Stationen

Mittwoch, 20. April 2016

Nur wers nicht verstehen will, versteht es nicht

Morgen wird der neue Pirinçci beim Verlag Antaios angeliefert, Umvolkung, und als ich vorhin noch einmal in den sogenannten „Aushängern“ blätterte (den Bögen, die der Drucker zur allerletzten Kontrolle schickt), fiel mir glücklicherweise kein Fehler auf (für dessen Korrektur es eh zu spät gewesen wäre), aber eine Passage, die ich jetzt zitieren will:

Denn sie paßt sehr gut zu einem meiner Definitionsansätze, wann denn jemand ganz und gar in eine Nation sich integriert oder sogar assimiliert habe. Ich zitiere aus meiner Replik auf den FAZ-Text vom vergangenen Samstag:
Deutsch geworden sei, wer sich im Zweifelsfall loyal verhalte, also ganz und gar auf die deutsche Seite schlage und nicht zurückgreife auf Bindungen der Herkunft.
Die FAZ-Schreiber Bender und Bingener haben das ja nicht kapiert, was das bedeuten könnte, ganz praktisch, im Lebensvollzug. Aber Pirinçci hats kapiert, und sein neues Buch setzt ganz stark mit der Interpretation eines Films ein, der genau dies hintergründig zum Thema macht: durch besondere Opferbereitschaft zu zeigen, daß man dazugehöre, auch wenn man vor nicht langer Zeit erst eingewandert sei.
Pirinçci also, die ersten drei Seiten, leicht gekürzt. Umvolkung dann bitte bestellen, und zwar hier.
Der grandiose Film The Deer Hunter (Die durch die Hölle gehen) aus dem Jahre 1978 von Michael Cimino ist ein sogenannter Vietnam-Film. Tatsächlich spielen sich die schockierendsten Szenen darin auch während des Vietnam-Krieges ab, die dennoch nur einen kleinen Teil der Geschichte ausmachen. Die Feinde, also die Vietcong, zwingen ihre Gefangenen »Russisches Roulette« zu spielen, wobei von ihren Peinigern hohe Wetteinsätze buchstäblich auf ihre Köpfe gesetzt werden. Die Spieler wiederum können sich an einer Hand abzählen, wann auch der letzte von ihnen seinen Kopf verlieren wird. Auf den zweiten, erst recht dritten Blick jedoch erzählt der Film nur vordergründig vom Krieg. Im Gegenteil, er ist der Heimatfilm par excellence, wenn auch mit ganz besonderen Einheimischen und mit zweierlei Heimat.
Die drei Freunde Michael (Vronsky), Nikanor »Nick« (Chevotarevich) und Steven (Pushkov), drei russischstämmige junge Stahlarbeiter aus einem US-Provinzstädtchen in Pennsylvania sind stramme Patrioten. Deshalb ziehen sie 1968 freiwillig in den Vietnamkrieg. … Aber auch hier steigt der Zombie der Herkunft wieder aus dem Sarg und streckt seine klappernden Skelettfinger anspielungsreich nach den Stahlwerker-Jungs aus, die jetzt Soldaten sind. Zum einen in Form des Russischen Roulettes, nachdem sie in Gefangenschaft geraten sind und es über sich ergehen lassen müssen. Zum anderen durch die zwar unausgesprochene, aber jedem bewußte Tatsache, daß die ehemalige Sowjetunion auf der Seite des Feindes stand und ihn tatkräftig unterstützte. Nicht nur die berühmten Kalaschnikows und Mil-Mi-2-Kampfhubschrauber weisen bildlich daraufhin. Der Zuschauer und mit ihm vielleicht auch unsere drei Freunde fragen sich wohl ebenso, ob all der Horror und die erlittene Pein nicht eine allegorische Rache der alten Heimat an ihren Abtrünnigen ist. Und wie immer, wenn es um Heimat geht, steht erneut die reaktionäre, nichtsdestoweniger unvermeidliche Frage im Raum: Zu wem gehörst du? Der Krieg als nachträglicher Einbürgerungstest. … Obgleich The Deer Hunter ein bis an die Schmerzgrenze gehend brutaler und deprimierender Antikriegs-Film ist, so ist er doch auch gleichzeitig ein Märchen über Assimilation und über die heilende Kraft des Zugehörigkeitsgefühls, wenn man sich voll und ganz mit einer Gruppe, einer Nation und letztlich mit einem Volk und dessen »Lifestyle« identifiziert. Woher man einst stammte und welche Hautfarbe, Religion und Bräuche man aus der alten Heimat noch besitzt, spielt dabei keine Rolle.
Entscheidend ist nur das Hier und Jetzt, und dieses Hier und Jetzt kann sich natürlicherweise und auch aus anthropologisch verifizierbarer Sicht allein auf jenes Fleckchen Erde beziehen, in dem man im wahrsten Sinne des Wortes verwurzelt ist und sein möchte. Die Wurzeln müssen aber auf jeden Fall frisch und gesund durchblutet sein, keine längst abgestorbenen jedenfalls, die man nur deshalb nicht abhackt, weil das Biotop, in das man eingewandert ist, von debilen Gärtnern bewirtschaftet wird, die das Wachstum von »Kraut und Rüben« mit einem Rosenhain verwechseln. Wie auch immer, die neuen Michaels, Nicks und Stevens wird es in Deutschland künftig nicht mehr geben. Es ist zu spät.
Womit ich beim Thema dieses Buches bin, nämlich der gegenwärtigen aufgezwungenen Entheimatung der Heimat durch das Fremde – bis zu ihrer kompletten Auflösung. …
(Nochmals der Bestellhinweis: Umvolkung. Wie die Deutschen still und leise ausgetauscht werden, 160 Seiten, 14 €, hier bestellen.GK am 20. 4. 2016


 Bender & Bingener

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