"Am Rande der Buchmesse", erzählt uns Michael Klonovsky am vergangenen Sonntag, "abends bei Tische, geriet ich ins Gespräch mit
einem gestandenen Herren, der sich sehr kenntnisreich über Werke und
Interpreten der sogenannten klassischen Musik äußerte, wobei mich
verwunderte, dass er auf Anhieb mit dem Namen Hans Rott etwas anzufangen
wusste (der Mann entpuppte sich im Nachhinein als Musikkritiker). Rott
war ein Komponist, von dessen Existenz ich erst seit einigen Tagen
Kenntnis habe – also nicht, dass ich ein Maßstab für irgendetwas wäre;
ich bin lediglich der Errichter jenes Maulwurfshügels, von welchem aus
hier in die Welt geschaut wird –; ein befreundeter Musiker schenkte mir
eine Einspielung von Rotts Erster und einziger Symphonie in E-Dur, von
der man wissen muss, dass sie in den Jahren 1876 bis 78 von einem nicht
einmal Zwanzigjährigen komponiert wurde, der ein Schüler Anton Bruckners
war, freilich, wie der Lehrer selbst, von seinen Zeitgenossen wenig
Anerkennung und stattdessen Häme erfuhr. Brahms äußerte sich abschätzig
über die Symphonie, was der Grund gewesen sein könnte, dass Hans Richter
sie nicht aufführte. Um 1880 verfiel Rott dem Wahnsinn. Den Rest seines
kurzen Lebens verbrachte er in der Niederösterreichischen
Landes-Irrenanstalt, wo er viele seiner Arbeiten vernichtete und 1884 an
Tuberkulose starb. Apopkryphe Quellen raunen, Hugo Wolf habe Brahms für
den Tod Rotts verantwortlich gemacht.
Das alles wäre traurig,
aber nicht weiter berichtenswert, wenn diese Symphonie nicht ein
außergewöhnliches Opus wäre, ein, wie man sagt, Meilenstein des Genres,
freilich ein merkwürdig unsichtbarer, weitgehend unbekannter Meilenstein
– das Werk wurde erst 1989 in Cincinatti, Ohio, uraufgeführt. Aber der
in Meilensteinbelangen damals entscheidende Musiker kannte es, schätzte
es und, nun ja, bediente sich darin: Gustav Mahler. Mahler hatte mit
Rott dieselbe Kompositionsklasse am Wiener Konservatorium besucht, er
hat die Partitur von Rotts Symphonie sehr genau studiert und eventuell
eine Kopie besessen, er nannte den Kollegen den "Begründer der Neuen
Symphonie, so wie ich sie verstehe", und erklärte, es sei gar nicht zu
ermessen, was die Musik an ihm verloren habe. Als Rott in die Anstalt
gebracht wurde, lag die Uraufführung von Mahlers Erster noch neun Jahre
in der Zukunft.
Während aus dem ersten Satz der E-Dur-Symphonie
vernehmlich ein Bruckner-Schüler und Wagner-Verehrer spricht, markiert
der langsame Satz quasi den Übergang von Brucker zu Mahler, die
Parallelen zum Schlussatz von Mahlers Dritter sind auffällig. Völlig
verblüffend wird es beim Scherzo; hier meint man, niemand anderen als
Mahler selbst zu hören (speziell die Scherzi der Ersten und Fünften).
Der grandiose, von Momenten einer unendlichen Sehnsucht durchsetzte
Schlussatz illustriert schließlich sehr eindrucksvoll, wie recht Mahler
mit seinen Worten hatte, dass hier der Musikwelt ein unwiederbringliches
Talent entsetzlich früh abhanden gekommen ist.
Die Einspielung, von der ich sprach, ist jene. Den beiden amazon-Rezensenten, die sich sehr kundig über den Dirigenten äußern, kann ich mich anschließen."
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