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Montag, 23. August 2021

Der Verfassungsschutz muss reformiert werden

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ist 1950 gegründet worden, um das Grundgesetz gegen Verfassungsfeinde aller nur denkbaren Couleur zu schützen. Über die Jahrzehnte hat es sich wacker geschlagen. Es konnte dabei allerdings nicht der Versuchung widerstehen, hin und wieder «Analysen» vorzulegen, die im Diskurs dem Bereich der intelligence to please zugeordnet werden. Mit ihnen wird versucht, politischen und medialen Erwartungshaltungen gerecht zu werden. Ging es zu Beginn der 1980er Jahre noch gegen die Grünen, so ist die Behörde heute unter anderem gegen die Alternative für Deutschland (AfD) politisch positioniert worden.

Die Bereitschaft, sich partiell instrumentalisieren zu lassen, hängt mit der rechtlichen Stellung des Präsidenten des BfV zusammen: Er ist politischer Beamter. Damit gehört er zur Gruppe jener Menschen, die gemäß § 54 Absatz 1 des Bundesbeamtengesetzes vom 5. Februar 2009 «von der Besoldungsgruppe B 6 an aufwärts» jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können. Warum dies so ist, geht aus § 30 Absatz 1 des Beamtenstatusgesetzes vom 17. Juni 2008 hervor. Spitzenbeamte wie der Leiter der Kölner Behörde bekleiden ein Amt, «bei dessen Ausübung sie in fortdauernder Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen müssen».

In rechtlicher Hinsicht gehört es also gerade nicht zu den vornehmen Aufgaben des Präsidenten des BfV, sich parteipolitisch neutral zu verhalten. Er kann jederzeit zum Befehlsempfänger werden. Ist zum Beispiel Bundesinnenminister Horst Seehofer der Meinung, dass der Rechtsextremismus zur größten Gefahr für die innere Sicherheit geworden ist, dann hat der Leiter des Verfassungsschutzes der Einschätzung zu folgen.

Am 17. Dezember 2019 war diese analytische Hierarchie auf einer Pressekonferenz zu beobachten. Seehofer nahm eine Bewertung des Rechtsextremismus vor und sagte mit Blick auf die anwesenden Präsidenten des BfV und des Bundeskriminalamts: «Ich bedanke mich auch bei beiden Behörden, dass wir hier völlig nahtlos, harmonisch und ohne, dass wir irgendetwas anweisen (sic!) müssen, sondern aus eigener Überzeugung diese Felder sehr, sehr stark bearbeiten.» Auf der Ebene der Landesämter für Verfassungsschutz werden die Abhängigkeitsverhältnisse dort deutlich, wo die Behörden lediglich das Dasein einer Abteilung des Landesinnenministeriums fristen.

Thomas Haldenwang hatte die Zeichen der Zeit bereits bei seiner Ernennung zum Präsidenten des BfV im November 2018 erkannt. Nach den gescheiterten NPD-Verbots-Verfahren, dem NSU-Desaster und Skandalisierungsversuchen um seinen Vorgänger Hans-Georg Maassen gab es im Bundesinnenministerium eine klare Erwartungshaltung: Der Neue darf nicht einmal ansatzweise den Eindruck erwecken, «rechts» (was in der Übersetzung eigentlich nur «konservativ» bedeutet) zu sein. Haldenwang sollte in den folgenden Monaten alle Erwartungen übertreffen. Der «Kampf gegen rechts» befand sich fortan ganz oben auf der Agenda des BfV.

Inhaltlich wurde dies vor allem mit dem Mord an Walter Lübcke (Juni 2019) sowie den Anschlägen von Halle (Oktober 2019) und Hanau (Februar 2020) begründet, obwohl die Attentäter Einzelgänger waren und nicht im Auftrag einer Bewegung oder eines rechtsextremen Netzwerkes agierten. Für Haldenwang war dies nicht weiter relevant, der politisch-mediale Druck war schlicht zu gross. Indem er nun auch begann, das politische Vorfeld – die «Neue Rechte» – für verdächtig zu erklären, entsprach er erneut den Erwartungshaltungen relevanter Entscheider. Dadurch konnte er Druck von der Behörde nehmen, um in Ruhe zu arbeiten. Zugleich baute der Präsident bei den Verantwortlichen Kredit für künftige Fehltritte auf.

Für die «Neue Rechte» gibt es gleichwohl keine allseits anerkannte Definition. Wer sich dieses Terminus bedient, kann darunter normale Konservative und auch Neo-Nationalsozialisten verstehen. Für Haldenwang war dies ohne Belang; er suchte sich jene Definition aus, die zur eigenen Analyse passte. Auch seine Vorstellungen zum von der Identitären Bewegung vertretenen «Ethnopluralismus» sowie zum «ethnisch-kulturellen Volksbegriff» setzen so an: Es wird eine rechtsextreme Facette herausgeschält, ohne das Phänomen in ausgewogener Form zu betrachten. Die angeblich 7000 Mitglieder des einstigen «Flügels» der AfD sind dem «Rechtsextremismuspotenzial» hinzugerechnet worden. Die Zahl ist eine Schätzung, und es fand natürlich keine Einzelfallprüfung statt.

Die politisch gewünschte Behauptung, wonach vom Rechtsextremismus die größte Gefahr für die innere Sicherheit ausgehe, wird aufrechterhalten, obwohl dies selbst die Angaben des Verfassungsschutzberichtes vom Juni 2021 nicht hergeben. Die Zahl der Gewalttaten – diese Kategorie ist für die Einordnung entscheidend – wurde 2020 bei Rechtsextremisten mit 1023 und bei Linksextremisten mit 1237 Fällen angegeben.

In anderen Bereichen wird dagegen untertrieben. Selbiger Bericht spricht allen Zahlen zum Trotz von einer «behauptete[n] ‹Islamisierung›» und einer «behauptete[n] unkontrollierte[n] Massenzuwanderung» in Deutschland.

Unter Thomas Haldenwang wird der «Kampf gegen rechts» mit harten Bandagen geführt – Verstöße gegen die Verfassung inklusive. Dies zeigen Urteile des Verwaltungsgerichts Köln. Im Februar 2019 wurde dem BfV untersagt, die AfD als «Prüffall» zu bezeichnen. Das Vorgehen der Behörde sei «rechtswidrig und auch unverhältnismäßig». Im März 2021 wurde dem Verfassungsschutz in scharfer Form vorläufig verboten, die AfD «als ‹Verdachtsfall› einzustufen oder zu behandeln sowie eine Einstufung oder Behandlung als ‹Verdachtsfall› erneut bekanntzugeben». Weiter sprach das Gericht mit Blick auf den Inlandsnachrichtendienst von einer zerstörten «Vertrauensgrundlage». In beiden Fällen ging es um formale, nicht um inhaltliche Fragen.

Für Haldenwang hätte dies eigentlich den Rücktritt zur Folge haben müssen, doch er verfügte bereits über erheblichen Kredit in Politik und Medien. Dies ist eine besondere Ironie der intelligence to please: Vertreter jener Institution, die das Grundgesetz schützen sollen, brechen manchmal aus kämpferischem Übereifer einzelne Verfassungsnormen und werden dann auch noch von der Politik gedeckt.

Wer die Vorgehensweise des BfV über die Jahrzehnte betrachtet, wird auf ein Kontinuum stoßen. Die «rote Linie» der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist je nach politischer Opportunität einmal etwas weiter nach rechts und dann wieder etwas weiter nach links verschoben worden. Es bietet sich daher an, über eine Reform des Inlandsnachrichtendienstes nachzudenken, um die Kultur der Instrumentalisierung zu durchbrechen.

Das BfV sollte aus dem Verantwortungsbereich der Bundesregierung, konkret dem des Bundesinnenministeriums, herausgelöst werden. Im Bundestag könnte ein neues Gremium mit Unterbau geschaffen werden, das für die Dienst- und Fachaufsicht der Behörde zuständig ist. Der Präsident des Verfassungsschutzes wird dann mit einer Zweidrittelmehrheit der gewählten Abgeordneten ernannt, um auch die Opposition einzubinden. Die Ernennung erfolgt auf fünf Jahre. Um die Unabhängigkeit des Präsidenten zu wahren, ist eine Wiederwahl nicht möglich. Er darf zuvor nicht das Amt des Vizepräsidenten innegehabt haben. Auch sollte er seit mindestens zehn Jahren nicht im Besitz eines Parteibuches gewesen sein.

Das Ergebnis einer solchen Reform des Inlandsnachrichtendienstes wäre ein erheblicher Gewinn von Ansehen und Vertrauen in weiten Kreisen der Bevölkerung. Zugleich würde vermieden, dass der Behördenleiter zu einem Politkommissar wird, der einer Art Bundesamt für Verdächtigungen vorsteht.

Martin Wagener ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Politik und Sicherheitspolitik am Fachbereich Nachrichtendienste der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Berlin. Kürzlich ist sein neues Buch in der Olzog-Edition des Lau-Verlages erschienen: «Kulturkampf um das Volk: Der Verfassungsschutz und die nationale Identität der Deutschen».

 

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