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Freitag, 24. Mai 2019

Ibiza ist selbstverständlich überall

Politik ist die Fortsetzung des Kriegs mit subtileren Mitteln, und alle Politiker sind vogelfrei. Das ist keine Forderung. Das ist die Wirklichkeit.
Das heimliche Strache-Video in Österreich ist das seit langem spektakulärste Beispiel eines politischen Auftragsmords. Mit illegalen KGB-, Gestapo- und Mafia-Methoden wurde ein Politiker gefällt, der dumm genug war, sich hereinlegen zu lassen.
Die einzige Straftat, die bis jetzt begangen wurde, ist dieses Video. Was die Strache-Killer mit dem Politiker machten – heimliches Filmen und Abhören mit Lockvogel –, wäre dem Schweizer Geheimdienst sogar bei akutverdächtigen Islam-Terroristen nicht erlaubt.

Klientelwirtschaft von Afrika bis Zürich

In der totalen Empörung über den inzwischen zurückgetretenen Parteichef schwingt viel Heuchelei mit. Natürlich ist es tödlich für Strache, dass er auf den Bildern genauso korrupt wirkt wie die Politiker, denen seine Partei seit Jahren Korruption vorwirft.
Mildernd kann er für sich allerdings in Anspruch nehmen, dass er als damals noch amtsloser Oppositionsführer nur davon redet, was sonst überall gemacht wird.
Klientelwirtschaft ist eine Realität, und zwar nicht nur in Afrika. In Zürich werden öffentliche Wohnungen an geneigte Kreise vergeben. Bundesräte wechseln in die Verwaltungsräte jener Firmen, denen sie während ihrer Amtszeit mit saftigen Aufträgen zu Diensten waren.
Überall dort, wo der Staat eine gewichtige Rolle in der Wirtschaft spielt, schwillt der Korruptions-Speckgürtel der Profiteure. Die grüne Energiewirtschaft ist eine gigantische Geldmaschine, die unzählige Büros und Parlamentarier versorgt. Die gleichen Leute, die die Gesetze machen, sitzen in den Betrieben, denen die Gesetze nützen.
Ist es noch Milizpolitik oder schon Korruption, wenn Schweizer Politiker mit Mandaten bezahlt werden, wenn sie in Bern auf Geheiss ihrer Geldgeber Einfluss nehmen? Wer weiss denn so genau, was die Krankenkassen ihren zahlreichen Fürsprechern im Bundeshaus überweisen, damit sie im Gesundheitswesen die richtigen Weichen stellen?
Doris Leuthard (CVP), bundesrätliche Schirmherrin über die Swisscom, erhielt von Swisscom-Präsident Hansueli Loosli zwei gutbezahlte Verwaltungsratsmandate von Coop und Bell – beide Gremien präsidiert von Loosli.
Der ironische Sozialdemokrat Moritz Leuenberger, einst oberster Bauherr des Bundes, fand nach dem Rücktritt Unterschlupf bei der Baufirma Implenia. Ein Schelm, wer Schlimmes dabei denkt.
Was immer man Strache vorwirft: Absichten zur persönlichen Bereicherung lassen sich aus den bisher veröffentlichten Geheimaufnahmen nicht ableiten.
Und es gibt keinen Grund, sich in der Schweiz sittenrein über den österreichischen Filz zu erheben. Unsere Politiker haben einfach Glück, dass ihnen keine bildhübschen Russinnen auflauern, um sie im Verlauf eines siebenstündigen Wodka-Abends zu verfänglichen theoretischen Aussagen zu verleiten, die ein Kamerateam heimlich aufzeichnet.
Natürlich erstaunt die kolossale Dummheit, mit der Strache vor einer Unbekannten brisanteste Vertraulichkeiten preisgibt und zumindest verbal und dem Anschein nach auf schummrige Machenschaften einsteigt.

Heilige Angela der Selbstgerechten

Der Mann disqualifiziert sich als Plaudertasche, als Möchtegernmachtmauschler, und es ist auch richtig, dass man einen Politiker nicht dann erst zum Rücktritt auffordert, wenn man ihm eine Straftat nachweisen kann. Politiker sollten Charakter haben, und Charakter ist das, was man tut, wenn einem niemand dabei zuschaut.
Wie halten wir es dann aber in der Schweiz mit einem wie dem Genfer Regierungsrat Pierre Maudet? Der schneidige Freisinnige liess sich von einem Scheich zwecks Vorteilsnahme einladen, log darüber die Öffentlichkeit an und krallt sich nun lächelnd an seinem Amt fest, als ob nichts gewesen wäre. Ist das nun harmloser oder nicht doch eher viel dreister und krimineller als die feuchtfröhlichen Strache-Prahlereien von Ibiza?
Gewiss, die öffentlich-rechtlichen Medien und die belagerte EU-Corona nehmen den Fall zum willkommenen Anlass, um die «Rechten» und «Rechtspopulisten» vor den Europawahlen pauschal in die Pfanne zu hauen. Sippenhaft regiert. Allen voran schwingt sich Deutschlands Kanzlerin zur heiligen Angela der Selbstgerechten auf.
Sie tut so, als seien Filz und Korruption eine Exklusivdomäne der «Populisten», was nur schon deshalb absurd ist, weil die meisten populistischen Parteien als Underdogs in der Opposition sind und den Staatskuchen gar nicht verteilen können. Was nicht heisst, dass sie es nicht tun würden, wenn sie denn könnten.
Und hat es Merkel schon vergessen? Nicht die Populisten-AfD, die es damals noch gar nicht gab, sondern ihr hochverehrter Vorgänger und Dauerkanzler Helmut Kohl steckte bis zum Hals in einem CDU-Parteispendenkorruptionssumpf mit dunkelschwarzen Kassen. Die Moralpredigten scherbeln gewaltig.
Was Strache im Suff nur daherschwafelt, haben Merkels Parteifreunde im In- und Ausland längst verwirklicht. Luca Volontè aus Italien, einst Fraktionschef der christdemokratischen Europäischen Merkel-Volkspartei, soll Bestechungsgelder aus Aserbaidschan in Höhe von 2,4 Millionen Euro erhalten haben.
Oder Ernst Strasser, ebenfalls Mitglied der christdemokratischen Grossfamilie, ehemaliger österreichischer Bundesminister, Träger eines hohen Wiener Verdienstordens, wurde vor nicht allzu langer Zeit wegen Bestechlichkeit im Europaparlament zu drei Jahren unbedingter Haft verurteilt.
Auch zur Linken darf man sich nicht aufplustern. Der Sozialist Bettino Craxi war dermassen korrupt, dass er zu 28 Jahren Gefängnis verknackt wurde. Er verteidigte sich keine Sekunde, sondern sagte nur: «Alle anderen haben es auch getan.» Das nimmt den Strache-Dummheiten nichts von ihrer Verwerflichkeit, aber es lässt die Luft raus aus der scheinheiligen Empörung der Strache-Gegner, die jetzt ein Fest feiern.

Mafia-Flair im Schweizer Staats-TV

Womit wir bei den Medien wären. Spiegel, Süddeutsche Zeitung und der mit ihr eng verbandelte Tages-Anzeiger haben sich wie schon bei den «Panama Papers» von Verbrechern einspannen lassen.
Das ist an sich nicht verboten, solange sie die Mafiamethoden nicht selber anwenden oder zu solchen aufrufen. Das haben Spiegel und Süddeutsche nicht getan, ganz anders als der Chefredaktor des Schweizer Fernsehens, Tristan Brenn. Auf Twitter lobt der Chef der Gebührenanstalt aus Anlass der Strache-Causa die gesetzeswidrigen «verdeckten» Praktiken ausdrücklich. Müssen wir also damit rechnen, dass der Leutschenbach demnächst die Ferienhäuser bekannter Schweizer Politiker verwanzt?
Natürlich darf man über private Aktivitäten von Politikern berichten. Wenn die privaten Handlungen Missstände aufzeigen, die relevant sind, ist Berichterstattung Pflicht. Selbst moralische Verfehlungen können Thema sein. In einer Demokratie hat die Öffentlichkeit einen Anspruch, zu erfahren, wie es um die Integrität der Amtspersonen steht.

Weinselige Berner Abendrunden

Gleichzeitig: Hüten wir uns vor der Vorstellung, ein Film zeige die Wirklichkeit. Auch das Strache-Video ist stark geschnitten. Wir sehen nur belastende Ausschnitte, ein Destillat aus mehreren Stunden, das die Journalisten, die keine Sympathisanten des Entblössten sind, mit Zerstörungsabsicht ausbreiten.
Unbestritten: Es gibt da eine ganze Menge verfänglicher Aussagen. Aber kann man sie wirklich zum Nennwert nehmen? Was wird in langen Gesprächen und Verhandlungen nicht alles versprochen und beschworen, um die andere Seite bei Laune zu halten?
Nicht auszudenken, was während einer Parlamentssession an weinseligen Abendrunden in der Berner Altstadt von Politikern so alles ausgebrütet, zusammenfantasiert und im Rausch auch wieder vergessen wird. Ibiza ist überall.
Vielleicht hat Strache nur geblufft, geflunkert, gelogen und übertrieben, um die vermeintliche Millionärin für bestimmte Zwecke zu bezirzen. Reden ist nicht gleich handeln, und im Amt konnte man Strache bis jetzt keine Illegalitäten nachweisen. Wer Böses denkt und sagt, ist noch kein Verbrecher. Wenn auch womöglich ungeeignet für sein Amt.

Kurz droht der Sturz

Keine glückliche Figur macht Wunderknabenkanzler Sebastian Kurz. Anstatt den Abgang Straches staatsmännisch zu verdauen, die grundsätzliche Stabilität der Regierung, ihre ansprechenden Leistungen hervorzuheben, um die FPÖ-Wähler zu sich zu ziehen, entfesselte er einen kleinkarierten Grabenkrieg . Seine Koalition kam darüber zu Fall. Jetzt droht auch Kurz der Sturz.
Es gibt im Moment nur Verlierer. Ebenso die Medien, die sich kurzsichtig auf die Schultern klopfen, stehen als Schmuddelkomplizen im Zwielicht.
Was lernen wir aus der schmierigen Affäre? Politiker sind vogelfrei. Es gibt keine Privatsphäre mehr. Wer in der Öffentlichkeit steht, muss damit rechnen, dass man ihn mit miesen Tricks attackiert.
Und klar: Die Welt ist ungerecht. Die Journalisten helfen heute nicht den Underdogs, sie helfen den Mächtigen, den Etablierten.
Wer sich gegen sie auflehnt, muss schlau sein. Schlauer als die Mächtigen, die er von den Machthebeln verdrängen will.    Köppel

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