Zum 1. Mai legte der Juso-Vorsitzende und
ideelle SPD-Chef Kevin Kühnert in einer ZEIT-Vorabmeldung seine Pläne
zur Einführung des Sozialismus in Deutschland dar, nicht schwammig,
sondern sehr konkret am Beispiel der Enteignung von BMW. Der Vorschlag
fand große Beachtung, anders übrigens als die fast zeitgleich
vorgestellte Steuerreform, die Sebastian Kurz in Wien vorstellte. Beide
Meldungen gehören zum besseren Verständnis der Gegenwart zusammen,
einschließlich ihres jeweiligen Medienechos.
In dem ZEIT-Interview begründet Kühnert, warum wir alle um Enteignungen nicht herumkommen: „Ohne Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar.“
Das trifft sogar zu.
Am Beispiel des Autoherstellers BMW exerzierte er dann durch, wie die Plünderung von Eigentum vonstatten gehen soll:
„Mir ist weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW
,staatlicher Automobilbetrieb‘ steht oder ,genossenschaftlicher
Automobilbetrieb‘ oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in
dieser Form nicht mehr braucht.“
Jedenfalls müsse die Verteilung der Profite demokratisch kontrolliert werden. „Das schließt aus, dass es einen kapitalistischen Eigentümer dieses Betriebes gibt.“
In
aller Regel schließt eine Kollektivierung auch aus, dass es Profite
gibt, selbst dann, wenn ein Unternehmen – etwa die größte
Erdöl-Förderfirma Venezuelas – auf den ersten Blick so wirkt, als wäre sie unruinierbar.
An dem von ihm gewählten Beispiel BMW lässt sich gut erklären, was
reaktionäre Politik regressiver Linker heute bedeutet. Das Unternehmen
hat nämlich nicht einen Eigentümer, sondern ziemlich viele. Manche davon
wohnen wahrscheinlich auch in Kühnerts Nachbarschaft, der eine oder
andere hatte zu Zeiten, da das gegenwärtige Führungskollektiv die SPD
alten Typs noch nicht überwunden hatte, womöglich sogar
sozialdemokratisch gewählt. Die Bayerische Motoren Werke AG zeichnen
sich durch einen ziemlich großen Streubesitz aus – er liegt bei 53,2
Prozent. Susanne Klatten und die Familie Quandt, die meist als
Eigentümer genannt werden, halten gerade 21,1 Prozent der Aktien direkt.
Daneben gehört der Eigner.-Familie ein Teil des Unternehmens über die
Gesellschaft Aqton. Aber selbst alles zusammen ergibt noch keine
Mehrheitsbeteiligung.
An der Börse gehört die BMW-Aktie zu den langweiligen Papieren, die
sich über Jahre hinweg ohne extreme Schwankungen bewegen, und eine zwar
nicht gewaltige, aber zuverlässige Dividende ausschütten. Für Investoren
mit großer Gewinnerwartung kommt sie deshalb nicht in Frage, dafür um
so mehr für Wertpapiereinkäufer von Lebensversicherungen und
Betriebsrentenfonds. Wer eine Lebensversicherung, einen Riester-Vertrag
oder eine branchenspezifische Zusatzaltersvorsorge besitzt, der ist auch
mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit indirekter Eigner von
BMW-Aktien. Und jeder Käufer eines Aktienfonds, der den Dax abbildet,
sowieso. BMW gehört also schon einem Kollektiv: nämlich denjenigen, die
Anteile an dem Konzern erworben haben, weil sie glauben, dass nur sie
selbst sich aus dem Elend erlösen können. Wahrscheinlich sind mehr
Einzelpersonen auf die eine oder andere Weise an BMW beteiligt als über
das Mitgliedsbuch an der SPD.Um die Überwindung des Kapitalismus
voranzutreiben – in Kühnerts Heimatstadt Berlin ist der Kapitalismus
übrigens schon so gut wie abgeschafft – will der Juso-Vorsitzende die
BMW-Aktionäre also enteignen, was nur konsequent ist. Denn erst dann
kann ein kevinistisches Kollektiv entscheiden, dass es BMW in dieser
oder irgendeiner anderen Form nicht mehr braucht. Solange die
Altersvorsorge von ein paar hunderttausend Menschen daran hängt, dass
BMW noch Gewinne einfährt, solange wird das Management dafür sorgen,
dass Gewinne nach Investitionen und Steuern nur an die Anteilseigner
verteilt werden, und die Eigner wiederum, so kapitalistisch, so
unflexibel, werden darauf dringen, dass das so bleibt. Ohne Enteignung
ändert sich daran in der Tat nichts.
Und jetzt der Blick nach Wien,
wo Bundeskanzler Sebastian Kurz, den Kühnert wenn nicht gerade für einen
Neonazi, so doch zumindest für neonazinah hält,
seine Steuerreform für die kommenden Jahre vorstellte.
Seit Anfang 2019 gilt in Österreich schon der sogenannte Kinderbonus
von 1 500 Euro, der dazu führt, dass eine Normalverdiener-Familie mit
zwei Kindern ungefähr ein Monatsgehalt netto pro Jahr mehr bekommt. Die
neue Steuerreform sieht zusätzliche Entlastungen von 8,2 Milliarden Euro
bis 2022 vor – erst durch die Reduzierung von Sozialabgaben 2019, ab
2021 auch durch die Senkung der Einkommenssteuer. Von dem ersten Schritt
profitieren Arbeitnehmer, beim zweiten profitieren sie mit.
Die
beiden Modelle zeigen also sehr eindrücklich den Unterschied zwischen
progressistischer und reaktionärer Politik. Während Kühnert, wenn man
ihn ließe, Bürger zum Zweck der Kollektivierung gern pauperisieren und
wieder zu den Verdammten dieser Erde machen würde, verfolgt der rechte
Kurz mit seinem noch rechterer Koalitionspartner das Ziel, ihnen mehr
von ihrem erarbeiteten Geld zur Verfügung zu lassen, auf dass sie damit
privat, erratisch und staatlich unangeleitet tun können, was sie für
richtig halten.
Wie gut sich mit dem ersten Weg der Kapitalismus
und am Ende auch der privatanarchische Konsum von Lebensmitteln und
Toilettenpapier überwinden lässt, dafür bietet Venezuela derzeit eine
praktische Anschauung, ein Land, in dem so genannte Collectivos im Auftrag eines Präsidenten für Ordnung sorgen, der gewissermaßen den konsequentesten Gegenentwurf zu Kurz darstellt.
Und nun zum jeweiligen Medienecho. In deutschen Medien kam Kurz’ Steuerreform nur spärlich vor, in der Tagesschau
etwa nur ganz am Rande eines größeren Berichts, in dem es
ausschließlich über die FPÖ und deren Streit mit einem dortigen
öffentlich-rechtlichen TV-Moderator ging.
Die Tagesschau lieferte zu der Steuerreform keine eigenen Informationen, sondern verlinkte nur einen Beitrag des ORF.
Kühnerts Aufforderung zur Plünderung wurde von etlichen Qualitätsmedien
fast kommentarlos wiedergegeben, jedenfalls ohne Einordnungshilfen wie
„linkspopulistisch“ und „krude“, und auch ohne beigefügte
Empörungstweets und Forderungen nach Parteiausschluss.
Schließlich
hatte der Juso-Vorsitzende auch keine Kritik an der Imagekampagne der
Bahn vorgetragen wie Boris Palmer, sondern nur vorgeschlagen, den
Wohlstand in Deutschland im Zuge einer gründlichen Durchkollektivierung
zu vernichten.
Am 26. Mai findet die Europawahl statt. Viele
Politiker überlegen derzeit, wie sie diesen Wahlgang attraktiver für die
Bürger machen könnten. Es wäre ganz einfach: Jeder EU-Bürger sollte
eine Partei wählen können, deren Politiker für Brüssel und Straßburg
antreten. Von den gut 62 Millionen deutschen Wahlberechtigten könnte
dann jeder, der es wünscht, die Partei von Sebastian Kurz ankreuzen.
Umgekehrt stünde es jedem Polen, Italiener und sogar noch jedem Briten frei, sich für die SPD Kevin Kühnerts zu entscheiden.
Völker
hören die Signale einem bekannten, wenn auch von der Kühnertpartei
schon glücklich überwundenem Liedgut zufolge ziemlich gut. Es gibt also
nichts zu befürchten. Wendt
Wenn ich die Partei von Kurz wählen könnte, würden sich war alle beklagen, dass das europäische Parlament die Bürgernähe erst recht verloren hat, andererseits würde Europa durch diese Möglichkeit im Sinne transnationalen Konsenses endlich ein bisschen an der Basis zusammenrücken.
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