Der Begriff "Zivilisationsbruch" ist im öffentlichen Gebrauch auf die
Shoa beschränkt. Es gibt aber auch andere, unscheinbare
Zivilisationsbrüche, gewissermaßen Haarrisse im zivilisatorischen
Gefüge. Ein solcher geht nunmehr von einem Ort aus, der bislang als
exemplarisch für den freien westlichen Geist galt: von der Harvard
Universität.
Welt online meldet: "Am Morgen des 25. Februar 2019 fand die Universitätspolizei von Harvard an den Wänden des Winthrop House mehrere Graffities.
Die Parolen richteten sich gegen den Dean des Wohnheims, Ronald S.
Sullivan, Professor für Strafrecht an der Harvard Law School. 'Nieder
mit Sullivan', stand auf einer Eingangstür, an anderer Stelle fanden
sich die Sprüche 'Unser Zorn ist Selbstverteidigung' und 'Dein Schweigen
ist Gewalt', schließlich die Frage: 'Auf welcher Seite stehst du?'"
Der
Harvard-Strafrechtler, übrigens der erste schwarze Dekan der
Universität, hat als Anwalt die Verteidigung von Harvey Weinstein
übernommen. Die Studenten, die gegen ihn protestieren und seine
Absetzung verlangen, sind künftige Juristen. "Der erfahrene
Strafverteidiger Robert Sullivan hat den amerikanischen Präsidenten Bill
Clinton und den wegen Doppelmord angeklagten Football-Star Aaron
Hernandez, aber auch die Familie von Michael Brown verteidigt, jenem
Einwohner von Ferguson, dessen Tod durch Polizeischüsse die
Black-Lives-Matter-Bewegung ausgelöst hatte. Die Reihe zeigt in ihrer
Bandbreite, was das Wesen des Anwaltsberufs ist: Er ist die
fleischgewordene Unschuldsvermutung, die vor der Feststellung der Schuld
für jeden Menschen gilt, ob er nun Mitleid oder Abscheu auslöst, ganz
oben oder ganz unten steht", schreibt die Welt.
Sind die
Forderungen der Studenten schon skandalös genug – eigentlich müsste man
sie wegen grotesker Nichteignung für den von ihnen angestrebten Beruf,
zumindest außerhalb von Diktaturen, kurzerhand der Uni verweisen –,
besteht der eigentliche Skandal darin, dass die Universitätsführung vor
den Forderungen des präakademischen Mobs einknickte und Sullivan als
Dekan absetzte. Begründung: Er sei nunmehr "unhaltbar".
Zwei
Säulen des abendländischen Rechtsverständnisses sind hier nicht nur mit
Gesinnungsdreck beschmiert, sondern beschädigt worden: die
Unschuldsvermutung (in dubio pro reo) und das damit
eng zusammenhängende Recht eines jeden Delinquenten auf anwaltlichen
Beistand. Der Teufel, der Mörder, ja auch der Massenmörder haben das
Recht auf einen Anwalt, und jener hat wiederum das Recht, sein Amt
auszuüben, ohne mit Tat und Täter identifiziert zu werden. Wer den
Anwalt einzuschüchtern und mit dem Delinquenten in Sippenhaft zu nehmen
versucht, kehrt auf das vorzivilisatorische Niveau von Hetzmeute und
Lynchmob zurück. Daneben ist die causa Strache ein Vogelschiss.
In einer der angesehensten Bildungsstätten der Welt wird dem
Rechtsstaat der Krieg erklärt, von jungen Menschen, die ihn künftig
repräsentieren sollen. Und sie bekommen recht! Wofür, wenn nicht für
diesen Vorgang, ist der Begriff Skandal angebracht?
"Wie linksversifft ist eigentlich Harvard?", fragt, in der Wortwahl geradezu weizsäckerhaft zurückhaltend, dieser
Blogger, zitiert drei lesenswerte Kommentare zu der Meldung und
resümiert: "Nicht nur Deutschland schafft sich ab, der gesamte Westen
geht baden. Die grossartigste Kultur aller Zeiten erdrosselt sich gerade
selbst…" MK
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