In Schulklassen gibt es oft einen Außenseiter, der bevorzugt
gehänselt und herumgestoßen wird. Wer feige ist, hackt gerade auf diesem
Außenseiter herum, denn da kann er sich der johlenden Unterstützung
seiner Klassenkameraden am sichersten sein.
Ein solcher Feigling ist Jan Böhmermann. Er weiß, dass Erdogan der
Buhmann der Nation ist. Ihn abzuwatschen, ist leichtes Spiel. Da
klatscht das Publikum, weil es den ungeliebten Erdogan erwischt. Da
lacht es über die primitiven Vulgaritäten. Nicht weil sie lustig sind,
sondern aus Verlegenheit. Auf Unanständiges anständig zu reagieren, ist
nicht so leicht. Es ist nicht jedermanns Sache, in einer Fernsehsendung
aufzustehen und den Moderator abzuwatschen, wie er es verdient hätte.
Und so hat Böhmermann den Erfolg und die Zustimmung, die leicht
vorauszusehen waren. Gefühlte 90% der Bevölkerung sind auf seiner Seite.
Ich bin nicht auf seiner Seite. Gewiss: Erdogan ist alles andere als
eine Lichtgestalt der Demokratie, der Pressefreiheit und des
Minderheitenschutzes. Keine Frage. Aber das gilt für die meisten
Staatslenker unserer Welt. Doch anders als viele korrupte Kleptokraten
hat Erdogan sein Land nicht ruiniert. Ganz im Gegenteil: Er hat die
Türkei zum Erfolg geführt.
Vor Erdogan war die Türkei der kranke Mann am Bosporus. Eine
Demokratie mit vielen Mängeln. Wirtschaftlich schwach und bis über beide
Ohren verschuldet. Und wenn es allzu toll wurde, putschte das Militär.
Davon ist heute keine Rede mehr. Und im Vergleich zu früher geht es
den Türken heute richtig gut. Im Schnitt verdient jeder Türke heute
doppelt so viel wie zu Beginn von Erdogans Amtszeit. (Deutsche
Arbeitnehmer können von einer Verdoppelung der Kaufkraft nur träumen!)
Erfreulicherweise haben die ärmeren Türken besonders profitiert. Die
starke Ungleichheit der Einkommen – ein typisches Problem von
Entwicklungsländern – hat sich unter Erdogan deutlich reduziert.
In Europa reden wir gerne despektierlich über Erdogan. Aber seine
Erfolge müssten wir ihm erst einmal nachmachen. Während die Türkei
boomt, kämpft die EU gegen Krisen und Stagnation. Während die Armen in
der Türkei reicher wurden und die Ungleichheit abnahm, sanken in vielen
europäischen Ländern die Reallöhne und die Ungleichheit nahm zu.
Vor Erdogans Amtsantritt lag das türkische Durchschnittseinkommen bei
rund einem Drittel des Durchschnittseinkommens der EU, bei 35%. Heute
sind es 53%. Und wenn wir noch ein paar Jahre mit dem Euro weitermachen,
wird die Türkei demnächst bei 70% liegen und die griechischen
Arbeitslosen werden sich als Gastarbeiter in der Türkei verdingen. Aber
das nur am Rande.
Erdogans Wirtschaftspolitik war ein großer Erfolg. Die Türken merken
das nicht nur am Portemonnaie. Sie haben jetzt eine Krankenversicherung
und eine Art Rentenversicherung. Wenn man alt oder krank ist, ist man
nicht mehr ausschließlich auf die Familie angewiesen, die möglicherweise
selbst nur das Nötigste hat. Die Türkei baut einen Sozialstaat auf und
die staatlichen Sozialausgaben wachsen noch schneller als das
Bruttoinlandsprodukt.
In den deutschen Medien wird stets über die Verschlechterung der
Pressefreiheit in der Türkei berichtet. Man sollte auch mal über die
Verbesserung des Gesundheitswesens berichten: Seit Erdogans Amtsantritt
hat sich die Lebenserwartung in der Türkei um fünf Jahre erhöht. Die
Kindersterblichkeit hingegen wurde halbiert.
Es lohnt sich jetzt übrigens auch, fürs Alter zu sparen. Als Erdogan
antrat, lag die Inflation bei rund 50% und fraß ruckzuck alle
Ersparnisse auf. Heute liegt die türkische Inflation bei knapp unter
10%. Immer noch ein bisschen viel, aber zweifellos ein großer
Fortschritt. Währenddessen kämpft die Europäische Zentralbank
verzweifelt darum, dass sie wenigstens ein bisschen Inflation erzeugen
kann.
Vorbei sind die Zeiten, wo die Türkei ein riesiges Staatsdefizit
hatte. Früher lag es bei 10% des Bruttoinlandsprodukts, heute ist es in
der Nähe von Null. Anfang des Jahrtausends schlitterte die Türkei nur
haarscharf an einem Staatsbankrott vorbei. Während in der Eurozone die
Staatsschulden außer Kontrolle gerieten, reduzierte Erdogan die
türkische Schuldenquote von 74% auf 36% des BIPs. Zum Vergleich: In der
Eurozone ist 60% die Obergrenze nach dem Maastricht-Vertrag. Deutschland
hat 75%, Griechenland knapp 200%.
Erdogan war in Deutschland schon immer unbeliebt, aber seit der
Flüchtlingskrise hat sich das noch mal verstärkt. Nur sollten wir nicht
vergessen: Niemand hat so viele Flüchtlinge aufgenommen wie die Türkei.
Bei uns ist es eine Million oder ein bisschen mehr – und selbst Frau
Merkel hat inzwischen begriffen, dass das ziemlich viel ist. In der
Türkei leben derzeit rund 3 Millionen Flüchtlinge. Wobei die Türkei
ungefähr so viel Bevölkerung hat wie Deutschland und sehr viel ärmer
ist.
Auch das muss man Erdogan fairerweise auf der Haben-Seite anrechnen:
Drei Millionen arabische oder kurdische Flüchtlinge dürfen unentgeltlich
Bildungsangebote und die Leistungen des türkischen Gesundheitswesens in
Anspruch nehmen. Und als das Welternährungsprogramm die
Nahrungsmittelrationen für Flüchtlinge auf 80% herabsetzen musste, weil
die reichen Länder dieser Welt keine weiteren Mittel zur Verfügung
stellen wollten, ist die Türkei eingesprungen und hat die
Finanzierungslücke geschlossen. Hut ab, Herr Erdogan!
Die vielen Wirtschaftsmigranten, die nach Deutschland kommen, haben
bei uns die Erkenntnis reifen lassen, dass man die Armut in der Welt
vermindern muss. Stichwort: Fluchtursachen bekämpfen. Mehr und bessere
Entwicklungshilfe mit tollen neuen Ideen, die in vielfältigen
Diskussionen entwickelt wurden. Die nur leider in der praktischen
Entwicklungshilfe längst bekannt und verworfen sind, weil sie nicht
funktionieren.
Es ist nicht leicht, Armut und Unterentwicklung zu bekämpfen. Die
deutsche Entwicklungshilfe ist hochprofessionell, aber wenn sie auf ein
schlecht regiertes Land stößt, kann sie nur relativ wenig ausrichten und
daran wird sich auch nichts ändern. Erdogan aber hat in seinem Land das
Kunststück geschafft. Wenn jemand Fluchtursachen erfolgreich bekämpft
hat, dann er. Die Türken haben eine gute Zukunftsperspektive in ihrem
eigenen Land. Seit 2006 wandern jedes Jahr mehr Türken aus Deutschland
in die Türkei als umgekehrt.
Wo Licht ist, ist auch Schatten. Die unbestreitbaren Schattenseiten
von Erdogans Amtsführung will ich hier nicht ausführen – sie werden in
den deutschen Medien ausführlich beleuchtet. Was da an Kritik geäußert
wird, ist meistens berechtigt und deshalb ist es gut, dass diese Kritik
geäußert wird – wenn sie sachlich geäußert wird. Wir sollten stets
entschieden für die Werte der Aufklärung und der Demokratie eintreten.
Das aber dann bitte mutig auch gegenüber den Großen dieser Erde. Was
ist mit dem russischen Präsidenten Putin oder dem chinesischen
Präsidenten Xi? Warum geifert Böhmermann nur gegen Erdogan? Putin und Xi
stehen mit Demokratie und Pressefreiheit mindestens so sehr auf
Kriegsfuß wie Erdogan. Erdogan protegiert den Islam, Putin die
Orthodoxie und unter Xi hat keine Religionsgemeinschaft viel zu lachen.
Erdogan drangsaliert die Kurden, Xi die Tibeter und Putin die
Krimtartaren. Den Tschetschenen hat er noch viel übler mitgespielt.
Das kann und soll man alles kritisieren. Aber sich den einen
herauszupicken, der nun mal in Deutschland besonders unbeliebt ist, und
ihn Beifall heischend mit unflätigen Obszönitäten zu bombardieren, die
mit sachlicher Kritik nichts, aber auch gar nichts zu tun haben, ist
ungerecht, gemein und feige. Böhmermann hat Erdogan mit Dreck und
Schweinereien überschüttet.
Und deshalb sage auch ich, was man nicht sagen darf: Böhmermann ist eine feige Drecksau. Bernd Lucke
Aber wo er unrecht hat, hat er unrecht: Herr Erdogan ist doch kein armer Außenseiter, der von allen anderen herumgestoßen wird. Er ist der Bully, der die anderen verprügelt (bzw. real verprügeln und ins Gefängnis werfen lässt). Dementsprechend ist Herr Böhmermann auch kein Feigling, der nur auf sicheren Jubel aus wäre, sondern er ist der Klassenclown, der sich einen blöden Witz über den Bully nicht verkneifen kann, obwohl er dafür Prügel von diesem und seinen Freuden kassiert. Zu diesen Freunden gehört nicht nur Frau Merkel als Klassensprecherin, sondern auch Herr Lucke, der mangels eigener Kraft stets auf der Seite der Starken und Mächtigen stehen möchte.
Aber das wahre Problem ist ein ganz anderes: Geschmacklosigkeit ist nicht legitim. Und in Deutschland hat man die Geschmackssicherheit vor langer Zeit verlernt, bzw. immer nur ausnahmsweise besessen. Wir gehören zu den barbarischen Völkern. Am deutlichsten erkennbar ist es an der spezifisch deutschen Pornographie, die bisher Gott sei Dank nicht im ZDF zu sehen ist. Erkennbar auch daran, dass es trotz Meinungsfreiheit notwendig war, die Holocaustleugnung zu verbieten: wir sind so herzlos (und so selbsmitleidig in den Gedanken verliebt, die Leugner könnten recht haben), dass wir nicht nachempfinden können, was es für die Überlebenden bedeutet, wenn ihr Schicksal auch noch bestritten wird. Erkennbar wiederum an den Exzessen deutschsexueller Freizügigkeit, mit denen sich ein Volk betäubt, das zu Erotik nicht fähig ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis in der Schwulen- und Fäkalrepublik die Skandale über verschollene Flüchtlingskinder die Kölner "Zwischenfälle" verdrängen werden.
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