Heutige Demokratien, notiert Taghizadegan, müssten nach
altgriechischem Sprachgebrauch eher als "oligarchisch orchestrierte
ochlokratische Tyrannis" bezeichnet werden. Das "anonyme Malen eines
Kreuzes innerhalb einer riesigen Masse" sei das absolute Gegenteil von
dem, was unser Athener als Selbstregierung verantwortlicher Bürger
verstanden hätte. "Die antiken Denker hätten wohl nichts als Spott übrig
für unser heutiges Pathos, mit dem wir uns für unser 'Recht' bejubeln,
einen Tag lang Bürger zu sein und dann fünf Jahre lang Untertan".
Sprechenderweise werde dieser Vorgang mit den Worten beschrieben: Wir geben unsere Stimme ab.
Gut,
das haben Roland Baader und andere Libertäre schon immer gesagt. Doch
was folgt daraus? Die Demokratie wird ja vor allem dafür gepriesen, dass
sie eine Autokratie verhindere. Taghizadegan gibt zu bedenken, dass
sich die Mehrheit eines Tyrannen vielleicht sogar leichter entledigen
könne "als einer institutionellen Tyrannis, die womöglich noch auf der
Illusion der 'Mitbestimmung' basiert". Obendrein habe in den meisten
Demokratien der Gegenwart die Zahl der Staatsabhängigen fünfzig Prozent
der Wahlberechtigten überschritten. "Das bedeutet: Die Regierung wird de
facto durch ihre Beschäftigten kontrolliert."
Wer also, fragt
Taghizadegan, übt heute tatsächlich Herrschaft aus? Diese Frage lasse
sich in einer recht erhellenden Weise präzisieren, nämlich: "Wer hat
gestern die Linie erdacht, die heute verfolgt wird? (...) Wer hat
gestern die Meinungen vertreten, die heute dominant sind? Wenn die
Wähler gestern für eine Forderung ‚noch nicht bereit’ waren, was oder
wer hat sie umgestimmt?".
Das ist eine eminent berechtigte Frage angesichts eines Landes, dem die Satiriker außer vielleicht Bernd Zeller
mit den ihnen vorbehaltenen Mitteln nicht mehr beikommen, während man
ihnen vor zehn Jahren, hätten sie die heutigen Zustände damals als
Satire präsentiert, maßlose Übertreibung vorgeworfen haben würde. Wie
kommt es also, "dass Forderungen und Maßnahmen, die vor einiger Zeit
noch von einer Mehrheit verlacht worden wären, heute 'eine Mehrheit
finden'? Wer hat diese Forderungen vertreten, als die Mehrheit 'noch
nicht so weit war'?".
Wir gelangen jetzt schnell in die
Universitäten, in Think-tanks, in die Leitmedien, in Agenturen,
Stiftungen, NGOs, also in vor- oder metapolitische Gefilde, wo jene
kulturelle Hegemonie ausgekämpft wird, deren Einfluss auf die
Gesellschaft heute gar nicht überschätzt werden kann – sofern diese
Gesellschaft eine wirtschaftlich funktionierende ist, die den immer
stärker wachsenden kulturellen Efeu überhaupt trägt (Ich habe das in
der Sentenz zusammengefasst, dass die Linke nicht der Widerpart des
Kapitalismus ist, sondern sein Parasit).
Ein immer größerer, immer mehr
Ressourcen verschlingender Staat tritt seinen Untertanen deshalb
zunehmend mit therapeutischer Attitüde entgegen und betrachtet es als
seine Aufgabe, die Wähler zu erziehen, ihre "Vorurteile" abzubauen, sie
für Forderungen zu gewinnen, die sie noch vor kurzem belacht und für
Satire gehalten hätten. Mit einem Wort: das Volk zu erziehen.
"Diese
glatte Umkehr des demokratischen Prinzips hat mittlerweile alle
'Demokratien' erfasst, sogar die Schweiz", notiert der Autor, und wer
wollte ihm widersprechen? Deswegen klingen heute Nachrichtensendungen
von Tagesschau bis heute wie Kommentarwettbewerbe,
deswegen werden die Schüler DDR-artig politisiert, deswegen gibt es kaum
noch eine Werbung, die nicht ethnisch "diversifiziert" wäre, deswegen
gehören immer mehr "Tatort"-Folgen und Kinderfilme weniger zum Unterhaltungs- als vielmehr zum Erziehungspogramm. MK
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