Stationen

Donnerstag, 17. März 2022

"Der gesunde Menschenverstand ist so selten wie Genie" Ralph Waldo Emerson

 

„Stellen Sie sich vor, einer mache sich daran, ein Haus zu errichten, und der einzige Plan, den er hat, erschöpfe sich im Niederreißen der alten Mauern, während seine Vision für das Neue allein in der konsequenten Umkehrung sämtlicher bekannter Regeln der Baukunst bestünde.“

Mit diesem Gleichnis beginnt die Schweizer Autorin Monika Hausammann ihren Buchessay (sie selbst nennt ihn „eine Ansage“) „Die große Verkehrung“. Was sich verkehrt, ist klar: Es geht um das in immer schnellerem Tempo und mit wachsender Gründlichkeit ins Werk gesetzte Auf-den-Kopf-stellen und schlussendliche Niederreißen der westlichen Zivilisa tion, betrieben von einem Großteil der westlichen sogenannten Eliten, ohne einen soliden Plan, wie es danach weitergehen soll. Dieses so närrische wie eifrige Sägen am eigenen Ast gehört zu den absonderlichsten Phänomenen keineswegs nur unserer Zeit, sondern der Menschheitsgeschichte überhaupt. Aber was wollen Sie, nicht jeder erhält die Gelegenheit, einer Hochkultur bei ihrem Untergang zuzuschauen!

Ein Buch, das so anhebt, liest unsereins natürlich mit heiterem Grimm weiter; wenn man den Irren schon nicht das Hand- bzw. Maulwerk legen kann, weil der deutsche Michel ihnen in seiner obergrenzenlosen Staats- und Regierungsfrömmigkeit huldigt und sie unbeirrt in sämtliche zur weiteren Landesdemolierung tauglichen Ämter wählt, so tröstet eine gallige Diagnose doch über die eine oder andere Tristesse hinweg. Madame Hausammann, gebürtige Bernerin übrigens und studierte Betriebswirtschaftlerin, die seit langem irgendwo in Südfrankreich auf dem Land lebt und dort unter dem Pseudonym Frank Jordan subversive Politthriller schreibt, die im libertären Lichtschlag-Verlag erscheinen, begnügt sich aber nicht nur mit einer so schonungslosen wie boshaften Analyse der Lage, der ich Zeile für Zeile beipflichte, sondern geht in eine Richtung weiter, auf die der Untertitel ihres Werkes hinweist; er lautet: „Dem Humanismus mit biblischem Denken begegnen“.

„Machen Sie die Probe aufs Exempel”, empfiehlt die Autorin, „und nehmen Sie irgendeinen Grundsatz, ein Gebot oder eine Wenn-Dann-Aussage der Bibel, und Sie werden feststellen, dass die zeitgeistigen Verlautbarungen und die konkreten Bemühungen der Meinungsindustrie auf ihre Relativierung, ihre Auflösung oder ihre Umkehr ins Gegenteil hinauslaufen.” Warum aber gerade die Bibel? Antwort: „Weil die biblische Geschichte eine Befreiungsgeschichte ist, die auch für die Tyrannen der Buntheit, der Inklusion, der Gerechtigkeit und der Toleranz eine Gefahr darstellt.“

Es geht also um das Menschenbild, genauer: um zwei Menschenbilder. Wer ist freier, der Mensch der Neuen Weltordnung, beispielsweise des World Economic Forum – oder der Mensch der Bibel?

Beginnen wir mit Ersterem. Außer seinem Dasein, lesen wir, kenne er keinen höheren Sinn. Die „heutige Humanismus-Rhetorik“ – Monika Hausammann verwendet den Begriff eher im Sinne des „Humanitarismus”; vom klassischen Humanismus ist ja wenig übriggeblieben – propagiere ein Menschentum nach dem „Konzept des leeren Gefäßes“ (oder in der Version, die der Evolutionspsychologe Steven Pinker zurückwies, des „unbeschriebenen Blatts“). Eigenschaftslos, ohne genetische und kulturelle Mitgift komme der Mensch zur Welt und müsse nur mit den richtigen Ideen „gefüllt” werden, damit die Gesellschaft nimmermehr Mangel an nützlichen Gliedern leidet. Dass es sich bei diesem Konzept um eine erwünschte Illusion handelt, zeigt sich früh: „Wo bereits ab dem Kleinkindalter etwas korrigiert werden muss, ist nicht nichts.”

Ein solcherart ins Kollektivistische pervertierter Humanismus erzeuge „Wesen von identitätsloser Leere“, die „zufällig und ausschließlich sich selbst gehören“, und zwar „bis in den (selbstbestimmten) Tod hinein“; darin bestünde, „so heißt es, die Würde des Einzelnen“. Jede „geschichtliche, genetische, geistige, soziale oder materielle Mitgift” müsse im Interesse der neuen Welt „beseitigt” werden.

Wir erleben einen Kampf gegen die biologische und geschichtliche Verfasstheit des (einstweilen nur westlichen) Menschen. Die Bataille läuft bereits ein paar Jahre, und man muss ihr ankreiden, dass sie nicht wenigstens ein paar ehrbare Tote produziert, sondern lauter Zombies, deren „größte Kompetenz das Funktionieren, das Konsumieren und das permanente Sich-Vermarkten als Nicht-Wissender, Nicht-Verwurzelter, Nicht-Aneckender, Nicht-Diskrimierender, Nicht-Verletzender und Nicht-Urteilender zu sein” scheint.

Dieser Menschentypus, lesen wir weiter, sei immer nur ein Betroffener, aber nie der Urheber seines Geschicks. Verantwortung sei ihm fremd; die Aufforderung, sich selbständig seines Verstandes zu bedienen, würde ihn „triggern”. Allein dass ich ihn „ihn” nenne, würde ihn/sie/es „triggern”. Für ihn befinde sich „das Böse ausschließlich im Außen“. Die groteske Überzeugung dieser Klientel laute: „Du bist zwar leer, heimat- und identitätslos, aber gut. Ausschließlich gut. Was du fühlst, ist immer richtig.“ Ein „lebensfeindlicher Widersinn“ werde „zur allgemeingültigen Moral erhoben“. Dieses Spiel ohne Grenzen ende als sozialdarwinistischer Wettbewerb im Opfersein. Eine „Gesellschaft von Judassen“ – die sogenannte Zivilgesellschaft – entsteht. Die Politik passt sich dem Twittermob an, indem sie die große Verkehrung zum Regierungshandeln macht und uralte Weltgesetze auszuhebeln sucht. „Im Auseinanderreißen und Neu-Deuten der seit jeher aufeinander bezogenen Größen von Leistung und Lohn, Investition und Ertrag, Opfer und Segen basiert nicht weniger als der größte Teil dessen, was sich heute Politik nennt.”

Frau Hausammann erinnert daran, dass Freiheit „etwas ganz anderes bedeutet, als viele heute wohl darunter verstehen”, dass sie keine Gabe oder gar ein Recht sei, „sondern eine Aufgabe im Sinne einer Zumutung, einer Bürde, einer Last und damit einer Gefährdung”. Diese Freiheit findet sie im Menschenbild der Bibel. Es stehe „in radikaler Opposition zum Menschenbild von heute. Der Mensch der Bibel ist kein zufällig ‚ins Nichts Geworfener’, sondern ein in jedem Fall Gewollter, Gerufener und Geliebter. Er ist nicht identitätslos in sich ruhendes und zur Selbsterschaffung auf sich selbst und sein Inneres gerichtetes ‚Ich’, sondern persönlich in seiner Identität angesprochen und damit auf ein Außerhalb, auf das ‚Du‘ Gottes hin, erschaffen und bezogen.”

Das ist bekanntlich eine Glaubensfrage und wiederum eine Illusion, aber erstens hat der Mensch eine Schwäche für „die Sache mit Gott” (Heinz Zahrnt), zweitens bedarf die Überlebensfitness der Irreligiösen über Generationen hinweg noch belastbarer Beweise, drittens findet auch ein Ungläubiger, wenn es sich um einen intelligenten handelt, die Ersatzreligionen der Bolschewoken dermaßen widersinnig und abstoßend, dass er sich eher in den Schoß der heiligen Mutter Kirche begeben oder zum Islam konvertieren wird, als sich diesen Lemuren anzuschließen.

„Die Bibel betreibt in Bezug auf den Menschen weder Schönfärberei noch Dramatisierung”, sie zeige ihn, „wie er ist: berufen zur Freiheit und gleichzeitig in steter Versuchung”. Anders als in der Selbstwahrnehmung unserer grundguten – Grundgütiger! – woken Schneeflöckchen liege „das Böse als stets lauernde Möglichkeit” in ihm. Aber „das ‚Dennoch‘ Gottes zum Menschen” verschafft dem Gläubigen jene Freiheit, um die ihn ein Ungläubiger nur glühend beneiden kann. „Wer in der Furcht Gottes lebt, muss nichts mehr fürchten”, sagt z.B. Norbert Bolz). Das wissen übrigens die Islamisten auch!!

„Fürchtet euch nicht” ruft der Engel des Herrn; „fürchte dich nicht”, echot es aus einem Haus irgendwo in Frankreich. Das „gewaltige Wort, das die Menschen durch die Zeit hindurch aus jeder Knechtschaft ruft”, verheiße die „Befreiung von jeder Angst und Furcht bewirtschaftenden weltlichen Macht – sei es Staat, Kirche, Wissenschaft oder Mehrheit”. Die Bibel sage: „Der Mensch ist nicht gut, und sein Leben ist hart, schmerzhaft und traumatisierend. Punkt. Aber das Wort Gottes garantiert und versichert, dass der Mensch in all dem nicht ins Nichts geworfen ist.“

Und das ist die Frohe Botschaft nach Hausammann: „Wer eine Wahl hat, ist kein Opfer.“

 

„Während man noch vorgibt, eine ‚Wahrheit ohne Gott‘ zu erschaffen, hat man längst einen ‚Gott ohne Wahrheit‘ installiert und mit ihm einen innerweltlichen Götzenkult des Materiellen auf der einen Seite, des Relativen, Willkürlichen, Verschwommenen und Vernebelten, das zur Moral erhoben wird, auf der anderen”, schreibt Monika Hausammann. „Es ist die totale Verwirrung.”

Diabolos ist bekanntlich der Verwirrer und Durcheinanderwerfer. Als teuflisch empfand Joseph de Maistre die französische Revolution, als teuflisch empfinde ich das Treiben der woken Garden in ihrer merkwürdigen Allianz mit Big Data und Big Money, die uns am Nasenring des Antirassismus und der Antidiskriminierung – mehr als „Anti-” vermag der Teufel nicht – in ein satanisches Reich der Lüge zerren wollen.

Vielleicht ist die Rechristianisierung des Westens – Michel Houellebecq etwa sieht das so – der Weg, diese Zivilisation am Leben zu erhalten, der Ausbreitung des Islam zu wehren wie in den Jahrhunderten zuvor und der Versklavung der Gattung durch eine planetarische Überwachungs-KI wenigstens etwas entgegenzusetzen, weil eine KI den Glauben weder verstehen noch imitieren kann.

Man muss nicht einmal zwingend mit Hausammann an den lebendigen Gott glauben, es genügt, die christliche Tradition als konstitutiv für unsere Welt zu begreifen, von der sich zu verabschieden auf „geistigen Selbstmord“ (nochmals Norbert Bolz) hinausläuft. Es ist absurd zu glauben, dass alles, was die vielen Generationen vor uns leben und überleben ließ, was sie befähigte, die großartigste aller Zivilisationen zu schaffen, plötzlich überholt sei, dass diese Generationen vor uns, denen wir alles verdanken, was uns heute als Komfort dient, und die dafür entbehrt, geschuftet, geopfert, geblutet und gelitten haben, komplett falsch lagen, und ausgerechnet die Heutigen, die nichts erlitten, nichts entbehrt, nichts verehrt, nichts gelernt, nichts geschaffen haben, sondern nur alles aufzehren, kritisieren und demolieren können, dass diese Generation übergeschnappter und wohlstandsverwahrloster Mitläufer, diese Generation Fatzke berufen sei, der Menschheit den Weg zu weisen.

 

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