Stationen

Dienstag, 19. April 2016

Heute besuchte Viktor Orbán Helmut Kohl

Orbán, ein Mann von tatsächlich kleinem Wuchs, steigt aus, in dunklem Anzug und blauer Krawatte. Von einem Begleiter wird ihm sogleich ein Blumenstrauß gereicht, vermutlich ist er für Kohls Ehefrau Maike Kohl-Richter bestimmt. Aus der Ferne ist schwer zu erkennen, um welche Blumen es sich handelt. Der Jahreszeit angemessen könnten es Pfingstrosen sein. Um 11.54 Uhr sind die Besucher im Haus verschwunden.
Das große Warten beginnt, wieder. Dass Helmut Kohl sich nach dem Besuch persönlich zeigen könnte, gilt als sehr unwahrscheinlich, schon aus gesundheitlichen Gründen. Aber Orbán? Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Rheinpfalz sagt, es sei signalisiert worden, der ungarische Gast halte sich ein Statement „offen“. Um 13.06, also nach gut einer Stunde, kommt Leben in die Leibwache vor Kohls Haus. Orbán kommt. Schnurstracks geht er auf das Spalier aus Kameras zu, das man sonst nur von roten Teppichen kennt. In seiner Landessprache sagt der ungarische Ministerpräsident: „Guten Tag, ich bin froh, dass ich Sie hier sehe, und ich bedanke mich für Ihr Interesse.“ Die ungarisch-deutsche Freundschaft sei eine „wichtige Sache“, und das Symbol dafür sei „Bundeskanzler Helmut Kohl“.
Er, Viktor Orbán, sei gekommen, um ihm die Ehre zu erweisen. „Im Namen aller Ungarn bedanke ich mich für alles, was er für uns getan hat.“ Das sei von „großem Wert für ganz Europa“. Orbán bittet die Journalisten darum, Kohl „nicht in konkrete politische Auseinandersetzungen hineinzuziehen“. „Er steht über uns aktiven Politikern.“ Orbán sagt außerdem, er habe sich bei der Begegnung mit Kohl an Treffen mit dem alten Papst Johannes Paul II. erinnert gefühlt. „Sein Geist und seine Aufmerksamkeit sind noch da“, aber sein körperlicher Zustand erlaube es ihm nicht mehr, alles zum Ausdruck zu bringen.
Als Orbán mit den Worten schließt, „es lebe die deutsch-ungarische Freundschaft“, und dann, ohne Nachfragen zu ermöglichen, abfährt, wendet sich der Blick der Journalisten wieder zum Eingang von Kohls Haus. Da sitzt der 86 Jahre alte Mann in seinem Rollstuhl, seine Frau und Personenschützer an seiner Seite, und schaut seinem Gast hinterher.   FAZ am 19. 4. 2016

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