Stationen

Freitag, 29. November 2019

Anrüchiger Judas

Wenn das Gespräch in die Nähe des Themas kommt, sagt Gauland gleich vorweg: "Ich wehre mich gar nicht gegen den Populismusvorwurf." Das wäre auch nicht ganz leicht, wenn man seine jüngeren Reden im Ohr hat. Da fordert er im Landtag Mindestlohn für die Bürgerwehren, die an den Landesgrenzen patrouillieren, "weil die Regierung nicht in der Lage ist, das Gewaltmonopol zu schützen". Da erregt er sich, dass beim G-7-Treffen "für die Sicherheit der Staatschefs" Grenzkontrollen durchgeführt werden, "aber wenn dem Bauer in der Uckermark sein Traktor gestohlen wird, dann gilt das nicht". Er rechnet die "tausend Milliarden", die die Energiewende verschlinge, auf 20 Millionen deutsche Rentenempfänger herunter, und er verwandelt die Kosten des Berliner Pannenflughafens fürs Publikum kurzerhand in Lehrerstellen. Manchmal erinnert er auch an die 200.000 Fledermäuse, die der Windkraft zum Opfer fielen. Pro Jahr! 

Das ist das Niveau, auf das sich Gauland herablässt, um die Unfähigkeit, Böswilligkeit und den Irrsinn der herrschenden Politik zu illustrieren. Er lässt sich nicht hinreißen, sein Populismus ist kalkuliert. Er kann ihn auch abschalten. Dann gibt er im Landtag den würdigen Alterspräsidenten, der geschliffen und hochgebildet über das Ethos des "guten Abgeordneten" räsoniert.
Ein paar Monate zuvor hatte Gauland von einem Informanten aus der Verwaltung gesteckt bekommen, es gebe Pläne für eine Flüchtlingsunterkunft, die bis nach der Wahl verschwiegen werden sollten. Daraus wurde sein Wahlkampfhit. "Ich halte keine aufstachelnden Reden über Flüchtlinge", beteuert er. Zugleich erinnert er sich, "wie das Thema im Wahlkampf explodierte". Explodieren scheint überhaupt das Wort, das ihm einfällt, wenn es um die Probleme der Zuwanderung geht. Die Flüchtlingszahlen "explodieren", die Kosten für Unterbringung und Betreuung "explodieren": "44 Millionen, 90 Millionen, 110 Millionen", deklamiert er in der Haushaltsdebatte.

"Es kann nicht sein, dass wir in kleinen Orten bald so viele Flüchtlinge wie Einwohner haben", ruft er im Landtag. Beim Italiener am See räumt er ein, dass die Brandenburger ihre beängstigenden Eindrücke von den Fremden bislang vor allem aus dem Fernsehen beziehen. Aber macht das einen Unterschied? Gauland findet nicht. Im Ruhrgebiet herrschten die Zustände ja schon, vor denen sich seine Leute fürchteten. "Wir sind diejenigen, die den Menschen eine Stimme geben, die lange eine solche Stimme gesucht haben", formuliert er den Auftrag seiner Partei. Den Menschen Ängste nehmen, gehört nicht dazu. Früh hat Gauland die AfD zum "natürlichen Verbündeten" der Pegida-Bewegung ausgerufen.
Wenn in den 1970er Jahren hessische CDU-Hardliner vom Schlage Alfred Dreggers Intellektuelle wie Adorno oder Habermas für die Taten der RAF verantwortlich machen wollten, hat Gauland dem widersprochen. Nun möchte er, sozusagen als Gegengeschäft, auch den Rechstpopulismus dieser Tage nicht mit den Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte in Verbindung gebracht sehen: "Dagegen wehre ich mich!" Wenn die öffentliche Debatte eines politischen Missstandes für kriminelle Handlungen verantwortlich gemacht werde, die sich gegen diesen Missstand richten, sagt Gauland und verfällt in die juristische Tonlage, "dann können Sie gar keine Politik mehr machen".  ZEIT



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