Stationen

Samstag, 6. April 2019

Claudia Roths Kindergarten

Dieser Augenblick wird nicht als Sternstunde in die Geschichte des Parlamentarismus eingehen. Vielmehr steht er für das mangelnde Selbstvertrauen einer Vielzahl von Abgeordneten, die offenbar glauben, der Bundestag sei nicht gefestigt genug, in seinem Präsidium auch nur eine einzige Vertreterin der AfD zu ertragen – sei sie auch noch so gemäßigt. Schlimmer noch: Die 423 Abgeordneten, die gegen die AfD-Kandidatin Mariana Harder-Kühnel gestimmt haben, verhalten sich genau so, wie sie es den Rechtspopulisten seit ihrem Aufkommen vorwerfen: Sie grenzen aus. Nicht im Namen des Volkes, wie es die AfD tut, im Namen der Moral schließen sie einen Teil der Abgeordneten und damit auch die Bürger aus, die sie gewählt haben. Dabei halten sie sich noch für besonders vorbildliche Demokraten.
Wären sie es, dann müssten sie sich im Sinne des Grundgesetzes eingestehen: Eine Parlamentsfraktion kann nicht mehr oder weniger Rechte als die andere haben. Wenn allen Fraktionen ein Vizepräsident des Bundestages zusteht, dann sollte diese Regel auch für sämtliche Fraktionen gelten, gleichgültig, ob sie einem politisch behagen.
423 Abgeordnete haben den Bundestag heute nicht zum Ort wohlüberlegter Parlamentsregeln gemacht, sondern letztlich zu einer Tenne, auf der die Parteien ihre Dreschflegel schwingen. Damit mögen sie zwar in ihrer Selbstachtung wachsen, gleichzeitig aber spielen sie der AfD in die Hände. Es stimmt, was der amerikanische Historiker Richard Hofstadter schon vor Jahrzehnten schrieb: Populisten pflegen grundsätzlich einen paranoiden politischen Stil. Diesen Hang zur Verschwörungstheorie hat die Mehrheit des Bundestages nun noch befeuert.
Man muss die Politik der AfD nicht teilen, auch muss man feststellen, dass einige ihrer Strömungen die Verfassungsordnung so nicht akzeptieren oder sogar in grundlegenden Punkten revidieren wollen und sich auf die gegebene Ordnung nur taktisch einlassen, von den völkischen Ausdünstungen abgesehen, die sie mitunter absondern, dennoch gilt auch: Seit die AfD im Bundestag ist, ist das Parlament wieder ein Marktplatz der Meinungen und ein genaueres Spiegelbild der Gesellschaft.
Allein der Einzug der AfD in den Bundestag hat den Mehltau beseitigt, den die große Koalition über das Hohe Haus an der Spree gegossen hatte. In dieser Legislaturperiode geht es dank der AfD lebhafter und damit auch demokratischer zu. Sieht man von diesem Donnerstag ab.   Jacques Schuster

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.