Vor ein paar Wochen hatten meine Frau und ich in dieser schönsten und
jugendlichsten Strandstadt der Welt (von Rio abgesehen) Urlaub gemacht,
und schon damals waren Geschosse unterwegs: Es ist ein verdammt
merkwürdiges Gefühl, auf dem Weg zum Restaurant Sirenen aufheulen zu
hören. Unser Hotel nahe dem Rothschild-Boulevard verfügte, wie wir
später erfuhren, »selbstverständlich« über einen Luftschutzkeller –
Standard in einer ansonsten gut gelaunten Stadt, die sich mit der
ständigen Gefahr, angegriffen zu werden, eingerichtet hat.
Dennoch, unsere Generation kennt es nur aus Schilderungen der Eltern:
das Heulen und die plötzliche Pause der Passanten auf der Straße, der
besorgte Blick nach oben, bevor das Treiben weitergeht, ein Moment der
Lähmung, der Angst, dann fließt der Verkehr wieder.
Zwei Raketen, eine landete im Niemandsland, die andere wurde vom israelischen Abwehrschirm »Iron Dome« abgefangen.
Aber 650 Geschosse?
Das wohl Gespenstischste nach der ersten Welle von Raketen vor zwei
Wochen war die hiesige sogenannte Berichterstattung darüber und
über die israelischen Vergeltungsschläge: Da klang es so, als hätte der
frischgewählte Premier Netanjahu seinen Sieg mit Bomben auf Gaza
gefeiert. Die palästinensische Aggression durch die radikalislamische
Hamas, dieses von Teheran finanzierten Kampfverbundes, blieb entweder
unerwähnt oder wurde heruntergespielt als Budenzauber mit
»selbstgemachten Raketen«, den Netanjahu zu innenpolitischen Zwecken
missbrauche.
Schon in Schulbüchern wird dort der Hass auf Israel gepredigt, ja,
dessen Vernichtung ist Staatsräson und sogennante Märtyrer und ihre
Familien können nach erfolgreichen Anschlägen mit lebenslanger
Alimentierung rechnen. Allerdings untersagen die Palestinian Authorities
(PA) nach einer jüngsten Verordnung eine Behandlung von verwundeten
einfachen Kämpfern in israelischen Krankenhäusern – diese bleibt dem
Führungskader vorbehalten.
In der letzten Anne-Will-Runde wurde Donald Trumps Boykott gegen den
Iran diskutiert, der auf die Weigerung der schiitischen Großmacht
erfolgte, von seinem atomaren Aufrüstungsprogramm Abstand zu nehmen.
Naturgemäß für Runden wie diese wurde Trump einmal mehr (Röttgen,
Lambsdorff, Will) als Gefahr Nummer 1 erkannt und von den Anwesenden
tüchtig gerügt.
Bis auf eine hübsche Dame mit dem wunderschönen Namen Melody, nein,
keine Teilnehmerin am Eurovision-Contest, sondern Politikberaterin aus
Tel Aviv, Sucharewicz mit Nachnamen, die den deutschen Scheinriesen
tapfer die angemaßte Weltgeltung auszureden und Realpolitik nahe zu
bringen versuchte.
Während Röttgen weiß, dass »ohne Deutschland gar nichts geht, dazu
ist es zu wichtig«, mahnt Melody Sucharewicz an, dass die Deutschen,
obwohl der Schutz Israels zu ihrer Staatsräson gehöre, dennoch Geschäfte
mit den Mullahs machen, dem erklärten Todfeind ihres Landes, der
einzigen Demokratie im Nahen Osten. Und sie erinnert noch einmal daran,
dass die iranische Führung sich bisher stets als wortbrüchig erwiesen
habe und gefährlicher Kriegstreiber nicht nur im Jemen sei.
»Die Mullahs drohen und die Europäer springen – das darf doch nicht
wahr sein!« Mit ihrer Unentschiedenheit verrieten sie ihre Werte, setzt
sie noch hinzu.
Das allerdings ist offenbar schwer zu vermitteln, besonders den
Staatsmedien, die con brio über die israelischen Präzisionsschläge gegen
Terroristennester im Gazastreifen berichten und die Opfer, die sie
fordern. Tatsächlich grenzt das sogenannte »framing« der
Berichterstattung an einen Skandal, der ständig die Täter und die Opfer
miteinander vetauscht, und das schon seit Jahren.
Nicht erst jene ominöse, vom ›WDR‹ zunächst unter Verschluss
gehaltene, dann auf öffentlichen Druck ausgestrahlte Dokumentation über
die Verfilzungen und Verflechtungen europäischer, besonders deutscher
Hilfsorganisationen mit antiisraelischen Boykotten und Kampagnen öffnete
die Augen über die Doppelzüngigkeit deutscher Beistandsbeteuerungen.
Wenn Bundespräsident Steinmeier Kränze auf Grabstätten von PLO-Führern
niederlegt (wie es auch der britische Sozialistenchef Jeremy Corbyn
tut), wirken deutsche Yad-Vashem-Besuche und »Nie wieder«-Beteuerungen
nur noch schal.
Tatsächlich: Wenn es einen Antisemitismus in Deutschland gibt, der
bis in die Mitte reicht, dann ist es der von links, der sich als
antiisraelische Solidarität mit dem »geknechteten« palästinensischen
Volk tarnt. Das hat Tradition, seit Joschka Fischer, der spätere
Außenminister, 1966* an der PLO-Konferenz in Algier teilnahm, und die mit
den massiven finanziellen Transfers durch Hilfsorganisationen wie »Brot
für die Welt« noch lange nicht auserzählt ist.
Oder ist das Gedicht von Nobelpreisträger Günter Grass »Was gesagt
werden muss« bereits in Vergessenheit geraten, das er anlässlich eines
Verkaufs von deutschen U-Booten an Israel zusammenleimte? Mit Zeilen wie
diesen, dass Israel den »brüchigen Weltfrieden« gefährde und einen
»atomaren Erstschlag« gegen den Iran plane. Kritik an dem von
antisemitischen Stereotypen durchzogenen Strophen beknurrte Grass, die
SPD-Wahlkampfmaschine, als »Gleichschaltung«.
Nicht die dumpfen Schreihälse vom rechten Rand sind das Problem in
unserm Lande, sondern z.B. die Gleichgültigkeit, mit der deutsche
Politik Hunderttausende antisemitischer Moslems einlädt, die sich dann
bisweilen mit linken Verbündeten vor dem Brandenburger Tor zu
Demonstrationen treffen, um »Juden ins Gas« zu grölen. Unter Beteiligung
sogenannter Antifaschisten, die ihren Hass militant und nahezu
ungehindert ausleben, wobei sie sich sicher sein können, einer eher
inoffiziellen Staatsdoktrin zu entsprechen.
Nicht die Höckes sind das Problem, sondern die unterschwelligen
Verharmlosungsversuche der gefährlichsten Gegner Israels, und dazu
gehören nun mal der Iran und sein militanter Ableger, die Hamas im
Gazastreifen. Die im Übrigen, wenn schon von Knechtungen der
Palästinenser die Rede ist, in erster Reihe genannt werden muss – längst
schon nimmt sie die eigene Bevölkerung zur Geisel, sie durchsetzt sie
mit Spitzeln, sie wirft Gegner ins Gefängnis und ist korrupter
Hauptnutznießer der Hunderte von Millionen Euro an Hilfsgeldern, mit
denen sie Waffenlager anlegen, die dann mit zynischem Kalkül – vor
Angriffen sicher – in Krankenhäusern oder Schulen deponiert werden.
Nein, Problem sind eher beschwichtigende Artikel wie jener der ›FAZ‹,
der unter dem Titel »Keine Stornierungswelle« von den Vorbereitungen
auf das Euro-Sängerfest berichten. Untertitel: »Zum Eurovisions Song
Contest werden viel weniger Besucher erwartet als in den vergangenen
Jahren.«
Das liegt selbstverständlich nicht an der durch die
Hamas-Raketen prekär gewordenen Sicherheitslage in Tel Aviv, sondern –
an den hohen Ticketpreisen!**
Für den Reporter scheint es völlig ausgeschlossen, dass sich die
Hamas auf eine Gelegenheit wie diese rüstet, um ein Blutbad unter den
Ungläubigen anzurichten. Viele eher ist Premier Netanjahu der Bösewicht,
der versucht, seinen Einfluss auf das israelische Staatsfernsehen zu
vergrößern.
Ich für meinen Teil habe mich in den letzten Jahren, trotz mannhafter
Versuche, mich für das aufgetakelte Kostüm-Event mit den traurigen
Balladen aus Bulgarien oder den Schmachtfetzen aus Malta zu erwärmen,
stets zu Tode gelangweilt.
Aber diesmal werde ich wohl hinschauen und hoffen, dass es langweilig
bleibt. Und dass die Menschen in Tel Aviv keinen Grund haben,
sorgenvoll in den Himmel zu schauen. Matussek
* Errata corrige
** Den Satz bitte drei mal lesen
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