Stationen

Freitag, 18. September 2020

Lauter kleine Sehnsuchtstode

„Wild thing, you make …“ – dann brach der Leadsänger mit einem „Tock“ im Lautsprecher, brach auch der Gitarrendonner ab. Das war 1968, ich war vierzehn, und in der Aula des Jesuiteninternats Aloisius-Kolleg in Bad Godesberg (Ako) hatte sich das Parkett gebogen. Gefeiert wurde die Übergabe der Abiturzeugnisse unter anderem an meinen großen Bruder, und in diesem Jahr war diese angereichert durch eine Einlage der Ako-Band „Young loud creatures“ oder so ähnlich.

Ich hätte aufschreien können vor Vergnügen. „Wild thing, you make my heart sing, you make everything groovy …“, es war so herrlich laut und schön überraschend, die Eltern runzelten die Brauen, und die Patres schauten verdutzt, bis einer von ihnen aufsprang, den Stecker zog und für bleierne Stille sorgte.
Drei Jahre später, als ich bereits in einer maoistischen, aber dennoch Kiffer-WG wohnte, hörte ich den Song der Troggs aus einer Welt lustiger Tumulte und Aufbrüche in einem Programmkino, das den Auftritt von Jimi Hendrix auf dem Monterey Pop Festival 1969 zeigte.
In memoriam, denn Hendrix war überraschend gestorben. Tot aufgefunden in seinem Hotelbett am 18. September vor genau 50 Jahren. Ein weiterer aus dem Club 27 – Musiker, die im Alter von 27 Jahren verstarben –, wie Brian Jones von den Rolling Stones vor ihm, Janis Joplin zwei Wochen nach Hendrix, Jim Morrison im Jahr darauf, und Generationen später Kurt Cobain und Amy Winehouse.

In Hendrix’ Version war der Song ein brodelner zischender Elektro-Orgasmus auf offener Bühne, die Patres im Ako müssen sowas geahnt haben, er kniete über seiner Gitarre und ritt sie wie im Rodeo und spritzte schließlich Benzin in den Korpus, zündete ihn an und ließ die Flammen zwischen seinen Knien hochschießen … Wild thing …
Jimi Hendrix war der Blitz aus heiterem Himmel, die geniale früh vollendete Stichflamme des Rock, Gitarrengott der Hippie-Ära, der schwarze Psychedelic-Rocker, der bunteste aller Fransenträger, Erfinder atemloser Läufe über den Gitarrensteg, fast eine Vaudeville-Nummer, wenn er die Saiten mit den Zähnen traktierte oder das Instrument auf dem Rücken spielte. Darüber hinaus Erfinder des Hendrix-Akkords E7#9 mit dem „Purple Haze“ eröffnet, ein Riff, das schwer aus dem Kopf geht.

Mit diesen drei Akkord-Hammerschlägen, die sich dann in ein Riff aus vier Tönen zerlegen, wischte er unsanft die Harmonien der Beatles beiseite, die in den Charts mit ihrem „Sgt. Pepper“-Album dominierten.

Jimi Hendrix war wie ein Meteorit in die Szene gecrasht, an jenem Abend, als Chas Chandler von den Animals seinen ersten Auftritt in einem Londoner Club organisierte und die Poparistokratie (Beatles, Stones, Who) neugierig gemacht hatte und Eric Clapton von einer Offenbarung sprach, die alles verändert hätte: sein Leben und die Art zu spielen, zu hören.
Dabei war dieser lächelnde junge schwarze Indianer, der so erstaunlich schüchtern hinter dem von ihm angerührten Höllendonner verschwand, schon länger im Business, er war in den Jahren zuvor mit den Isley Brothers getourt, hatte als Studiomusiker für Little Richard und viele andere gespielt, hatte in Tennessee gelernt, mit den Zähnen zu spielen. „Da unten mußt du das tun, sonst wirst du erschossen – die ganze Bühne ist übersät mit gebrochenen Zähnen“, flachste er.
Er kam 1942 in Seattle zur Welt. Die Eltern waren Tänzer, beide hatten Afroamerikaner und Cherokee-Indianer unter ihren Vorfahren. Beide tranken, und dann gingen sie aufeinander los, so daß sich der kleine James öfter im Kleiderschrank versteckte oder auf der einzigen Saite seiner Ukulele spielte, die der Alte aus dem Müll gezogen hatte – möglicherweise hatte er sich da schon das Bending antrainiert, das Verschieben der Saite auf dem Gitarrenhals, um unterschiedliche Tonlagen zu erzeugen.
Mit fünfzehn erhielt er seine erste eigene Gitarre, auf der er als Linkshänder die Saiten umgekehrt aufzog und die Rock ’n’ Roll-Champs der Stunde nachspielte, Chuck Berry und Little Richard, aber oft auch stundenlang versonnen improvisierte.

Zwei Jahre später wurde er beim Autoklau erwischt und vor die Alternative Knast oder Armee gestellt. Er wählte letzteres und absolvierte die notwendige Anzahl an Fallschirmsprüngen, um den Golden Eagle zu erwerben. Ja, Jimi Hendrix ist wahrscheinlich der einzige Rockstar der Hippiezeit, der vom Himmel fiel.
Seine Army-Zeit verkürzte er durch Disziplinlosigkeiten, die ihm eine unehrenhafte Entlassung einbrachten, aber das konnte ihn nicht besonders jucken, denn er hatte in den Baracken den Bassisten Billy Cox kennengelernt, mit dem er seine erste Band The King Kasuals gründete. Gleichzeitig trat er als Begleitmusiker für etablierte Größen wie Ike & Tina Turner, die Supremes, Little Richard oder King Curtis auf, dessen Manager auch ihn unter Vertrag nahm – für einen Dollar und ein Prozent der Einspielergebnisse!
Nachdem Chas Chandler, der Bassist der Animals, Hendrix im New Yorker „Wah?“-Café gehört hatte, wo dieser mit dem Balladen-Klassiker „Hey Joe“ aufgetreten war, hatte er ihn gemeinsam mit Michael Jeffery, dem Manager der Animals, unter Vertrag genommen. Jeffery wird in der Zukunft dafür sorgen, daß die Konzerteinnahmen Hendrix’ auf seinem Konto in den Bahamas landeten und der umjubelte Gitarrengott ständig pleite war.
Chandler besorgte die künstlerischen Seiten des Unternehmens „Hendrix“. Er fand für ihn den Bassisten Noel Redding und den Schlagzeuger Mitch Mitchell und verwandelte den „Jimmy“ in einen „Jimi“ Hendrix.
Wie Chandler bereits nach dem Auftritt im New Yorker „Wah?“ geahnt hatte, wurde „Hey Joe“ ein Hit, gefolgt von „Purple Haze“, der Kifferapotheose, dem akustischen Denkmal für das stärkste Kraut mit den größten psychedelischen Wirkungen, das damals aus Marihuana zu gewinnnen war. Mit anderen Worten: Man mußte sich schon ziemlich gut anschnallen, wenn man mit diesem Zeug auf Reisen ging.
Seine Sativa-Blume hatte violette Knollen, und Jimi beschwor den violetten Nebel, der ihm ins Hirn kriecht und ihn den Himmel küssen läßt, bis er ihn schachmatt setzt und er nur noch „help me“ rufen kann, „hilf mir … keine Ahnung, ob es morgen ist oder schon das Ende der Zeiten, hilf mir …“

Während die beiden Songs in den Charts hochschosssen, bastelte Hendrix, der sich inzwischen hauptsächlich auf LSD befand und von vielen Freundinnen umringt war, an der nächsten Dröhnung. Das Album hieß „Are you experienced“ und war ein Wunderwerk aus Rhythm & Blues, Pop und Science-Fiction, aus raffiniertesten Klangcollagen und endlosen Studio-Overdubs. Es hielt sich 33 Wochen lang in den Charts und wurde an der Spitzenposition nur durch dieses Kostümalbum der Beatles, durch „Sgt. Pepper“, gehindert.
Und er erwies den Beatles Reverenz mit einem Auftritt im Londoner Saville Theatre drei Tage nach Erscheinen des Albums. Paul McCartney und George Harrison saßen im Zuschauerraum, und Jimi spielte als Eröffnungsnummer „Sgt. Pepper“ und rief vorher: „Steckt euch was in die Ohren“, denn er entfesselte tatsächlich einen Orkan mit dem Song, an den sich Paul McCartney noch knapp fünfzig Jahre später in einem Konzert erinnerte. Voller Stolz.

Sein flammender Auftritt im gleichen Jahr auf dem Monterey-Festival, der auf Paul McCartneys Empfehlung zustande kam, etablierte ihn endgültig als Ikone seiner Ära.

Als ob er ahnte, daß ihm nicht viel Zeit bleiben würde, schloß er die Arbeiten an dem zweiten Album „Axis: Bold as Love“ mit einer magisch-eindringlichen Titelnummer gleich an und begann mit den Sessions zu seinem dritten Album „Electric Ladyland“, die sich allerdings bis weit ins Jahr 1968 hinzogen, da das Studio bevölkert wurde durch Freunde und Dealer und Frauen.
Bassist Redding erinnerte sich: „Man konnte sich kaum bewegen, das war mehr Party als Aufnahme-Session.“ Er schmiß hin, so daß Hendrix den Bass selber einspielte. „Produktion: Hendrix“ stand auf dem Cover. Dennoch und vielleicht deshalb war das Endprodukt für Peter Doggett vom Musikmagazin Record Collector „eine Präsentation musikalischer Virtuosität, die kein Rockmusiker je erreicht oder überholt“ hätte.
Danach legte er ein halbes Jahr Pause ein. Mittlerweile war die Gruppe zerfallen. Hendrix logierte in einem Dorf in Upstate New York in einem Sechs-Zimmer-Haus, das Manager Jefferey angemietet hatte in der Hoffnung, daß Hendrix neues Material produzierte.
In jenen Tagen war er einer der höchstbezahlten Rockstars, und sein Auftritt beim Woodstock-Festival war gebucht. Als er dort allerdings auftrat, waren die meisten Besucher, offenbar durch falsche Ansagen ermuntert, bereits aufgebrochen. Sie sollten den brillantesten und geschichtsträchtigsten Auftritt des ganzen Festivals verpassen: Jimi Hendrix spielte für die verbliebenen vielleicht 30.000 Zuschauer die amerikanische Nationalhymne.
Er spielte und zerlegte gleichzeitig das „Star Spangled Banner“, ließ die Melodie optimistisch in den Himmel steigen, um sie dann abstürzen zu lassen in Trommelfeuergeräuschen, Raketeneinschlägen, melodischen Fetzen, mit denen er das Kriegsgeschehen in Vietnam akustisch illustrierte – die Hymne der Kriegsdienstverweigerer, gleichzeitig die bitterste aller Anklagen gegen die amerikanische Politik.
Nach einigen weiteren Auftritten – abgeledert und wie stets pleite, da ihm Jefferey die Einnahmen weggaunerte – kam er bei einer Freundin in London unter und verbrachte die letzten Tage vor seinem Tod – den er vor Freunden immer wieder vorausgeahnt hatte – auf drogengesättigten Parties mit vielen Frauen, unter anderem seiner deutschen Freundin Monika Dannemann. Sie hatte für ihn in ihrem Hotelapartment gekocht und Wein getrunken, bis in den Morgen hinein mit ihm geredet und war dann eingeschlafen, bis sie mittags, wieder erwacht, erfolglos versuchte, ihn zu wecken. Der Coroner notierte, daß Jimi Hendrix an seinem eigenen Erbrochenen erstickt sei.

Es gibt andere Versionen, ohne Monika Dannemann, eine spricht von einem Auftragsmord durch die Mafia. Allerdings: Der Club der 27jährigen hat den Tod durch Drogen praktisch zum Eintrittskriterium erhoben. So sind sie dahingegangen auf der Suche nach Entgrenzung, alle zu früh.
Einige aus meiner Kohorte sind ihnen auf diesem Weg gefolgt, in den violetten Nebel, einige früh, andere waren vielleicht länger unterwegs, aber letztlich genauso schmerzhaft, denn auch das war die Hippiezeit für viele – der Start zum langen Flug in Sucht und Wahn und Tod. Diejenigen, die den Sirenengesang überlebt haben, waren diejenigen, die sich wie Odysseus an den Mast gebunden haben – sie starben lauter kleine Sehnsuchtstode.   Matussek

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