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Donnerstag, 28. April 2016

Wie die Kommunisten in Italien

In Italien wurde einst in den Abendnachrichten des staatlichen Fernsehens verkündet, Montecassino sei von den Fliegern Hitlers in Schutt und Asche gebombt worden und die Behauptung, das von Tito begangene Foibe-Massaker
sei von den Nazis begangen worden, konnte man sogar in den Geschichtsbüchern italienischer Gymnasien lesen. So groß war noch in den 80-er Jahren in Italien der Einfluss der Kommunisten (trotz Berlusconis schon damals bestehender Medienmacht).

Aber dass ich es einst erleben würde, dass man in Deutschland nicht nur nicht wagt, über den Völkermord der Türken an den Armeniern zu berichten (und eigens hierfür gedruckte Schulbücher wieder eingestampft werden), sondern ein deutscher Schulbuchverlag auch noch damit anfängt, aus freien Stücken gegenüber jungen, noch unerfahrenen Menschen (die Klassen 7 bis 10, also 13- bis 16-jährige), politische Lügen (hier für Euro 1,40 zu bestellen) über eine deutsche Partei zu verbreiten... Mir fehlen die Worte.


Hierzu ein Kommentar von Johannes Kaufmann:

Die Zulassung von Schulbüchern ist ein langwieriges Verfahren. Überhaupt zählt das Buch nicht gerade zu den schnellsten Medien. Das kann im Politikunterricht schon mal zu Problemen führen. Politiklehrer, die 2006 nach der Gründung der Piratenpartei abgewartet haben, bis ein Schulbuch die neue politische Bewegung aufgreift, verpassten die Aufnahme eines aktuellen Themas, das ihre Schüler womöglich stark interessierte, in ihren Unterricht und riskierten, auf Unterrichtsmaterial zu warten, das bei Erscheinen bereits veraltet sein würde.
Reihen wie "Schroedel aktuell" schaffen bei diesem Problem Abhilfe. Der Schulbuch-Verlag veröffentlicht auf seiner Internetseite Arbeitsblätter zu aktuellen Themen. Das ist löblich, aber nicht unproblematisch. Zum Beispiel, wenn Schüler aufgefordert werden, ein Parteiprogramm zu bewerten, das noch gar nicht erschienen ist. So geschehen beim Arbeitsblatt „Wahlprogramm: Was die AfD wirklich will“, das Politiklehrer für den Unterricht in den Klassenstufen 7 bis 10 für 1,40 Euro hier erwerben können.
Die Quelle, anhand derer die Schüler ermitteln sollen, „was die AfD wirklich will“, ist die tendenziöse Kommentierung eines durchgesickerten Entwurfs durch das Recherchezentrum „Correctiv“, erschienen in der „Zeit“. Etwas mager, möchte man meinen. Im Sinne der für Schulbücher stets eingeforderten Multiperspektivität und Quellenvielfalt würde man zumindest eine zweite Quelle erwarten, in der die Partei, um deren Kern es hier ja immerhin geht, selbst zu Wort kommt. Doch dem Text wird lediglich noch eine Karikatur mit derselben Aussage zur Seite gestellt.


Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) findet das völlig in Ordnung so. „Das entspricht dem Stand, wie man sowas macht“, behauptet der Vorstandsvorsitzende in Niedersachsen gegenüber der Braunschweiger Zeitung. Das Arbeitsblatt betreibe Aufklärung über die AfD. Dass dies allein auf Grundlage einer kommentieren Sekundärquelle geschehe, sei normal, schließlich seien politische Formulierungen, zumal in Parteiprogrammen, häufig „zu verschwiemelt“, um von den Schülern „dechiffriert“ werden zu können.

Also übernimmt man das „Dechiffrieren“ offenbar kurzerhand selbst und legt den Schülern das politisch-korrekt Vorgekaute und Vorverdaute zum anschließenden Verspeisen vor. Das eröffnet interessante Möglichkeiten – auch für den Deutschunterricht. Jeder, der sich schon mal durch eine Novelle von Heinrich Kleist quälen musste, weiß, wie „verschwiemelt“ die Formulierungen in den Endlossätzen dieses Klassikers sind. Vielleicht sollte man Schülern das Lesen solcher Primärtexte in Zukunft generell ersparen und Romane und Ähnliches einzig auf Grundlage von Verrissen im Feuilleton einer Zeitung bewerten lassen.
Im Falle des Arbeitsblatts des Schroedel-Verlags zum AfD-Programm verraten schon die gefetteten Überschriften, wohin die Reise geht. „Mehr Waffen, mehr Polizei, mehr Schadstoffe“. Das stand so auch in der „Zeit“, aber ob das für die jungen, manipulierbaren Schüler auch wirklich eindeutig genug ist? Vielleicht hätte man daraus besser „Die AfD will uns alle vergiften“, machen sollen, nur um sicher zu gehen, dass die Botschaft auch ankommt. Aus dem Bekenntnis der AfD zur „traditionellen Familie als Leitbild“ macht das Arbeitsblatt „Frauen zurück an den Herd“. Aus der Forderung, die „rasante Besiedlung Deutschlands aus anderen Kulturen zu stoppen“, wird die etwas eigenwillige Überspitzung „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus also“. Aus dem geforderten Verbot der Vollverschleierung – in Frankreich längst Gesetz – wird „Muslime schikanieren“.


Mit der in der Schule propagierten Hilfe zu kritischer Meinungsbildung hat das wahrlich nichts zu tun – das ist pure Meinungsmache. Dass der Landesvorsitzende GEW das so richtig findet, muss erschrecken. Es zeigt, dass es der GEW nicht darum geht, kritische Schüler zu erziehen, sondern einzig und allein, die politisch-korrekte Meinung zu lehren.
Die AfD dürfte sich angesichts des Arbeitsblatts des Schroedel-Verlags in ihrer Überzeugung bestätigt sehen, dass sie vom „Establishment“ aus Lehrern, Professoren, Politikern und vielen Medien marginalisiert und diffamiert wird. AfD-Sprecher Jörg Meuthen erinnert in einem Beitrag auf seiner Facebook-Seite entsprechend gleich an „die dunkelsten Stunden unserer Geschichte“ und spricht von „politischer Indoktrination“. Ersteres mag übertrieben sein, mit Letzerem hat er leider Recht.
Johannes Kaufmann (Jahrgang 1981) arbeitet als Wissenschaftsredakteur bei der Braunschweiger Zeitung. Neben Wissenschaftsthemen von der Grünen Gentechnik über die Infektionsforschung bis zur Lebensmittelsicherheit beschäftigt er sich vor allem mit der Geschichte der israelischen Armee.

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