Henryk Broder wird heute 75, doch seine Texte haben Biss wie die eines jungen Mannes. Ich wünsche uns allen noch viele Jahre Broder. Und Dir, Henryk, aus der Ferne masal tov, briut ve hazlacha ad mea ve esrim.
Ich habe mich oft gefragt, was Henryk Broder in Deutschland hält. Er kam mit zwölf Jahren in dieses Land, da war es im Aufbruch, der Westen weitgehend amerikanisiert, das Wirtschaftswunder in vollem Gange. Die Deutschen übten sich in Demokratie. Mit großer Mühe bauten sie ihr durch Krieg und NS-Herrschaft ruiniertes Land wieder auf. Nach dem kommunistischen Polen, wo ihn seine Mutter, eine Auschwitz-Überlebende, 1946 zur Welt gebracht hatte, musste ihm die aufblühende Bundesrepublik Deutschland, als er dort 1958 einwanderte, überaus hoffnungsvoll erscheinen.
Henryk machte in Köln Abitur. Er spricht Deutsch bis heute mit hörbarem polnischen Akzent, doch er spricht und schreibt es besser, brillanter, kunstvoller als fast alle deutschen Kollegen – schon allein deshalb war er bei den oft an der Grenze zum Illiteraten laborierenden Schreibern der deutschen „Leit-Medien“ nie sehr beliebt. Seine Bonmots erinnern an die sprachgewaltigen, respektlosen und witzigen Köpfe des deutsch-jüdischen Feuilletons der Vorkriegszeit, an Tucholsky, Harden, Karl Kraus, Kerr oder Theodor Wolff, er ist ihr legitimer Erbe und Siegelbewahrer, und er erntet dafür wie sie Unbeliebtheit bei der politischen Kaste und Verehrung bei den vergleichsweise Wenigen, denen an Geist und Sprache liegt.
Ich bin keiner von seinen alten Freunden, eher von den „mittleren“. Wir kennen uns seit 1990, also seit drei Jahrzehnten. Da war Henryk 45 Jahre alt und kehrte zurück nach einigen Jahren Abwesenheit, die er meist in Israel verbracht hatte. Er besaß damals noch eine Wohnung in Jerusalem, so dass er immer mal, wie er es nannte, „Luft schnappen“ konnte, doch seinen Hund hatte er bereits unserem Freund Arye, dem Sohn von Lea Fleischmann, übergeben, der noch jahrelang mit ihm am Herzl-Berg spazieren ging.
In Wahrheit ist er ein Optimist
Nach Berlin zurückgekehrt, Frühjahr 1991, während des Golfkriegs, gegen den die deutsche Linke missionarisch zu Felde zog, besuchte Henryk eine für mich schicksalhafte Veranstaltung. Der Germanist Professor Domdey von der FU hatte eine Podiumsdiskussion unter dem Titel Gas und Friedensappell. Wir Deutschen und Israel im Kulturverein Charlottenburg arrangiert, auf der ich mit Hans-Christian Ströbele von den Grünen diskutieren sollte. Der Saal im Gartenhaus Kantstraße war krachend voll. Zu meiner Überraschung sah ich Henryk im Publikum. Ströbeles Überraschung mag noch größer gewesen sein: Er hatte erst wenige Wochen zuvor wegen einer Israel-feindlichen Äußerung in einem Interview mit Henryk, die in Israel einen Skandal hervorrief, als Vorstandssprecher der Grünen zurücktreten müssen. Überdies machte Henryk im Spiegel eine weitere Entgleisung Ströbeles publik, geäußert in einem Telefonat mit dem Grünen-Abgeordneten Vogt-Moykopf in Tübingen, den Ströbele deshalb wegen „Vertrauensbruchs“ verklagte: „Wenn ich eine Eskalation des Krieges damit verhindern könnte, dass eine Million Juden sterben müssten, würde ich das in Kauf nehmen.“
Also war die Stimmung an diesem Abend brisant, ich entlockte dem sichtlich nervösen Ströbele noch einige weitere dumme Äußerungen, anschließend meldete sich Henryk zu Wort und nahm Ströbeles während der Podiumsdiskussion gestammelte Erklärungen in einer Art kurzer Psychoanalyse auseinander. Und bei dieser Gelegenheit lernte ich Henryks Stärke kennen: Er vermag komplizierte, verworrene, emotional überfrachtete Debatten in einigen kurzen, klaren, witzigen und ernüchternden Sätzen zu reflektieren. Sein niemals versiegender Humor entfaltet nicht nur seine bekannte sarkastische Schärfe, sondern wirkt gleichsam beruhigend. Henryk gibt sich gern pessimistisch, in Wahrheit ist er ein Optimist, und sein Optimismus beruht auf der unwiderstehlichen Macht seiner Sprache.
Wie oft habe ich über Formulierungen von Henryk lachen müssen, auch wenn das, was er beschrieb, in Wahrheit tieftraurig war. Habe Trost gefunden in seinem nimmermüden Kampf gegen die Windmühlenflügel der ewigen Dummheit. Oder habe in seiner luziden, sprachlich zugespitzten Darstellung einen durch Medien- und Politikergeschwätz in Nebel gehüllten Sachverhalt überhaupt erst verstanden. Wohin Broder seinen scharfen Blick wendet, entsteht Transparenz. Dabei waren wir keineswegs immer einer Meinung. Doch ich habe Henryks geistige Wachheit und sprachliche Wucht auch dann bewundert, wenn mir nicht passte, was er sagte oder schrieb.
Halt in der Konfusion unserer Tage
Nach jenem Abend in Berlin-Charlottenburg trennten sich unsere Wege. Auf mich wirkte Ströbeles überall durchscheinende, später von seiner grünen Wählerschaft mit Direktmandaten im Bundestag belohnte Judenverachtung so abschreckend, dass ich Ende 1991 Deutschland verließ und erst probeweise nach Italien, 1995 endgültig nach Israel auswanderte. Das Land glitt ab in ein geistloses, links-grünes Mitläufertum, inklusive linken Antisemitismus, der sich als edelmenschliche „Kritik an Israel“ tarnte. Meine Abwendung ging soweit, dass ich zehn Jahre nicht nach Deutschland reiste, keine deutschen Texte mehr las und möglichst keine mehr schrieb. Während wir ein Haus in der Wüste bauten, blieb Henryk in Deutschland, wo er sich dem Kampf gegen antijüdische Ressentiments widmete und anderen Appellen an eine ansprechbare deutsche Leserschaft, an die ich damals nicht mehr glaubte.
Durch das zu Beginn der 2000er Jahre florierende Internet erfuhr ich wieder von Henryk, der dieses Medium bald zu nutzen wusste. 2004 gehörte er zu den Gründern des heute immens einflussreichen Blogs Achse des Guten. Die Achse ist einzigartig in der Klarheit und Schärfe ihrer Statements, in der Offenheit ihrer Debatten. Sie legt sich an mit den Mächtigen, leistet Widerstand gegen die Übergriffe der Regierenden, die gedankenlose, opportunistische Gefolgschaft der Mitläufer. Sie bietet Halt in der Konfusion unserer Tage, in der zunehmenden Desinformation und Manipulation unserer Gedanken. Sie tritt ein für die Rechte der von cancel culture Bedrohten und politisch Verfolgten. Und sie tut es mit dem anständigsten aller Mittel, mit dem offenen, kritischen Wort.
Schon dafür gebührt Henryk Broder der Dank aller denkenden Menschen im deutschen Sprachraum. Um die Achse versammeln sich kritische, intelligente Leser, für die es Spaß macht zu schreiben. Und es werden immer mehr. Auf diese Leserschaft hat Henryk gehofft, von ihr hat er geträumt, und diesem Traum hat er die Treue gehalten. Henryk wird heute 75, doch seine Texte haben Biss wie die eines jungen Mannes. Er ist eher noch kämpferischer geworden als früher. Ich wünsche uns allen noch viele Jahre Broder. Und Dir, Henryk, aus der Ferne masal tov, briut ve hazlacha ad mea ve esrim. Dein dankbarer Leser Chaim
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