentlichen Wahrnehmung eines Landes, dessen in die Jahre gekommene Wortführer nicht nur in den Notstandsgesetzen gegen den RAF-Terror, sondern sogar in einer Volkszählung die Wiederkehr des „Faschismus” witterten – egal.

Apropos: Die Staatsanwaltschaften können, wenn sie wollen! Im Falle des Weimarer Richters sind die Wohnungen von mehreren Beteiligten durchsucht und deren Kommunikation durchforstet worden, um ein kollusives Zusammenwirken aufzudecken. Genau dieses Vorgehen wäre meines Erachtens gegenüber den acht Mitgliedern des 1. Senats angemessen. Die ideale Gelegenheit für eine solche Razzia bestünde, wenn sich die Herrschaften wieder zum Essen im Kanzleramt treffen.



Und noch etwas lernt man bei Ulrich Vosgerau: Der Irrglaube der „Reichsbürger” bestehe nicht in deren Ansicht, das Deutsche Reich existiere noch – diese Tatsache ist durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden, das in seiner Entscheidung zum Grundlagenvertrag 1973 feststellte, das Deutsche Reich sei 1945 keineswegs untergegangen, sondern bestehe fort –, als vielmehr in der Idee fixe, dieses Reich existiere irgendwo als unabhängiges Gebilde, also parallel zur Bundesrepublik, und sei von dieser zu trennen. Das deutsche Reich, so Vosgerau, sei mit der Bundesrepublik identisch, ungefähr so, wie beispielsweise die SED mit der Linkspartei identisch ist.


 

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