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Donnerstag, 17. März 2022

Was die AfD zur Zeit falsch macht

 Alles spricht vom Ukrainekrieg. Ich selbst berichte auch seit zwei Wochen über jede Frontveränderung. Dabei gerät oft aus dem Blick, daß vor jedem geopolitischen Einfluß erst eine nationalpolitische Gestaltungsmacht gegeben sein muß. Von dieser ist die AfD nach Ansicht vieler Beobachter jetzt noch einen Schritt weiter entfernt. Verfügte doch am 8.3. ein Beschluß des Verwaltungsgerichts Köln, daß die gesamte Partei einen „Verdachtsfall“ darstellt.

Wie beim NPD-Verbotsverfahren bereits legal definiert wurde, sind der „ethnische Volksbegriff“ und der Versuch einen „Bestand“ zu erhalten, verfassungsfeindlich. Konsequenterweise müßte die Partei sich nun selbst auf die Unvereinbarkeitsliste setzen.

Dieser Vorfall zeigt dem rechten Lager, woran der „Parlamentspatriotismus“ scheitern muß. Ich nenne so die derzeit vorherrschende rechte Leitstrategie. Man will die politische Macht in den Parlamenten durch Stimmenmaximierung im Rahmen des bestehenden Diskurses erringen.

Der Parlamentspatriotismus setzt auf maximale Stromlinienförmigkeit in ideologischen Grundsatzfragen. Gleichzeitig zielt er auf maximale Provokation bei der Empörung über Oberflächenphänomene des Bevölkerungsaustauschs ab. Damit trifft er direkt das Gemüt der „schweigenden Mehrheit“ und erzielt oft größere Wahlerfolge. Er fokussiert alle Ressourcen auf die Erlangung parlamentarischer Mehrheiten zulasten der Theoriebildung, der Bewegung, der Metapolitik und Hochschulpolitik. Das rechtspopulistische „Protestwellenreiten“ springt so von einem kurzfristigen Erfolg zum nächsten, konnte aber bisher nirgends nachhaltige Veränderungen der Bevölkerungs- und Identitätspolitik bewirken.

Der Diskursrahmen hat sich entscheidend nach links verschoben und jeden abweichenden Volksbegriff aus dem Bereich des Sagbaren bugsiert. Bald wird er sich auch im Bereich des Strafbaren befinden, den die „Verfassungswidrigkeit“ indiziert. Wenn eine Partei, die sich nun ganz offensichtlich in einer radikalen Systemopposition befindet, so tut, als wäre das nicht der Fall und auf metapolitische und „revolutionäre“ Arbeit verzichtet, führt das nicht zu ihrer Normalisierung, sondern zu ihrer Auslöschung.

Der Parlamentspatriotismus der AfD beruht auf einem falschen Machtbegriff und einer falschen, besser: unterlassenen Systemanalyse. Diese ist in wenigen Lesestunden im großartigen Buch Die Systemfrage von Manfred Kleine-Hartlage nachzuholen. Das „Kartell“, das von einer Doktrin beherrscht wird, gaukelt eine Demokratiesimulation vor. Die Bühne dieser Simulation ist selbstverständlich nicht das Machtzentrum des Systems. Der Parlamentspatriotismus setzt jedoch alles darauf, durch populistische Stimmenmaximierung genau dorthin, sprich ins Parlament, einzuziehen.

Im Zuge dieses Unterfangens verzichtet er „pragmatisch“ auf die notwendige und schmerzhafte „revolutionäre“ ideenpolitische Arbeit. In einer militärischen Metapher ausgedrückt: Er wirft alle Ressourcen gegen eine bestimmte Stellung, deren Eroberung für den Krieg aber völlig bedeutungslos ist. Während er das tut, dezimiert der Gegner von der eigentlichen Machtposition aus seine Kräfte.

Folgt sie dem Parlamentspatriotismus, so kann eine rechte Partei für das gesamte Lager sogar abträglich sein. Das Prinzip der kurzfristigen Stimmenmaximierung und die Anschlußfähigkeit um jeden Preis führen zum Gebot der Distanzierung.

Andere Bereiche des rechten Lagers, namentlich Theoriebildung und Bewegung, werden dabei als Störfaktoren betrachtet, welche „die Presse gegen einen verwendet“. Maximal sieht man sie als Reservoir für loyale Arbeitskräfte, die man einstellt und so möglicherweise aus dem metapolitischen Kampf ausschaltet. Jede ernsthafte Arbeit an Inhalten wird als lästig oder gefährlich betrachtet. Hochschulpolitik, die ebenfalls keine unmittelbaren parlamentarischen Früchte trägt, wird überhaupt komplett verworfen. Gefördert werden primär taktische Fertigkeiten, die der Stimmenmaximierung im Wahlkampf dienen, und sich im Bereich von Rhetorik, Marketing, Organisation und Rechts- und Finanzfragen bewegen. Um die pragmatische Anschlußfähigkeit nicht zu gefährden, wird jede Gegenkultur in einem Kontrollwahn erstickt. Diese falsche Pragmatik führt aber am Ende gerade nicht zum konkreten Erfolg. Die Partei im Bann des Parlamentspatriotismus kann also eine lähmende, ja „vampirische“ Wirkung auf weite Bereiche des Vorfelds haben.

In dieser Verfassung sind rechte Parteien oft sogar stabilisierende Faktoren, da sie als rechtes Feigenblatt der Demokratiesimulation fungieren. Paradoxerweise brüstet man sich vonseiten der Etablierten ja gelegentlich gerne mit der NPD. Ihre marginalisierte Existenz beweist einerseits, daß die „wehrhafte Demokratie“ sogar diese Ideologie „aushalte“, und andererseits, daß sie „im freien Wettbewerb der Ideen“ keine Chance habe. Gibt es eine Alternative zur AfD als parlamentspatriotischer Partei? Ja, sie existiert bereits in den Herzen und Köpfen zahlreicher Vertreter und Funktionäre. Jene, für die diese „Beobachtung“ kein eiskalter Schock, sondern vielmehr Ansporn und Herausforderung ist, zählen dazu. Die Zäsur der VS-Beobachtung kann Schrittmacher dafür sein, daß nach einer radikalen Kritik des Parlamentspatriotismus endlich eine andere rechte Leitstrategie entsteht. Eine falsche Strategie schadet allen Bereichen des rechten Lagers durch eine falsche Machtanalyse und Ressourcenverteilung.

Die richtige Strategie hingegen fügt Partei, Bewegung, Theoriebildung, Gegenkultur und Gegenöffentlichkeit in ihre effektiven Idealformen. Das Schlagwort für diese richtige Leitstrategie lautet „Reconquista“, und sie besteht nach wie vor in einer „Kulturrevolution von rechts“. Genauso wichtig wie gewonnene Wahlkämpfe sind darin gesetzte (oder zerstörte) Ideen und Begriffe. Hochschulpolitik muß ebenso ernst genommen und mit Ressourcen versorgt werden wie andere politische Brandherde. Das Vorfeld kann nicht als parteipolitische Peripherie, sondern muß als die eigentliche „metapolitische Frontlinie“ verstanden werden. Bewegung und Theoriebildung sind daher nicht Störfaktor oder Personalreservoir, sondern Partner in einer gemeinsamen Mission. Wo ist der entscheidende theoretische Abschnitt dieser „metapolitischen Front“?


Die erste Aufgabe besteht in der Rückeroberung des Volksbegriffs inmitten einer totalitären Demokratiesimulation. Erst, wenn es einen diskursfähigen, identitären Volksbegriff gibt, werden identitäre Maßnahmen gegen den Bevölkerungsaustausch politikfähig. Jede Arbeit an letzterem, bevor ersteres etabliert ist, ist eine fruchtlose Vergeudung von Ressourcen. Auch die AfD als Massenpartei muß erkennen, daß ohne einen anschlußfähigen, alternativen Volksbegriff und ein visionäres bevölkerungspolitisches Konzept echte Migrationskritik nicht machbar ist. Vorstöße von Denkern wie Martin Wagener zeigen, wie unerforscht dieses geistige Brachland ist. Es braucht hier authentische und zukunftsweisende Konzepte, die sich jenseits von realitätsfremden „verfassungspatriotischen“ oder multikulturalistischen Utopien sowie altrechten Klischeebildern bewegen.

Daß jeder alternative Volksbegriff relativ zum Bestehenden revolutionär ist und von der Demokratiesimulation bekämpft wird, ist zu antizipieren. Diesen Kämpfen kann man nicht ausweichen. Man muß sich ihnen – taktisch klug und mit einer metapolitischen Langzeitstrategie – stellen. Der politische, aktivistische und intellektuelle Kampf gegen die angebliche „Verfassungswidrigkeit“ eines alternativen Volksbegriffs ist die derzeit entscheidende Aufgabe des rechten Lagers inklusive der AfD. Die „Enttabuisierung“ des Volks, der demographischen Frage und der Kritik des Bevölkerungsaustausch ist viel wichtiger als einige Prozente mehr oder weniger. Das ist der provokante Schlüsselsatz einer alternativen Leitstrategie.

Ist das rechte Lager überhaupt fähig, dieses metapolitische Ziel zu erreichen? Das kann man mit Sicherheit nicht verneinen oder bejahen. Unleugbar ist jedoch, dass der Parlamentspatriotismus viele Ressourcen zur Erreichung eines derzeit unerreichbaren Ziels bindet. Ohne Enttabuisierung bestimmter Begriffe und Themen ist jeder Versuch der Massetauglichkeit zum Scheitern oder zur völligen Selbstverleugnung verurteilt. Parallel zu dieser theoretischen Arbeit gilt es daher, ausgehend von einer schonungslosen Systemanalyse, eine metapolitische „rechte Revolutionstheorie“ zu entwerfen. Wie können diese Begriffe und Ideen in einem koordinierten Wirken aller Akteure des rechten Lagers enttabuisiert und verankert werden? Die Systemanalyse hat Manfred Kleine-Hartlage in seinem neuesten Buch geleistet. Auch Benedikt Kaiser widmet sich dem Themenfeld und erklärt in einem mit Spannung erwarteten Kaplaken das Verhältnis von Partei und Vorfeld. Ich selbst arbeite im Moment auch an einem Buch, das einen Überblick über die Vielzahl an falschen, rechten Strategien liefern und den erwähnten Entwurf versucht.

Blicken wir von der nationalpolitischen Misere wieder zurück zur Weltpolitik, so scheint es nicht unwahrscheinlich, daß gewisse Ereignisse politische Entwicklungen massiv beschleunigen könnten. Die Beeinflussung von Lieferketten, die steigenden Rohstoffpreise, Hungersnöte und dadurch ausgelöste Massenmigrationen wirken wie ein Rezept für Chaos und Umwälzungen.

Viele Westeuropäer hoffen, die Sanktionen würden zu einem „regime change“ in Rußland führen. Das Gegenteil ist vielleicht der Fall: Die Russen sind es gewohnt, für ihre Großraumpolitik zu leiden und politisch und medial unterdrückt zu werden. Die Bereitschaft der Westeuropäer, für einen fremden Konflikt Massenverarmung hinzunehmen, ist wahrscheinlich nicht gegeben. Die Kriege und Wirtschaftskrisen könnten daher auch zu raschen Regierungs- und Machtwechseln in Europa führen. Höchste Zeit für die Opposition, ihr falsches Machtverständnis abzulegen und den Parlamentspatriotismus samt Populismus als das zu sehen, was sie sind: eine gescheiterte und schädliche Leitstrategie.  MS

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