Nach 850 Jahren, in denen die Pariser Kathedrale Kriegen, der
Französischen Revolution und der NS-Besatzung widerstand, fiel
Notre-Dame de Paris nun unter der progressiven Regierung von Präsident
Emmanuel Macron den Flammen zum Opfer.
Montagabend, wenige Stunden
bevor der Präsident eigentlich den Franzosen mitteilen sollte, welche
Maßnahmen er ergreifen würde, um die politische Krise zu überwinden, in
der sich das Land aufgrund der Gelbwestenproteste seit November
befindet, brach im Dachstuhl von Notre-Dame ein verheerendes Feuer aus.
Obwohl mehrere Fernsehsender, unter anderem LCI, von mehreren
Brandherden berichteten, stand schon zwei Stunden später, als das Feuer
noch wütete, offiziell fest, dass es keinen Grund zur Annahme von
Brandstiftung gebe und die Baustelle auf dem Dach der Kathedrale
ursächlich sei.
Seit Dienstag wird die Unglücksstelle zwar von
polizeilichen Spurensicherern untersucht, und gegenwärtig gilt offiziell
ein Kurzschluss an den Aufzügen, die an den Gerüsten der Dachbaustelle
befestigt sind, als Brandauslöser, doch damit bleiben viele
Ungereimtheiten: Marc Eskenazi, der Sprecher von AXA, dem
Versicherungsunternehmen des Gerüstbauers Europe Echafaudages, gibt an,
dass der Feueralarm nicht durch die Brandmelder an den Aufzügen, sondern
durch den der Kathedrale ausgelöst worden sei.
Diese Version wird
vom Organisten Johann Vexo gegenüber der Zeitung „Ouest-France“
bestätigt: „Gegen 18.25 Uhr oder 18.30 Uhr ertönte ein Alarm. Diesen
Alarm kannten weder der Priester noch die Sängerin, die mich begleitete
noch ich, wir hatten ihn nie zuvor gehört. Er begann mit einer Sirene,
dann eine Nachricht auf Französisch und Englisch, die die Besucher
aufforderte, das Gebäude ruhig zu verlassen. … Ich dachte sofort an eine
Fehlermeldung, ich glaubte nicht an einen Brand. Kein Rauch, kein
Geruch. … Ich habe die Schaltstelle der Alarmanlage gesehen, auf der ein
Feuer auf dem Dachboden angezeigt wurde. Doch ich glaubte es immer noch
nicht. Als ich die Kathedrale verließ, war es 18.45 Uhr. Ich sah keinen
Feuerwehrmann, keinen Rauch, keinen Geruch.“
Der Pariser
Staatsanwalt Rémy Heitz erklärt, dass um 18.20 Uhr auf dem Bildschirm
des Sicherheitsdienstes von Notre-Dame ein roter Punkt erschienen sei,
der eine Anomalie angezeigt habe. Ein Sicherheitsmann untersuchte die
angegebene Zone unter dem Dach ergebnislos und benachrichtigte nicht den
Priester, genau so wie es das Sicherheitsprotokoll vorsieht: Nur im
Fall eines Feuers werden die Geistlichen benachrichtigt, die dann selbst
die Ansage zur Evakuierung machen.
Der automatische Alarm ertönt
laut Protokoll erst, wenn es schon richtig brennt. Doch am Montag
funktionierte dieses System nicht, der automatische Alarm erklang in der
Kirche, obwohl noch kein Feuer zu entdecken war. Ein zweiter Alarm
erschien dann um
18.43 Uhr auf dem Bildschirm der Sicherheitsleute. Als ein Sicherheitsmann erneut nachschaute, brannte das Gebälk bereits.
Anfangs
wurde offiziell die Hypothese verbreitet, dass Schweißarbeiten oder die
Nachlässigkeit der Handwerker auf dem Dach den Brand ausgelöst hätten.
Doch die Firma Le Bras Frères, die sich um die Renovierung des 96 Meter
hohen Spitzturmes kümmerte, weist diese Anschuldigungen kategorisch
zurück: Der letzte Arbeiter habe bereits um 17.50 Uhr die Baustelle
verlassen, und das Sicherheitsprotokoll, das vorsieht, dass am Tagesende
der Strom auf der Baustelle vollständig abgestellt und der Schlüssel
zur Baustelle in der Sakristei abgegeben wird, sei korrekt umgesetzt
worden. Auch habe es keinerlei Schweißarbeiten gegeben, es sei lediglich
am Gerüstaufbau gearbeitet worden.
Polizeiquellen bestätigen dies.
Benjamin Mouton, Architekt, Leiter der Monuments Historiques und von
2010 bis 2013 Dombaumeister an der Pariser Kathedrale, war für die
Umsetzung eines neuen Feuerschutzprogrammes verantwortlich. Er erklärte:
„In 40 Berufsjahren habe ich noch nie ein solches Feuer gesehen. Die
Brandschutzmaßnahmen in der Kathedrale sind auf höchstem Niveau. … ein
Sicherheitsmann kann innerhalb weniger Minuten sagen, ob es brennt. Wir
haben viele Holztüren durch Brandschutztüren ersetzen lassen, wir haben
alle Elektrogeräte begrenzt und im Dachstuhl komplett untersagt.“
Ein
anonymer Experte des Baugewerbes, den das Fachblatt „Batiactu“ zitiert,
fügt noch hinzu: „Das Feuer konnte nicht durch Kurzschluss entstehen.
Man benötigt eine echte Hitzequelle am Anfang, um ein solches Feuer zu
entfachen. Eiche ist ein besonders resistentes Holz.“
Während es also
mehr Fragen als Antworten zu den Brandursachen gibt und ganz Frankreich
ins Mark getroffen ist durch den Verlust eines nationalen Symbols,
dessen Wiederaufbau nach Expertenmeinung mehrere Jahrzehnte dauern wird,
kündete Präsident Emmanuel Macron bereits einen Tag nach dem Brand an,
dass er die Kathedrale innerhalb von fünf Jahren neu aufbauen lassen
will – pünktlich zu den Olympischen Spielen in Paris.
Einen Tag
später verkündete Premierminister Edouard Philippe die Ausschreibung
eines internationalen Architekturwettbewerbs, „um Notre-Dame mit einem
neuen Spitzturm auszustatten, der den Techniken und den
Herausforderungen unserer Zeit entspricht“. Dabei sind die Originalpläne
des Bauwerks und des Spitzturms aus dem 19. Jahrhundert vorhanden. Ein
Schelm, der nichts Böses ahnt? Selbst Leser eher macronistischer
Publikationen wie des „Figaro“ befürchten Schlimmstes. Eva-Maria Michels
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