In Italien wurde einst in den Abendnachrichten des staatlichen Fernsehens verkündet, Montecassino sei von den Fliegern Hitlers in Schutt und Asche gebombt worden und die Behauptung, das von Tito begangene Foibe-Massaker
sei von den Nazis begangen worden, konnte man sogar in den Geschichtsbüchern italienischer Gymnasien lesen. So groß war noch in den 80-er Jahren in Italien der Einfluss der Kommunisten (trotz Berlusconis schon damals bestehender Medienmacht).
Aber dass ich es einst erleben würde, dass man in Deutschland nicht nur nicht wagt, über den Völkermord der Türken an den Armeniern zu berichten (und eigens hierfür gedruckte Schulbücher wieder eingestampft werden), sondern ein deutscher Schulbuchverlag auch noch damit anfängt, aus freien Stücken gegenüber jungen, noch unerfahrenen Menschen (die Klassen 7 bis 10, also 13- bis 16-jährige), politische Lügen (hier für Euro 1,40 zu bestellen) über eine deutsche Partei zu verbreiten... Mir fehlen die Worte.
Hierzu ein Kommentar von Johannes Kaufmann:
Die Zulassung von Schulbüchern ist ein langwieriges Verfahren.
Überhaupt zählt das Buch nicht gerade zu den schnellsten Medien. Das
kann im Politikunterricht schon mal zu Problemen führen. Politiklehrer,
die 2006 nach der Gründung der Piratenpartei abgewartet haben, bis ein
Schulbuch die neue politische Bewegung aufgreift, verpassten die
Aufnahme eines aktuellen Themas, das ihre Schüler womöglich stark
interessierte, in ihren Unterricht und riskierten, auf
Unterrichtsmaterial zu warten, das bei Erscheinen bereits veraltet sein
würde.
Reihen wie "Schroedel aktuell"
schaffen bei diesem Problem Abhilfe. Der Schulbuch-Verlag
veröffentlicht auf seiner Internetseite Arbeitsblätter zu aktuellen
Themen. Das ist löblich, aber nicht unproblematisch. Zum Beispiel, wenn
Schüler aufgefordert werden, ein Parteiprogramm zu bewerten, das noch
gar nicht erschienen ist. So geschehen beim Arbeitsblatt „Wahlprogramm:
Was die AfD wirklich will“, das Politiklehrer für den Unterricht in den
Klassenstufen 7 bis 10 für 1,40 Euro hier erwerben können.
Die Quelle, anhand derer die Schüler ermitteln sollen, „was die AfD
wirklich will“, ist die tendenziöse Kommentierung eines durchgesickerten
Entwurfs durch das Recherchezentrum „Correctiv“,
erschienen in der „Zeit“. Etwas mager, möchte man meinen. Im Sinne der
für Schulbücher stets eingeforderten Multiperspektivität und
Quellenvielfalt würde man zumindest eine zweite Quelle erwarten, in der
die Partei, um deren Kern es hier ja immerhin geht, selbst zu Wort
kommt. Doch dem Text wird lediglich noch eine Karikatur mit derselben
Aussage zur Seite gestellt.
Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) findet das
völlig in Ordnung so. „Das entspricht dem Stand, wie man sowas macht“,
behauptet der Vorstandsvorsitzende in Niedersachsen gegenüber der
Braunschweiger Zeitung. Das Arbeitsblatt betreibe Aufklärung über die
AfD. Dass dies allein auf Grundlage einer kommentieren Sekundärquelle
geschehe, sei normal, schließlich seien politische Formulierungen, zumal
in Parteiprogrammen, häufig „zu verschwiemelt“, um von den Schülern
„dechiffriert“ werden zu können.
Also übernimmt man das „Dechiffrieren“ offenbar kurzerhand selbst und
legt den Schülern das politisch-korrekt Vorgekaute und Vorverdaute zum
anschließenden Verspeisen vor. Das eröffnet interessante Möglichkeiten –
auch für den Deutschunterricht. Jeder, der sich schon mal durch eine
Novelle von Heinrich Kleist quälen musste, weiß, wie „verschwiemelt“ die
Formulierungen in den Endlossätzen dieses Klassikers sind. Vielleicht
sollte man Schülern das Lesen solcher Primärtexte in Zukunft generell
ersparen und Romane und Ähnliches einzig auf Grundlage von Verrissen im
Feuilleton einer Zeitung bewerten lassen.
Im Falle des Arbeitsblatts des Schroedel-Verlags zum AfD-Programm
verraten schon die gefetteten Überschriften, wohin die Reise geht. „Mehr
Waffen, mehr Polizei, mehr Schadstoffe“. Das stand so auch in der
„Zeit“, aber ob das für die jungen, manipulierbaren Schüler auch
wirklich eindeutig genug ist? Vielleicht hätte man daraus besser „Die
AfD will uns alle vergiften“, machen sollen, nur um sicher zu gehen,
dass die Botschaft auch ankommt. Aus dem Bekenntnis der AfD zur
„traditionellen Familie als Leitbild“ macht das Arbeitsblatt „Frauen
zurück an den Herd“. Aus der Forderung, die „rasante Besiedlung
Deutschlands aus anderen Kulturen zu stoppen“, wird die etwas
eigenwillige Überspitzung „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus
also“. Aus dem geforderten Verbot der Vollverschleierung – in Frankreich
längst Gesetz – wird „Muslime schikanieren“.
Mit der in der Schule propagierten Hilfe zu kritischer
Meinungsbildung hat das wahrlich nichts zu tun – das ist pure
Meinungsmache. Dass der Landesvorsitzende GEW das so richtig findet,
muss erschrecken. Es zeigt, dass es der GEW nicht darum geht, kritische
Schüler zu erziehen, sondern einzig und allein, die politisch-korrekte
Meinung zu lehren.
Die AfD dürfte sich angesichts des Arbeitsblatts des
Schroedel-Verlags in ihrer Überzeugung bestätigt sehen, dass sie vom
„Establishment“ aus Lehrern, Professoren, Politikern und vielen Medien
marginalisiert und diffamiert wird. AfD-Sprecher Jörg Meuthen erinnert
in einem Beitrag auf seiner Facebook-Seite entsprechend gleich an „die
dunkelsten Stunden unserer Geschichte“ und spricht von „politischer
Indoktrination“. Ersteres mag übertrieben sein, mit Letzerem hat er
leider Recht.
Johannes Kaufmann (Jahrgang 1981) arbeitet als Wissenschaftsredakteur bei der Braunschweiger Zeitung.
Neben Wissenschaftsthemen von der Grünen Gentechnik über die
Infektionsforschung bis zur Lebensmittelsicherheit beschäftigt er sich
vor allem mit der Geschichte der israelischen Armee.
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