Stationen

Mittwoch, 20. April 2016

In Erdogans Krallen

Selbst treue Anhänger verstehen die CDU-Chefin nicht mehr. Ihr Machtwille um jeden Preis wendet sich plötzlich gegen sie selbst.

Das Verhalten von Angela Merkel in der Böhmermann-Affäre hat selbst treue, langjährige Anhänger der CDU-Chefin auf Distanz gehen lassen. Dabei geht es längst nicht mehr um den vulgären Kabarettisten. In den Augen der großen Mehrheit der Deutschen hat sich die Kanzlerin zum Handlanger des türkischen Präsidenten Erdogan gemacht.
Dass sie sich dazu genötigt sah, illustriert das völlige Scheitern jenes verquasten EU-Türkei-Abkommens, das auf Merkels Betreiben zustande kam. Was die PAZ schon im Februar (Folge 8/2016) vorausgesagt hat, ist nun offenkundig geworden: Merkel befindet sich „in Erdogans Krallen“.

Wie konnte sich die Kanzlerin nur so verstricken, sie, der selbst die schärfsten Kritiker einen ausgeprägten Machtinstinkt nie absprechen würden? Vielleicht liegt gerade hier, in Merkels unbedingtem Willen, um jeden Preis oben zu bleiben, der Keim ihres Scheiterns.
Die Kanzlerin ist von einschneidenden Erfahrungen geprägt: Sie ist in der DDR mitgelaufen, solange das System aufrecht stand. Als sie die SED-Größen hatte stürzen sehen, schloss sie sich (aber erst im Dezember 1989, als es ungefährlich war) der Demokratie-Bewegung an. Von dort aus machte sie Karriere in der CDU. Bei einem anderen Verlauf der Geschichte hätte die talentierte FDJ-Sekretärin ihren Weg ebenso gut im alten SED-System gemacht, ohne jemals anzuecken. So hat Merkel gelernt, sich nicht für ein langfristiges Ziel geradezumachen, sondern von Fall zu Fall, „auf Sicht“, wie sie es nennt, zu entscheiden, um jeweils geschmeidig die Richtung wechseln zu können, wenn der Wind dreht.

In der Euro-Krise, wo Hinausschieben bis heute ihr Rezept ist, oder mit der abrupten Energie-Wende nach Fukushima ging diese Taktik noch auf. Ihre Wendigkeit und ihr völliges Desinteresse an den langfristigen Wirkungen ihrer Politik sicherten Merkel die Macht.

In der Asylfrage funktionierte das nicht mehr. Wie bei Euro und Energie wollte sie mit „Wir schaffen das!“ nur beim Wähler punkten. Doch anders als zuvor kamen die Resultate mit der Massenflucht nun schlagartig.
Auf diese Überraschung reagierte Merkel mit grotesker Sturheit – und dreister Heuchelei: Einerseits schwärzte sie die Balkanstaaten für deren Grenzschließung an, andererseits hat ihr diese Maßnahme vermutlich den Kopf gerettet, weil sonst der Massenansturm nach Deutschland ungebremst weitergegangen wäre.

Im Fall Erdogan-Böhmermann hat sich Merkel in ihrem eigenen Gespinst verfangen. Nun konnte sie die offensichtlichen Widersprüche nicht mehr mit wohl- wie hohlklingenden Floskeln wegsingen. Stattdessen begegnet sie hier dem „Fluch der bösen Tat“ ihrer eigenen Politik, und deren Prinzipienlosigkeit wird für jedermann sichtbar.   Hans Heckel am 20. 4. 2016

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