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Montag, 8. Februar 2021

Zivilisation

Bei achgut schreibt Ulrike Prokop über die ablehnende Reaktion deutscher Rezensenten auf den Netflix-Film „Die Ausgrabung”, der 1939 in England spielt, also die britische Gesellschaft am Vorabend des Zweiten Weltkriegs zeigt, und zwar als formiertes Gegenstück zur sogenannten deutschen Volksgemeinschaft. Die Ablehnung ist insofern typisch, als sie das subkutane Fortleben des deutschen Kollektivismus unter dem Label der „Buntheit” offenbart.

„Es wird eine inhomogene Gesellschaft gezeigt”, schreibt Frau Prokop, „die zivile Techniken der Verständigung ausgebildet hat, die in der Lage ist, im entscheidenden Moment Ressourcen zu mobilisieren, die das gemeinsame Zusammenleben als Ergebnis von Generationen der Vergangenheit begreift und es als etwas versteht, das der Verteidigung wert ist. Also kein ‚ganz gut‘ oder ‚gar nicht wertvoll‘, vielmehr ein Unseres, begrenzt und beschädigt, aber doch nicht zu verwerfen.

Es werden Umgangsweisen gezeigt, die im deutschen Feuilleton nicht gut ankommen. Laut taz wird der Klassengegensatz unzureichend bearbeitet. Es ende alles in Melancholie, bekanntlich einem bürgerlichen Laster, das in der Epoche der Selbstoptimierung eigentlich ausgerottet sein müsste. Laut FAZ ist die ganze Sache ein Langweiler und eine überflüssige Verehrung britischer Tugenden.

Trash-Produktionen – wie die Netflix Serie Bridgerton – werden vom Feuilleton positiv aufgenommen, weil sie direkt in den bestehenden Diskurs von Rassismus und Feminismus eingebunden werden können und weil in den grellen Klischees alle Mainstream-Maschen versammelt sind: POC-Proporz und Frauenemanzipation geben sich ein plattes Stelldichein. Die destruktive Schnoddrigkeit, die weder Genauigkeit noch historische Distanz kennt, passt perfekt zur kulturellen Abbruchhalde der Postmoderne.

Gegen diese Tendenzen stellt ‚Die Ausgrabung’ eine völlig andere Art des Erzählens. Dieser Film provoziert, aber nicht weil ‚Die Ausgrabung’ historisch überholte Melancholien einer Witwe behandelt, sondern weil er auf den neuralgischen Punkt des Haltungsjournalismus zielt: Gut kämpft gegen Böse, Modernisierung ist das Weltgericht, der öffentliche Raum die Hinrichtungsstätte.”

Hier ist in raschen Strichen großartig das Elend der sogenannten Diversity beschrieben, deren Verfechter in Wahrheit eines nicht ertragen: Unterschiede. Individuelle Vielfalt.

Eine inhomogene Gesellschaft, die zivile Techniken der Verständigung ausgebildet hat, die in der Lage ist, im entscheidenden Moment Ressourcen zu mobilisieren, die das gemeinsame Zusammenleben als Ergebnis von Generationen der Vergangenheit begreift und es als etwas versteht, das der Verteidigung wert ist – das ist die Definition von Zivilisation.   MK

 

„Man kann sich heute nicht in Gesellschaft um Deutschland bemühen; man muß es einsam tun wie ein Mensch, der mit seinem Buschmesser im Urwald Bresche schlägt und den nur die Hoffnung erhält, daß irgendwo im Dickicht andere an der gleichen Arbeit sind.”  Ernst Jünger, 1929  (immer noch - genauer gesagt: schon wieder - wahr)

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