Stationen

Sonntag, 17. April 2016

4 Minuten und 6 Sekunden

die man im ZDF nicht sehen kann.


Bernd Lucke hat auch recht.




Stellen Sie sich einmal vor, der Provokateur Akif Pirinçci hätte in Dresden bei einer Veranstaltung von sogenannten Wutbürgern folgende Worte über einen Türken gesprochen: „Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner, selbst ein Schweinefurz riecht schöner. Er ist der Mann, der Mädchen schlägt und dabei Gummimasken trägt. Am liebsten mag er Ziegen ficken....“.

Da wäre aber was los gewesen. Entsetzen in den Tagesthemen. Claus Kleber den Tränen nah. Großalarm im deutschen Feuilleton. Ruf nach dem Staatsanwalt. Facebook-Sperrung. Das ganze Programm. Und das wäre auch nicht besonders verwunderlich gewesen. Schließlich kann man dumpfes Ressentiment gegen Türken kaum klarer aussprechen. Primitiver geht’s ja gar nicht, sollte es wohl auch nicht. So klingt rassistische Hetze, da beißt die Maus keinen Faden ab. Wäre ich Türke, fände ich das auch nicht besonders lustig.

Nun hat Akif Pirinçci dergleichen nicht gesagt. Das volle Programm hat er im letzten Herbst dennoch bekommen - wegen einer bei richtigem zitieren vergleichsweise harmlosen Passage in einer bescheuerten Rede vor Pegida-Anhängern (Inzwischen haben viele Medien ihre Darstellung von damals richtig stellen müssen. Dokumentation siehe auch hier.)


Nein, statt Akif Pirinçci hat Jan Böhmermann die eingangs zitierten Worte gewählt. Nicht vor Pegida-Anhängern, sondern vor dem deutschen Fernsehpublikum in toto, worunter naturgemäß aber auch Pegida-Anhänger sein dürften.
Nun bekommt auch Böhmermann das volle Programm. Allerdings das umgekehrte: Innerhalb kürzester Zeit ist der Moderator wegen seiner Türkei-Provokation zu einem Symbol für die Meinungsfreiheit aufgestiegen, die Medien und ein großer Teil des Polit-Betriebes stehen fest an seiner Seite, das Feuilleton solidarisiert sich, sogar der Redakteursbeirat des ZDF macht sich für ihn stark.
Die Frage lautet nun: Warum darf Böhmermann das, was Pirinçci nicht darf? Weil Böhmermann die Freiheit des Satirikers und der Kunst in Anspruch nehmen kann? Nun, das kann Pirinçci auch: Der Mann hat sogar deutlich mehr literarische Meriten als Jan Böhmermann. Die Literatur des türkischstämmigen Autors kann man allerdings nicht mehr besichtigen, weil der deutsche Buchhandel ihn boykottiert. Genau wie Bertelsmann, sein Verlag, der mit Pirinçci Katzenkrimis Millionen verdiente. Die Katzen fallen gleichsam unter Sippenhaft.

Das Ergebnis für die beiden könnte unterschiedlicher nicht sein: Pirinçci ist ein Leidtragender von Zensur und Persona non grata, Böhmermann steigt zum Held im Kampf gegen die Zensur auf. Am Publikum kann der Unterschied auch nicht liegen. Denn wer weiß schon, welch dunkle Gestalten, da nachts vorm Bildschirm rumlungerten und sich die volle Türken-Dröhnung schenkelklopfend reingezogen haben („Endlich sagt es mal einer!"). Man muss davon ausgehen, dass nur eine Minderheit des Publikums ironiefähig ist, der Rest hat Böhmermanns Worte genauso verstanden, wie er sie gesagt hat, Recep Tayyip Erdogan eingeschlossen.

Zweierlei Maas bei der Zensur

Aber offenbar gibt es Unterschiede, wenn zwei das gleiche tun. Könnte es daran liegen, dass Akif Pirinçci sich mit den Reich des Bösen eingelassen hat, während Böhmermann ganz im Gegenteil stets im „Kampf gegen Rechts“ die Fahne hoch gehalten hat? Unter dem Strich bedienen sich beide tief in der Fäkaliengrube und verbreiten Ressentiments. Ein berühmter Philosoph hat das Phänomen einmal so ausgedrückt: „Ich gehe jetzt zum Pinkeln, aber aus anderen Gründen“. 
Die Meinungsfreiheit macht in diesem Land offenbar einen Unterschied zwischen „links“ und „rechts“. Mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass es sich dann nicht mehr um Meinungsfreiheit handelt sondern um Willkür. Das ist und bleibt das Ergebnis solcher Reinigungs-Phantasien, auch diesmal wird es so sein. Zensur ist immer ein reiner Willkür-Akt, egal ob sie nun vom deutschen Buchhandel, dem türkischen Staatspräsidenten oder dem eifrigen deutschen Jusitzminister verordnet wird. Egal, ob es sich um rechte oder linke Parolen handelt, die Orientierung ist da ja ohnehin schwierg geworden, wie das Beispiel zeigt. Egal ob es sich nun um politische Botschaften handelt oder vermeintlich unpolitische - also etwa Werbeverbote, die aus dem gleichen ideologischen Holz geschnitzt sind.
Der gute Herr Maas macht ja nicht nur gegen Nacktheit in der Werbung mobil, er hat ja gerade auch eine Stasi-Truppe angeheuert, auf dass sie das Netz nach Hassbotschaften durchkämme. Stoßen die Spitzel auf Worte wie „Ziegenf...“ ist der Facebook-Account schneller geschlossen, als Erdogan einen Furz lassen kann. Und genau dieser Justizminister Maas hat sich nun hingestellt und in Sachen der böhmermannschen „Ziegenf...“ vor der Einschränkung der Kunst- und Meinungsfreiheit gewarnt, es seien die höchsten Schutzgüter der Verfassung.

Begreifen kann man diesen Irrsinn nicht, höchstens weiterdrehen. Die Meinungsfreiheit  braucht deshalb jetzt dringend noch eine weitere künstlerische Meta-Ebene: Akif Pirinçci liest Jan Böhmermann. Wir stellen die Performance sofort auf die Achse. Versprochen.   Dirk Maxeiner am 17. 4. 2016

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.