Stationen

Sonntag, 7. April 2019

Gesinnungserziehung und Ächtung

Heutige Demokratien, notiert Taghizadegan, müssten nach altgriechischem Sprachgebrauch eher als "oligarchisch orchestrierte ochlokratische Tyrannis" bezeichnet werden. Das "anonyme Malen eines Kreuzes innerhalb einer riesigen Masse" sei das absolute Gegenteil von dem, was unser Athener als Selbstregierung verantwortlicher Bürger verstanden hätte. "Die antiken Denker hätten wohl nichts als Spott übrig für unser heutiges Pathos, mit dem wir uns für unser 'Recht' bejubeln, einen Tag lang Bürger zu sein und dann fünf Jahre lang Untertan". Sprechenderweise werde dieser Vorgang mit den Worten beschrieben: Wir geben unsere Stimme ab.
Gut, das haben Roland Baader und andere Libertäre schon immer gesagt. Doch was folgt daraus? Die Demokratie wird ja vor allem dafür gepriesen, dass sie eine Autokratie verhindere. Taghizadegan gibt zu bedenken, dass sich die Mehrheit eines Tyrannen vielleicht sogar leichter entledigen könne "als einer institutionellen Tyrannis, die womöglich noch auf der Illusion der 'Mitbestimmung' basiert". Obendrein habe in den meisten Demokratien der Gegenwart die Zahl der Staatsabhängigen fünfzig Prozent der Wahlberechtigten überschritten. "Das bedeutet: Die Regierung wird de facto durch ihre Beschäftigten kontrolliert."
Wer also, fragt Taghizadegan, übt heute tatsächlich Herrschaft aus? Diese Frage lasse sich in einer recht erhellenden Weise präzisieren, nämlich: "Wer hat gestern die Linie erdacht, die heute verfolgt wird? (...) Wer hat gestern die Meinungen vertreten, die heute dominant sind? Wenn die Wähler gestern für eine Forderung ‚noch nicht bereit’ waren, was oder wer hat sie umgestimmt?".
Das ist eine eminent berechtigte Frage angesichts eines Landes, dem die Satiriker außer vielleicht Bernd Zeller mit den ihnen vorbehaltenen Mitteln nicht mehr beikommen, während man ihnen vor zehn Jahren, hätten sie die heutigen Zustände damals als Satire präsentiert, maßlose Übertreibung vorgeworfen haben würde. Wie kommt es also, "dass Forderungen und Maßnahmen, die vor einiger Zeit noch von einer Mehrheit verlacht worden wären, heute 'eine Mehrheit finden'? Wer hat diese Forderungen vertreten, als die Mehrheit 'noch nicht so weit war'?".
Wir gelangen jetzt schnell in die Universitäten, in Think-tanks, in die Leitmedien, in Agenturen, Stiftungen, NGOs, also in vor- oder metapolitische Gefilde, wo jene kulturelle Hegemonie ausgekämpft wird, deren Einfluss auf die Gesellschaft heute gar nicht überschätzt werden kann – sofern diese Gesellschaft eine wirtschaftlich funktionierende ist, die den immer stärker wachsenden kulturellen Efeu überhaupt trägt (Ich habe das in der Sentenz zusammengefasst, dass die Linke nicht der Widerpart des Kapitalismus ist, sondern sein Parasit).
Ein immer größerer, immer mehr Ressourcen verschlingender Staat tritt seinen Untertanen deshalb zunehmend mit therapeutischer Attitüde entgegen und betrachtet es als seine Aufgabe, die Wähler zu erziehen, ihre "Vorurteile" abzubauen, sie für Forderungen zu gewinnen, die sie noch vor kurzem belacht und für Satire gehalten hätten. Mit einem Wort: das Volk zu erziehen.
"Diese glatte Umkehr des demokratischen Prinzips hat mittlerweile alle 'Demokratien' erfasst, sogar die Schweiz", notiert der Autor, und wer wollte ihm widersprechen? Deswegen klingen heute Nachrichtensendungen von Tagesschau bis heute wie Kommentarwettbewerbe, deswegen werden die Schüler DDR-artig politisiert, deswegen gibt es kaum noch eine Werbung, die nicht ethnisch "diversifiziert" wäre, deswegen gehören immer mehr "Tatort"-Folgen und Kinderfilme weniger zum Unterhaltungs- als vielmehr zum Erziehungspogramm.   MK

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