Stationen

Donnerstag, 21. April 2016

Ambivalenz

Je bewegter die Zeiten, desto größer die Macht der Parolen. „NSDAP-nah“, „extremistisch“, „nicht mit dem Grundgesetz vereinbar“, „Schande für Deutschland“, so lauten die Vorwürfe an die Adresse der AfD. Als Ausgangspunkt dienen einige Punkte des Entwurfs für das Parteiprogramm, das auf dem Parteitag Ende des Monats verabschiedet werden soll.
Darin geht es um das Verbot von Minaretten, den Ruf des Muezzin und Ganzkörperverschleierung, Kontrolle der Finanzierung islamischer Institutionen. Manches davon entspricht den Forderungen verwandter Parteien im ganzen Spektrum von SVP bis Front National, manches dem, was auch die Etablierten verlangen.
Auf den Kern der Sache kommt man erst mit der Formel „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Denn die macht deutlich, daß die AfD „Deutschland“ weder für eine AG noch für ein zivilgesellschaftliches Projekt noch für ein beliebiges Bevölkerungskonglomerat hält. Deutschland wird offenbar als eine konkrete, historisch so und nicht anders gewordene Einheit mit bestimmten kulturellen Prägungen verstanden.


Diese Einheit ist deshalb durchaus definierbar, etwa im Hinblick auf ihre Identität. Die könnte man bestimmen als „Verschmelzung hellenischer und christlicher Ursprünge in germanischem Wesen“ (Rudolf Fahrner / Claus v. Stauffenberg). Das heißt nicht, daß nicht auch anderes quantitativ eine Rolle spielen mag.

Aber das Andere hat doch nicht den gleichen Anspruch auf Geltung wie das Eigene. Das gilt auch für den Islam. Insofern ist die Feststellung Alexander Gaulands durchaus berechtigt, wenn er den Islam als „Fremdkörper“ bezeichnet. Und die Behauptung der Gegenseite, daß der Islam zu Deutschland gehört, ist es nicht. Denn die stützt sich nur auf Wünschbarkeiten: die, daß Islam und Islamismus nichts miteinander zu tun haben, die, daß Integration an der fehlenden Sensibilität der „aufnehmenden“ Gesellschaft scheitert, die, daß der Islam sich „entwickeln“ werde oder schon in einen zahmen „Euro-Islam“ übergehe, der die Trennung von Staat und Kirche akzeptiert.

Nichts davon findet seine Bestätigung in der Wirklichkeit. Die ist bestimmt durch das Kippen ganzer Großstadtviertel, das Entstehen von Parallelgesellschaften, die Ausbreitung des Salafismus und verwandter Strömungen, die Rekrutierung von Dschihadisten wie die rabiate Anspruchshaltung selbsternannter Vertreter der muslimischen Gemeinschaft. Das alles läßt ein klar konturiertes Bild entstehen; das erlaubt eine präzise Lagebeurteilung, und die zwingt zur Konzentration auf den Kern des Streits. Es ist deshalb kaum sinnvoll, eine weitere Front zu eröffnen und dem Islam den Charakter einer Religion abzusprechen. Die Behauptung, die Beatrix von Storch aufgestellt hat, daß es sich um eine „politische Ideologie“ handele, führt zur Unterschätzung und in die Irre.
Denn ganz ohne Zweifel gehört der Islam zu den Hochreligionen, seine Ausbreitung ist unmöglich nur auf Zwang oder die Beutelust einiger Beduinenstämme zurückzuführen. Er hat nicht nur außerordentliche zivilisatorische Leistungen hervorgebracht, sondern immer auch ein erhebliches Maß an intellektueller Anziehungskraft bewiesen, das nichts mit der Bekehrung von Verlierern im Wohlstandsgürtel der nördlichen Erdhalbkugel zu tun hat. Ihn mit einer antifaschistischen Mobilisierung der anderen Art bekämpfen zu wollen, wird kaum gelingen.

Denn der steht nicht nur das Prinzip der Religionsfreiheit entgegen, wie es in der Verfassung niedergelegt ist, sondern auch die Gefahr sich rasch in unerfreulicher Gesellschaft wiederzufinden: Schulter an Schulter mit denen, denen es tatsächlich um das Schüren von Religionshaß geht, oder im Verein mit jenen Verteidigern „westlicher Werte“, die darunter vor allem das Recht auf Obszönität, Abtreibung und die Durchsetzung der Schwulenehe verstehen.

Die Heftigkeit der Attacken auf die AfD hat auch mit der islamskeptischen oder islamfeindlichen Stimmungslage in großen Teilen der Bevölkerung zu tun. Die Umfrageergebnisse sprechen eine deutliche Sprache, und man möchte den Zugriff eines gefährlicher werdenden Konkurrenten auf eine tendenziell wachsende Klientel verhindern. Das alles gehört zum politischen Tagesgeschäft. Die Auseinandersetzung um den Islam in Deutschland ist wesentlich mehr als das.
Hier wird ein Kulturkampf geführt. In dem geht es nicht nur darum, ob die Zuspitzung der Situation durch weitere islamische Zuwanderung verhindert und die Fähigkeit zur Assimilierung gestärkt werden kann. Es geht auch um die grundsätzliche Frage, was uns als Deutsche und Europäer ausmacht und wie sich eine Antwort nicht nur in der Abgrenzung geben läßt.

Dr. Karlheinz Weißmann, Jahrgang 1959, ist Historiker und arbeitet im Höheren Schuldienst des Landes Nieder­sachsen



Ich hatte gestern eine sehr konstruktive Diskussion mit Mouhanad Khorchide über den Islam im Haus am Dom in Frankfurt. Auch wenn wir beide den Islam unterschiedlich bewerten, schätze ich Mouhanads Bemühungen, eine Theologie der Barmherzigkeit zu etablieren und die friedlichen Muslime dafür zu gewinnen. Doch gestern waren einiger dieser friedlichen Muslime im Saal anwesend, und ihre Wortmeldungen haben einmal mehr gezeigt, dass es sehr schwierig sein wird. Es waren gebildete, junge Männer, die nicht den Eindruck erweckten, extremistische Positionen einzunehmen, dennoch waren ihre Kommentare entweder naiv apologetisch oder von der Opferhaltung geprägt.
Ich kann gut verstehen warum solche Muslime meine Thesen angreifen, aber warum greifen sie auch die Thesen von Khorchide an, der ja versucht, das Friedenspotential des Islam in den Vordergrund zu stellen? Wo stehen sie? Was wollen sie?
Das sagen sie nicht. Sie sagen nur, was sie nicht mögen, nicht das was sie erreichen wollen! Und wenn sie vor der Wahl stehen, dann wählen sie lieber Erdogan. Hier wird deutlich, dass das Problem nicht nur die Minderheit unter Muslimen, die Gewalt und Ausgrenzung befürwortet, ist, sondern auch die Mehrheit, die sich entweder nicht positioniert oder aus dem Opferdiskurs nicht rauskommen will. Wenn junge Muslime die Chance bekommen, ihre Positionen in den Medien darzustellen, kommt dabei oft nicht mehr heraus als Jammern auf höchstem Niveau. In der Islamdebatte vermisse ich selbstbewusste junge Muslime, die sagen können „Ich scheiße auf Abdel-Samad und Mazyek und den Imam meiner Moschee. Hier bin ich und das und das will ich!"   Hamed Abdel-Samad am 21. 4. 2016

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