Stationen

Dienstag, 7. Mai 2019

Rätselhafte Ermordung eines italienischen Kommunisten


Giulio Regeni

ROM, 6. Mai
Seit 2016 hängt eine große gelbe Flagge am Rathaus von Triest: „Verità per Giulio Regeni“ steht darauf. Gut drei Jahre nach dem grausamen und rätselhaften Tod des Doktoranden der Universität Cambridge, der aus dem norditalienischen Triest stammte, scheint die „Wahrheit für Giulio Regeni“ näher als je zuvor. Jedenfalls legen dies Berichte italienischer Medien der vergangenen Tage nahe. Danach kann es nach den Aussagen eines anonymen Zeugen keinen Zweifel mehr daran geben, dass Regeni vom ägyptischen Geheimdienst ermordet wurde.
Regeni hatte erst eine gute Woche zuvor in Kairo seinen eigenen 28. Geburtstag gefeiert, als er am 25. Januar 2016 auf dem Weg zur Geburtstagsparty eines Freundes spurlos verschwand. Eine SMS auf dem Weg zur U-Bahn-Station „El Bohoth“, wonach er unterwegs sei und bald bei der Feier eintreffen werde, war seine letzte Nachricht. Doch Regeni kam nie in der Wohnung nahe des Tahrir-Platzes an. Anrufe der besorgten Freunde auf Regenis Mobiltelefon blieben unbeantwortet: Das Gerät war abgeschaltet.
Der 25. Januar 2016 war kein gewöhnlicher Tag: Fünf Jahre zuvor hatte mit einer Massendemonstration auf dem Tahrir-Platz von Kairo die ägyptische Revolution gegen Präsident Husni Mubarak begonnen. Auf die Revolution von 2011 folgte die Herrschaft der Muslimbrüder unter Präsident Muhammad Mursi, die nach weiteren Massenprotesten und dem Militärputsch vom 3. Juli 2013 unter Führung des damaligen Verteidigungsministers und heutigen Präsidenten Abd al Fattah al Sisi zu einem jähen Ende kam. Am fünften Jahrestag der Revolution gegen Mubarak wimmelte es jedenfalls um den Tahrir-Platz von Sicherheitskräften in Uniform und in Zivil, weil das Regime jeden Protest zu unterbinden entschlossen war. Regenis Leichnam wurde zehn Tage nach seinem Verschwinden am Rande der Autobahn nach Alexandria gefunden. Der von der Gürtellinie abwärts unbekleidete Leichnam wies grässliche Folterspuren auf, wie eine zweite Obduktion nach der Überführung nach Italien ergab. Es fehlten die Finger- und Fußnägel. Mehrere Rippen, die Schultern und ein Wirbel waren gebrochen. Am Oberkörper fanden sich Brandwunden von Zigaretten, am Unterkörper von Elektroden. Der Tod, so die italienischen Gerichtsmediziner, musste nach mehrtägigen Folterqualen durch Verbluten eingetreten sein. Als Regeni am 12. Februar 2016 in Italien beerdigt wurde, waren alle bis dahin erfolgten Erklärungen der ägyptischen Behörden über die Todesumstände längst ad absurdum geführt. Zuerst hatte es geheißen, Regeni sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Dann wurde eine auf die Entführung von Ausländern spezialisierte und angeblich von den Sicherheitskräften bei einer Schießerei getötete vierköpfige Bande des Verbrechens bezichtigt. Schließlich sollten es islamistische Terroristen gewesen sein.
Doch die Folterspuren ließen in Italien kaum jemanden daran zweifeln, dass „Profis“ Regeni zu Tode gebracht hatten. Rom zog im April 2016 seinen Botschafter aus Kairo ab, weil die ägyptischen Behörden mauerten. Doch weil die diplomatischen Beziehungen zu Ägypten zu wichtig waren, wurde im Jahr darauf ein neuer italienischer Botschafter nach Kairo entsandt. In italienischen und internationalen Medien wurde darüber spekuliert, Regenis Doktorarbeit über die Rolle der Gewerkschaft der Straßenhändler in Ägypten könnte das Regime gegen ihn aufgebracht haben. Tatsächlich hatte einer von Regenis Gesprächspartnern aus der Gewerkschaftsführung die Sicherheitsbehörden über das Forschungsinteresse des jungen Italieners informiert, der neben seiner Muttersprache auch Arabisch, dazu Englisch und Spanisch sprach.
Auf Grundlage eigener Ermittlungen erstellten die italienischen Behörden eine Liste von fünf Mitarbeitern des ägyptischen Geheimdienstes, die am Verschwinden Regenis beteiligt gewesen sein sollen. Kairo sagte Unterstützung zu, gab aber keine. Einer dieser Verdächtigen wird nun auch von dem anonymen Zeugen genannt, der sich nach den jüngsten italienischen Presseberichten an die Familie Regenis und an die italienischen Ermittler gewendet hat. Danach will der Zeuge bei einem internationalen Treffen von Sicherheitskräften vom Sommer 2017 in einem nicht genannten afrikanischen Land ein Gespräch mitgehört haben, bei welchem ein Ägypter einem Polizisten aus einem anderen arabischen Land über den Vorfall mit dem „italienischen Jungen“ berichtete. Man habe den Italiener irrtümlich für einen britischen Spion gehalten, er selbst sei an der Verschleppung, den Misshandlungen und Folterungen beteiligt gewesen, soll der Ägypter seinem Gesprächspartner berichtet haben. Dessen Namen will der anonyme Zeuge erfahren haben, weil der Ägypter mit dem Gesprächspartner Visitenkarten ausgetauscht habe.
Die Ermittler in Rom halten diese Version des Tathergangs für glaubwürdig, berichten italienische Medien. Die neuen Akten wurden an die ägyptischen Behörden geschickt, mit der Bitte um Kooperation und Amtshilfe.  Matthias Rüb in der FAZ

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.