Erinnern Sie sich noch an das Cappuccino-Modell der Rente? Es ist
noch gar nicht lange her, daß es uns als der große Wurf im Kampf gegen
die Altersarmut empfohlen wurde. Es bestand aus drei Elementen: zunächst
dem Kaffee, der für den gesetzlichen Rentenanspruch stand. Darüber
dann, als Sahnehäubchen, eine Betriebsrente. Zum Schluß eine Prise
Kakao, die Privatvorsorge für das Alter.
Heute sind von dem schönen Modell nur noch Trümmer übrig, und die
Reform muß abermals reformiert werden. Das Absinken des staatlich
garantieren Rentenniveaus von ehemals 60 auf demnächst 43 Prozent des
Durchschnittslohns ist längst beschlossene Sache. Norbert Blüms
großspuriges Versprechen, eines sei sicher, die Rente, galt eben nur für
seine eigenen Altersbezüge; die sind tatsächlich sicher, und wie! Hoch
sind sie auch, weil er sie sich als Abgeordneter selbst garantieren
konnte.
Das zweite Element, die Betriebsrente, ist ein Relikt aus der guten
alten Zeit, in der Rücklagen noch etwas brachten. Seit Mario Draghis
Nullzinspolitik ist diese Zeit jedoch vorbei, so daß der Anspruch auf
eine halbwegs auskömmliche Betriebsrente zum Privileg der Älteren
geworden ist. Da immer mehr Betriebe sich weigern, Rentenansprüche
aufzubauen, gehen die Jüngeren oft leer aus.
Schließlich die Riester-Rente. Daß dieser Versuch, der privaten
Vorsorge durch Zuschüsse aus Steuermitteln aufzuhelfen und so das
Cappuccino-Modell doch noch zu retten, ein Reinfall war, scheint sich
inzwischen auch unter Sozialpolitikern herumgesprochen zu haben. Horst
Seehofer wiederholte jedenfalls nur, was die meisten Rentner ohnehin
schon wußten, als er verriet, daß die Riester-Rente gescheitert sei.
Insgesamt eine traurige Bilanz. Nur nicht für den Erfinder des
Riesterns, Walter Riester selbst. Als zuständiger Minister hatte er das
nach ihm benannte Renten-Modell so kompliziert entworfen, daß es kein
Mensch mehr verstand. Für Riester hatte das die angenehme Folge, daß er
nach seinem Ausscheiden aus dem Amt als Abgeordneter des Deutschen
Bundestages zum meistgesuchten Berater wurde. Jahrelang stand sein Name
an erster Stelle auf der Liste, mit der die Volksvertreter Auskunft
geben über Zahl und Wert ihrer Nebentätigkeiten.
Mit dieser Art von Selbstbegünstigung steht Riester nicht allein.
Unter den zahlreichen Privilegien, die sich die Abgeordneten selbst
zugeschanzt haben, dürfte der Anspruch auf eine gut dotierte
Altersversorgung, zu der sie selbst jedoch, anders als wir, das dumme
Volk, keine eigenen Beiträge zahlen müssen, das mit Abstand wertvollste
sein. Eben deshalb wird es so zäh verteidigt. Alle Versuche, das
Ärgernis zu beseitigen, sind am Widerstand der politischen Klasse
gescheitert.
Stattdessen wenden sich die Abgeordneten den Wählern zu und stellen
ihnen ein neues Modell, die Lebensleistungsrente, in Aussicht. Als
relevante Größen werden dabei Arbeitsleistung und Beitragszahlung
berücksichtigt, nur eines fehlt: der Beitrag, den Eltern dadurch
leisten, daß sie Kinder in die Welt setzen und großziehen. Und damit,
technisch gesprochen, das Grundkapital bereitstellen, ohne das der
Riesenbau der staatlichen Versicherungsindustrie wie ein Kartenhaus
zusammenstürzen würde.
Wer Schweine mästet, gilt als nützliches, wer Kinder großzieht, als
unnützes Mitglied der Gesellschaft, hatte Friedrich List, der große
Ökonom, einmal gespottet. Er hatte das ironisch gemeint, aber die
Sozialapostel von heute, Unternehmer und Gewerkschafter, Makro- und
Mikroökonomen, nehmen das ernst. Und die Politiker handeln danach.
Sie machen es wie die berühmte Marquise de Pompadour, die nach der
für Frankreich verlustreichen Schlacht von Roßbach gerufen haben soll:
Nach uns die Sintflut! Die in Gestalt der Französischen Revolution dann
auch kam – leider zu spät, um auch die Pompadour noch aufs Schafott zu
bringen.
Daß das Rentensystem im Umlageverfahren, wie es seit mehr als einem
halben Jahrhundert in Deutschland praktiziert wird, nicht nur auf einer,
sondern auf zwei Säulen ruht, auf der Beitragskraft der aktiven und der
Kopfstärke der nächsten Generation, weiß jedes Kind. Wer es noch nicht
weiß, kann es im Parteiprogramm der CDU oder in zahlreichen Urteilen des
Bundesverfassungsgerichts nachlesen. Wetterfest ist ein solches System
nur dann, wenn es beide Säulen berücksichtigt, neben der bezahlten also
auch die unbezahlte Arbeit belohnt, die Eltern einfach dadurch leisten,
daß sie Kinder haben.
Gelernte Sozialpolitiker wollen davon nichts hören. Bis heute nennen
Blüm und seine Nachfolger im Amt die Rente leistungsgerecht und
beitragsbezogen: was auf nichts anderes hinausläuft als die unverschämte
Behauptung, daß Mütter keinen Beitrag zahlen und keine Leistung
erbringen, die mit mehr zu belohnen wäre als einem Hungerlohn im Alter.
Jetzt fliegt der Schwindel auf. Die Kosten werden alle treffen, am
härtesten die armen Kinder, die neben ihren Eltern auch noch die große
und schnell wachsende Zahl derjenigen versorgen sollen, die den Witz des
Systems kapiert und in der Gewißheit, im Alter von Kindern versorgt zu
werden, für die sie selbst nichts getan hatten, auf Nachwuchs verzichtet
haben. In Deutschland lebt man eben gut von Kindern, die man selbst
nicht hatte.
Jeder soll leben, wie er will, er soll dann aber auch die Folgen
tragen. Dazu ist die Masse der kinderlosen Doppelverdiener noch nie
bereit gewesen. Wenn sie für ihre halbe Leistung doppelten Lohn
verlangen, berufen sie sich auf den Generationenvertrag; zu Unrecht
allerdings. Denn halten kann so ein Vertrag nur dann, wenn er gerecht
ist. Das war er nie, und deshalb ist er auch zerbrochen.
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