Stationen

Montag, 18. April 2016

Typisch

Es ist die wichtigste und vornehmste Aufgabe deutscher Intellektueller „Nie wieder 33!" und „Wehret den Anfängen“ zu rufen, um eine "Machtübernahme der Rechtspopulisten" zu verhindern, wie es neulich Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel getan hat. So etwas wäre nicht nur schlimm, es könnte auch „dramatische ökonomische Auswirkungen“ haben. Seit Reinhard Lettau im Jahre 1971 sein Tagebuch "Täglicher Faschismus - Amerikanische Evidenz aus 6 Monaten" veröffentlichte, rechnen deutsche Anti-Faschisten, von Günter Grass über Jakob Augstein bis Konstantin Wecker, täglich mit der Wiederkehr des faschistischen Monsters, daheim, aber eher noch in Israel und den USA, zwei Ländern, denen das grün-linke Milieu in herzlicher Abneigung zugetan ist. Und es findet sich immer wieder jemand, der diese Warnungen bestätigt, nicht irgendjemand, sondern jemand, der es wissen muss.

DeutschlandradioKultur berichtet über einen jüdischen Künstler namens Gert Berliner, der 1924 in Berlin geboren wurde, 1939 flüchten musste und nun, im Alter von 92 Jahren nach Berlin kommt, um eine Ausstellung mit seinen Arbeiten zu eröffnen. Eine schöne, anrührende Geschichte über das Leben und einen älteren Herrn, der sich freut, seine Heimatstadt wiederzusehen. Der Beitrag endet mit diesen Sätzen:
„Aber wirklich zu Hause fühlt sich Gert Berliner nirgendwo. Er hat viel von der Welt gesehen, lebte eine Zeit lang in New Mexiko und in Italien, das er als ‚Liebesaffäre‘ bezeichnet. Doch New York wurde wieder sein Lebensmittelpunkt. Arbeiten kann er schon lange nicht mehr. Jetzt wünscht er sich vor allem: 'Frieden und Ruhe; aber wie kann man Frieden haben mit Mr. Trump um uns herum; ist ein Witz, oder? Nein, leider nicht, es ist sehr ernst; es erinnert mich sehr an Deutschland im Jahr 1933; es gibt viele Ähnlichkeiten.'


Nun, wenn Mr. Trump einen alten Berliner Juden „an Deutschland im Jahre 1933“ erinnert, wenn es „viele Ähnlichkeiten“ gibt, dann wird wohl etwas dran sein, oder? Hier spricht einer, der 33 noch bewusst erlebt hat, auch wenn er damals erst neun Jahre alt war. So einer wird doch keinen Unsinn reden, oder?
Es könnte natürlich auch sein, dass die Reporterin und die Redaktion einen alten Berliner Juden das sagen lassen, was sie denken, aber selber nicht sagen möchten. Es klingt ja viel authentischer, wenn ein alter Berliner Jude sagt, die USA von heute würden ihn an Deutschland im Jahre 1933 erinnern. Dann kann ja 33 nicht ganz so schlimm gewesen sein. Das jedenfalls ist der Punkt, mit dem der Bericht abschliesst, das bleibt hängen.

Zufall? Einzelfall? Mitnichten. DeutschlandradioKultur berichtet über "ein neues Kulturgesetz in Israel", das die „künstlerische Freiheit in Gefahr“ bringt. Denn: Seit einem Jahr ist Miri Regev Kulturministerin in Israel. Ein geplantes Gesetz der Ex-Generalin macht vielen nun Angst. Künstler, die sich kritisch mit der israelischen Gesellschaft auseinandersetzen und ‚illoyal‘ verhalten, sollen keine Förderung mehr bekommen.
Ist das alles? Ja, das ist alles. Ein Gesetz wird geplant, das vielen Angst macht. Dabei geht es nicht, wie im Titel angekündigt, um künstlerische Freiheit, sondern um die staatliche Förderung von Künstlern, die gerne in die Hand spucken, von der sie Geld annehmen. Ebenso wie in der Bundesrepublik gibt es auch in Israel Künstler, die sich nicht nur kritisch mit der Gesellschaft auseinandersetzen, sondern dafür auch mit öffentlichen Mitteln alimentiert werden möchten. Ein absolut legitimes Verlangen, mindestens so legitim wie der Wunsch der Geldgeber, sich auszusuchen, wen und was sie fördern möchten.


So wie die Redaktion von DeutschlandradioKultur sich aussucht, wen sie zu diesem Skandal zu Wort kommen lässt. Zum Beispiel einen israelischen Choreographen, der in einem Tanzstück mit dem Titel „Shoa-Lite“ auf trashige und provokante Weise Holocaust und Nationalsozialismus mit dem gegenwärtigen politischen Leben in Israel verbindet und dabei ein Stück auf die Bühne bringt, in dem israelische Soldaten als Nazis gezeigt werden. Dieses Stück wurde zwar mit öffentlichen Mitteln gefördert, der Choreograph fürchtet aber um seine Zukunft, weil sich ein paar blöde Israelis darüber beschwert haben, dass seine „Shoa-Lite“-Inszenierung mit deren Steuergeld gefördert wurde. Und an allem ist die neue Kulturministerin schuld, eine frühere Generalin, wegen ihrer zwar vagen, aber dennoch bedrohlichen Ankündigung, „Zensur auszuüben“, falls es „nötig“ wäre.
Höchste Zeit also für DeutschlandradioKultur die Alarmglocken zu läuten, zumal sich in Israel kaum noch jemand traut, den Mund aufzumachen. Die israelischen Kulturschaffenden sprechen ihre durchaus kritische Haltung zwar laut aus, wollen sich aber nicht namentlich zitiert sehen. Und das ist doch typisch für eine Diktatur, nicht wahr? Man redet laut, will aber nicht zitiert werden.

Eine freilich, die keine Angst hat, zitiert zu werden, ist Debbie Farber, keine Kulturschaffende, sondern Aktivistin bei Zochrot, einer NGO, die sich nicht nur seit mehr als zehn Jahren gegen das in Israel übliche Totschweigen der Vertreibung und Enteignung von Palästinensern bei der Staatsgründung 1948 – von den Palästinensern „Nakba“ genannt, engagiert, sondern sich auch einsetzt für die Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge – was in Israel nicht nur Konservative, sondern auch viele Linke für vollkommen ausgeschlossen halten.
Was für eine Sauerei! Und was für ein Beweis, dass Israel immer mehr nach rechts abdriftet! Nicht nur Konservative, sondern auch viele Linke halten die Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge, die sich seit ihrer Vertreibung im Jahre 1948 von etwa 800.000 auf sieben Millionen beinah verzehnfacht haben, für vollkommen ausgeschlossen! Zochrot seinerseits macht kein Hehl daraus, dass man nicht nur sieben Millionen Palästinenser heimholen, sondern Israel als Staat vernichten will. Keine Einstaatenlösung des Konflikts, keine Zweistaatenlösung, kein Israel. Als Strafe bekommt Zochrot keinen Schekel von der israelischen Regierung, wird aber generös von ausländischen Organisationen gefördert, die der gleichen Meinung sind wie Zochrot: Israel muss weg!
Das könnte auch die Reporterin von DeutschlandradioKultur wissen, wenn sie sich für mehr als die bedrohte Freiheit der Künste, vor allem die Situation des Tanztheaters in Israel, interessieren würde. Tut sie aber nicht. Und deswegen lässt sie Debbie Farber als Privatperson Folgendes sagen: In meinen Augen hat sich in den letzten Jahren das Land immer stärker zu einem faschistischen Staat entwickelt – und das wird niemand bestreiten können.“
Jetzt muss die deutsche Antifa aktiv werden und den Israelis in den bereits erhobenen Arm fallen. Wer sonst?    Henryk Broder am 18. 4. 2016

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