Der Afghanistan-Einsatz des Westens dauerte zwanzig Jahre, sechzehn davon regierte Angela Merkel. In dieser Zeit amtierten vier amerikanische Präsidenten und vier deutsche Verteidigungsminister. Sie kamen und gingen, nur die Kanzlerin blieb. Afghanistan war Merkels Krieg. Man kann allerdings nicht behaupten, dass sie sich je dafür interessiert hätte.
Dass sie die deutschen Truppen in dem Land zum letzten Mal 2013 besuchte, ist noch das geringste Indiz für die Gleichgültigkeit. In ihrer Amtszeit gab sie manche Regierungserklärung zum Thema ab, alle waren Pflichtübungen. Auf die Strategie nahm sie keinen erkennbaren Einfluss.
Die Bundeswehr sass im Beiwagen der Amerikaner, Briten und auch kleinerer Länder wie Dänemark, die vor allem in den ersten Jahren hauptsächlich das Kämpfen übernahmen. Damit schien die Kanzlerin zufrieden. Für eine europäische Grossmacht ist das ein erstaunlich selbstgenügsames Programm. Es schmeichelte Merkel, wenn sie die «Führerin der freien Welt» genannt wurde. Angesichts der Afghanistan-Bilanz klingt das wie ein Hohn.
Afghanistan war sichtlich nicht Merkels Ding, und diese Haltung färbte natürlich ab auf den ganzen Einsatz – bis hin zu der zunächst so dilettantischen Evakuierung in Kabul. Die Ministerien in Berlin schoben einander die Verantwortung für die Rettung der deutschen Ortskräfte zu; es regierte Routine, wo es um Menschenleben ging.
Solche bürokratischen Abläufe sind selbst in Notlagen nichts Ungewöhnliches. So arbeiten Ministerialverwaltungen nun einmal, und daher bedarf es meist der Intervention des Kanzleramtes, um in Krisen Hindernisse schnell aus dem Weg zu räumen.
Der reibungsfreie Zustrom von einer Million Flüchtlingen in den Jahren 2015 und 2016 war Merkel eine Herzensangelegenheit, sie machte ihn deshalb zur Chefsache. Weil das Innenministerium und die Bundespolizei die Grenzen kontrollieren wollten, entmachtete die Kanzlerin kurzerhand den zuständigen Minister Thomas de Maizière und ernannte ihren treuen Paladin Peter Altmaier zum Koordinator für die Flüchtlingspolitik.
Auf ein ähnlich resolutes Eingreifen der Kanzlerin, um den deutschen Abzug aus Afghanistan in Würde zu vollziehen, wartete man vergeblich. Dass die Amerikaner mit derselben Wurstigkeit zu Werke gehen, entschuldigt das Berliner Desinteresse nicht.
Deutschland ist ein souveräner Staat. Er hätte in den letzten Monaten seine einheimischen Schutzbefohlenen geordnet registrieren und ausfliegen können. Auch wenn niemand mit dem derart raschen Kollaps der afghanischen Armee rechnete, war allen klar, dass man die Ortskräfte eher früher als später in Sicherheit bringen musste.
US-Präsident Biden kann zu seiner Verteidigung anführen, er habe schon als Vizepräsident Obamas für ein Ende der Militärmission am Hindukusch plädiert. Die Ungerührtheit, mit der er heute Alliierte und afghanische Helfer ihrem Schicksal überlässt, ist die direkte Folge seiner ablehnenden Haltung von früher. Er wird dafür einen politischen Preis zahlen müssen.
Merkel hingegen verteidigte den Einsatz über die gesamten sechzehn Jahre. Daraus erwächst eine politische und menschliche Verantwortung. Für ihr Nichtstun muss sie keinen Preis zahlen, bald ist sie ohnehin nicht mehr im Amt. An der Verantwortung ändert dies nichts.
Allerdings ist die Kanzlerin mit ihrer Haltung nicht allein. Die Mehrheit der Deutschen hat zu Militäreinsätzen, ja zur Bundeswehr überhaupt ein distanziertes Verhältnis. Der Bau von Brunnen und Mädchenschulen findet Unterstützung, der Kampf mit Toten und Verletzten nicht. Lieber erteilt man den Amerikanern Zensuren, wenn ihre Drohnen Unschuldige töten.
Die Attitüde der deutschen Moralweltmeister beeinflusste die Haltung Merkels unmittelbar. Seit sie 2005 eine politische Nahtoderfahrung machen musste, weil sie bei der Bundestagswahl beinahe den Einzug ins Kanzleramt verpasst hätte, ist sie in diesem Punkt von eiserner Konsequenz: Ihre Führung endet da, wo der Unmut der Deutschen beginnt.
2005 waren es die Vorschläge zur Reform der Krankenversicherung und der Steuern, die sie an den Rand der Niederlage brachten. Seither meidet sie kontroverse Themen*. So stürzte sie ihre Atompolitik um, als Fukushima die Anti-Atom-Stimmung in Deutschland anheizte. Aus der Befürworterin, die den rot-grünen Atomausstieg aufgeweicht und die Laufzeiten der Kraftwerke verlängert hatte, wurde nach Tsunami und Atomunfall die Gegnerin, welche die rot-grünen Regelungen noch verschärfte.
Merkel ist ein zuverlässiges Barometer der Volksmeinung**. Wenn man sieht, wie sie beinahe panisch Aufnahmen von sich vor militärischem Grossgerät meidet, weiss man, was die Deutschen*** von ihrer Bundeswehr halten. Entsprechend ungerührt stellte die Kanzlerin die Beschlusslage ihrer Partei auf den Kopf und schaffte die Wehrpflicht ab.
Kein Staats- oder Regierungschef einer europäischen Grossmacht pflegt ein solch unterkühltes Verhältnis zu den Streitkräften wie die Kanzlerin****. Dabei hängt Europas Sicherheit genauso von Deutschland ab wie von Frankreich und Grossbritannien.
Die Methode Merkel besteht darin, heikle Fragen möglichst «abzuräumen», also unabhängig von den eigenen Überzeugungen und gemäss der Stimmungslage in der Wählerschaft zu entscheiden oder lieber noch: zu vertagen. Nirgends wird das deutlicher als bei der ungeliebten Verteidigungspolitik.
Unter Merkel haben CDU und CSU ihren Kompetenzvorsprung in der Sicherheitspolitik verloren. Dazu trugen massgeblich zwei ihrer vier Verteidigungsminister bei. Karl-Theodor zu Guttenberg***** und Ursula von der Leyen betrachteten den Posten als Karriererisiko. Sie gingen in Deckung, wenn es ernst wurde.
In Krisen wie in Afghanistan wird der Verlust an sicherheitspolitischem Wissen in der Union schmerzlich fühlbar. Um die eigenen Schwachstellen zu kaschieren, halten es die Schwesterparteien sogar für nötig, jetzt mit dem Finger auf Heiko Maas zu zeigen, diesen Ministerdarsteller in einem Ministerium, das markant an Bedeutung verloren hat.
War das Auswärtige Amt einst das wichtigste Haus nach dem Kanzleramt, ist es inzwischen auf dem Wühltisch gelandet. Bei der nächsten Koalitionsbildung werden die Parteien zuerst nach den Ressorts für Finanzen, Umwelt, Inneres und Soziales greifen und erst dann nach dem Aussenministerium. Ausgerechnet dessen Amtsverweser soll sich die Unzulänglichkeiten der Rettungsaktion anrechnen lassen müssen? Das ist zu viel der Ehre für Maas.
Die Verantwortung liegt wie in den USA oder Frankreich bei der Frau oder dem Mann an der Spitze, und das war in den letzten sechzehn Jahren nun einmal Merkel. Weder Joe Biden noch Emmanuel Macron kämen auf die Idee, jemand anderes in der Sicherheitspolitik für zuständig zu halten als sich selbst.
Zwar ist der Verteidigungsminister in Friedenszeiten der «Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt», nicht der Kanzler. Aber Deutschland befand sich, auch wenn es das nie offiziell festgestellt hat, in Afghanistan im Krieg. Davon zeugen die Gefallenen genauso wie der an das Eiserne Kreuz erinnernde Tapferkeitsorden, der seit 2008 wieder verliehen wird.
Für Paris, London und erst recht für Washington war Afghanistan ein Einsatz unter vielen. Für Deutschland ist es der erste Krieg seit 1945. Dass man dennoch nicht mehr an Aufmerksamkeit darauf verwendete, stellt der deutschen Aussen- und Sicherheitspolitik kein Reifezeugnis aus. Wer abzieht, ohne nachhaltige Resultate vorzeigen zu können, muss sich fragen lassen, ob dieser erste bundesdeutsche Krieg die Opfer und den Aufwand wert war.
Merkel steht im Ruf, eine Strategin zu sein und stets mehrere Züge im Voraus zu planen. In ihrem Verhältnis zu Amerika liess sie sich jedoch von Emotionen leiten. Auf Trumps rüpelhaftes Auftreten reagierte sie mit offener Aversion und auf Bidens Sieg mit genauso unverhohlener Freude.
Im Sturm und Drang übersah Berlin allerdings Entscheidendes. Trump redete abfällig über die Partner Amerikas, seine Administration verhielt sich jedoch meist bündnistreu. Bei Biden ist es genau umgekehrt. Über den Abzug aus Afghanistan und dessen Tempo liess er seine Alliierten im Unklaren. «Gemeinsam rein, gemeinsam raus» – das Motto galt für Washington nur, als Amerika nach 9/11 den Nato-Bündnisfall ausrief und den Einmarsch in Afghanistan vorbereitete. Biden sind entgegen seinen Beteuerungen die Alliierten ziemlich egal.
Der
Abzug aus Afghanistan unterstreicht, dass die USA ihrer weltpolitischen
Verantwortung überdrüssig sind – unabhängig davon, ob der Präsident
Obama, Trump oder Biden heisst. Die Bundesrepublik, der amerikanische
Satellitenstaat im Kalten Krieg, der sich bis heute nicht von dieser
Rolle emanzipiert hat, gehört zu den Ländern, welche die Auswirkungen
des Kurswechsels am meisten zu spüren bekommen. Die angebliche Strategin
Merkel hat dies unterschätzt und sich nicht dagegen gewappnet. Das
Problem erbt nun jemand anderes. NNZ
*Zu Roger Köppel sagte sie einmal: "Wenn ich umsetze, was Sie mir vorschlagen, wählen mich die Leute nicht mehr".
**Merkel ist kein zuverlässiges Barometer der Volksmeinung, sondern ein opportunistischer Spiegel der Medienleutemeinung.
Das, was an ihr "professionell" erscheint, ist Bräsigkeit, Gleichgültigkeit, Kaltschnäuzigkeit und eiskalte, opportunistische Berechnung. Und was das Denken angeht, genauer, die Fähigkeit zur Analyse, zur Konzeption (ca. 2-100000x schwieriger als das Analysieren) und zur Entwicklung von Strategien, so kann ich bei ihr in all den Jahren nur einen einzigen solchen Denkvorgang erkennen: Sie hat 2005 erkannt, dass die Medienleute den größten Einfluss auf die Wahlbürger haben und hat deshalb seitdem konsequent, jeweils etwas verzögert, deren Meinungen in konkretes, politisches Handeln umgesetzt. Mit anderen Worten, sie hat sich selbst zur 5. Kolonne der (fast ausschließlich stark linksgericheteten) Medienleute gemacht. Insofern ist sie nicht "ein zuverlässiges Barometer der Volksmeinung", sondern der Medienleutemeinung. Sie ist brav und folgsam über jedes Stöcklein gehüpft, das ihr von diesen hingehalten wurde. Und wurde mit einem künstlichen Shit-Storm gedroht, hat sie sofort nachgegeben, ist zurückgewichen. Auch bezogen auf Afghanistan hat sie sich konsequent so verhalten, wie von den Medienleuten aufgrund von deren Ideologien und (realitätsblinden) Weltbildern vorgegeben. Dementsprechend wenig überraschend ist das Ende dieses Einsatzes, die Art des Endes und ihr Umgang damit. Ein paar Worte, dann dreht sie sich um und folgt den neuen Anweisungen aus den Redaktionen, die schon sehr gut wissen, wie sie die Aufmerksamkeit der Wahlbürger und Bevölkerung auf neue "Ziele" ausrichten.
Merkel war der Krieg insofern nicht egal, als er ihr unangenehm war. Der Einsatz in Afghanistan war ein Tribut an die Forderungen der Amerikaner. Man verweigerte der Bundeswehr vor Ort aber die nötige Ausrüstung und die Einsatzregeln, die für einen erfolgreichen Einsatz erforderlich gewesen wären. Die Transportwege z.B. ließ die Bundeswehr vor Ort durch Scharfschützen vor Sprengfallen sichern. Eine sehr effiziente Methode, die tote Taliban produziert, aber das Leben und die Gesundheit vieler Soldaten schützte. Als die Praxis bekannt wurde, wurde das sofort verboten mit dem Argument, man würde Menschen ohne Urteil töten. Für alle, die es immer noch nicht mitbekommen haben, der Einsatz in Afghanistan war ein Krieg.
In der
Konsequenz gab es wieder mehr Anschläge auf die Transportwege. Deutsche
Soldaten, für die Merkel und der Bundestag Verantwortung trugen,
starben. Merkel wollte partout nicht, dass die Öffentlichkeit merkt,
dass hier Krieg herrscht. Und die Medienleute wollten es auch nicht. Da
kamen Medienstrolche und Politstrolche zueinander. Diese Form des
Vertuschens und Wegduckens
vor der Realität sind die Ursachen dieses Desasters. Das jetzige
Debakel offenbart außerdem die unzureichende Ausrüstung der Bundeswehr.
Man ist
nicht einmal in der Lage, einen Flughafen gegen eine drittklassige
Guerillatruppe mit Gewehren und Jeeps zu sichern. Afghanistan reiht sich
nahtlos in die
lange Reihe von Merkels Versagen und von der unsäglichen Einfalt,
Gutgläubigkeit und leider auch Schlafmützigkeit, Bequemlichkeit und
Denkfaulheit des deutschen Michels ein.
***Es muss natürlich heißen: "was die deutschen Medienleute von der Bundeswehr halten".
****"wie die deutschen Medienmacher"
***** Ich habe nie verstanden, weshalb der militärisch kompetente Helmut Schmidt in seinem, von Friedrich Merz moderierten, Gespräch mit zu Guttenberg ihn nicht herausfordernder mit der Realität konfrontiert hat. Denn Schmidt sagte damals - vor 10 Jahren war das, glaube ich - kluge Dinge, während zu Guttenberg verworren vor sich hin faselte.
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