"Zugleich ist diese fortschreitende Zerbröckelung der
geschichtlichen Völker in gefügelos-ungefügige Massen von einem
Geschehen noch begleitet, das auf eine der Mania griechischen Altertums
verwandte Krankheit deutet. Denn nun beginnen die vermassenden Völker
mit ihrer eigenen Jugend- und Frühgeschichte auch ihre bis dahin heilig
gehaltenen Überlieferungen, kraft deren sie an der verschütteten
Urüberlieferung teilhaben, mit wütender Verbissenheit täglich mehr zu
hassen. (...) In Vorgängen dieser Art vollzieht sich dann nicht sowohl
der Untergang, als vielmehr der Selbstmord der Völker. (...)
Entstaltung
und Zerfall der Völker im Massenbrei setzt sich von da ab fort und fort
mit steigender Beschleunigung. Dies kann nicht anders sein, weil die
von der Vermassung befallenen Völker unabwendbar ihren Halt verlieren.
Sie kommen ins Rutschen und entgleiten sich unaufhaltsam selber. Mit
ihren Überlieferungen entäußern sie sich ihrer stärksten Stütze.
Fahrlässig zuerst, dann vorsätzlich geben sie das Kerngehäuse ihrer
Seelentümer der Fäulnis preis, um gleich darauf selber zu verfaulen.
Jeglicher Eigenrichtung, jeglicher Eigenrichtigkeit verlustig, treiben
sie unstet dahin, wohin die Winde sie wirbeln, wohin die Wasser sie
wälzen. Schon sind sie, ohne es zu merken, die 'spielend' leichte Beute
geworden ihrer jeweiligen Aufwiegler, Einpeitscher und Verhetzer, die
bloß auf die Gelegenheit, die Macht zu ergattern, hinter allen
Straßenecken lauern. (...)
Es winkt in den endlich-eingeengten
Raum der Geschichte die labende Luftspiegelung eines
unendlich-grenzenlosen Fortschritts. In allen die unbedingte Gleichheit
auch äußerlich herzustellen, kann nicht viel kosten, nachdem sich für
das vermasste Volk die innere Gleichförmigkeit von selbst versteht.
(...)
Vorher muß allerdings noch etliches geschehen. Vorher
müssen beispielsweise die Andern, die den Weg der Irre nicht bis ans
Ende gehen wollen, auf die Knie gezwungen, notfalls ausgerottet werden.
Gegen sie den Haß zu schüren, wird vordringliches Anliegen jener geist-
und seelenmörderischen Massenabrichtung, welche jetzt an die Stelle
früherer, manchmal gewiß mit Fehlern behafteter Jugend- und
Volkserziehung tritt. Was es unter derlei Umständen mit dem Frieden im
Zeitalter der Masse auf sich habe, malt jeder am leichtesten sich selber
aus, der noch nicht selber Masse ist. Das Zeitalter der Masse ist
wesensgemäß auch das Zeitalter vollendeter Friedlosigkeit. Im gleichen
ist die Masse als solche wesensgemäß Massa Damnata, wenn nicht im
augustinischen Sprachverstande, so doch in dem besonderen Begriffe, daß
sich in ihr, die an und für sich leer ist, der Fluch der Friedlosigkeit
erfüllt."
(Leopold Ziegler: Evangelischer Friede. Meinen Freunden zum Neujahrsangebinde 1952)
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