Stationen

Montag, 18. April 2016

Nüchtern betrachtet

Mit seiner Lateinamerika-Reise versucht Barack Obama, den Schutzmacht-Status der USA auf verloren gegangenem Terrain wiederherzustellen. Russland reagiert gelassen und sieht seine strategische Partnerschaft mit lateinamerikanischen Staaten nicht gefährdet. Mehr Sorge bereiten Moskau die Nato-Osterweiterung und die Unruhen im Kaukasus.

Eine Umarmung zur Begrüßung, ein freundschaftliches Schulterklopfen: Was unter Vertretern befreundeter Länder als angemessen gilt, blieb Obama während seines Kuba-Besuchs verwehrt. Als er während einer Pressekonferenz Raul Castro auf die Schulter klopfen wollte, stieß dieser Obamas Hand nach oben weg. 

Zur Begrüßung am Flughafen hatte Castro seinen Ministerpräsidenten geschickt, was in den USA kritisch kommentiert wurde.
Sollte Obamas Kuba-Besuch als neue Herausforderung Russlands gedacht sein, so überrascht die gelassene Reaktion aus Russland. 
 Regierungssprecher Dmitrij Peskow begrüßte offiziell die Normalisierung der Beziehungen. Dass Obamas Kuba-Besuch viel bewegen wird, bezweifeln neben russischen auch US-amerikanische Beobachter. Eine Normalisierung der Beziehungen mit den USA werde nur langsam vonstatten gehen. Zunächst wurde eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen, eine direkte Telefonverbindung und die Einrichtung eines Luftverkehrs vereinbart. 

Russland hält sich auf dem kubanischen Markt für durchaus konkurrenzfähig gegenüber China, Europa, Korea und den USA. Obamas Reise nach Havanna habe eher symbolische Bedeutung. Washington erwarte Initiativen im Wirtschaftsbereich. 400 amerikanische Geschäftsleute und Banker hatten Obama begleitet. Die kubanische Regierung, so ein Beobachter, werde allerdings nur die notwendigsten Veränderungen einführen, die dem Land zusätzlichen Gewinn brächten. Mit Argwohn werde der globale Aspekt der Lateinamerika-Tour des US-amerikanischen Präsidenten gewertet, denn Obama besuchte im Anschluss auch Argentinien. Der Dialog mit Havanna sei ein Element einer Strategie der USA in Lateinamerika, wo Washingtons Stellung unter dem Druck von China und Russland erodiere. Die Mehrheit der von linken Regierungen geführten lateinamerikanischen Länder hätte in dem Konflikt aufseiten Kubas gestanden. 

Moskau hatte in der Vergangenheit mit einer Reihe lateinamerikanischer Länder eine strategische Partnerschaft vereinbart, darunter Argentinien, Brasilien, Venezuela, Kuba und Äquador, was Washington als ein Eindringen in seine nationale Interessensphäre betrachtete.
Die USA befürchteten neben der „russischen Aggression“ die Militarisierung Chinas. Dieser Blickwinkel bestimme die US-amerikanischen geopolitischen Ziele und Aufgaben: Es gehe um die Sicherung eines zuverlässigen strategischen Hinterlandes, die Verdrängung von Konkurrenten im lateinamerikanischen Raum und dessen Rückführung ins Glied der globalen US-amerikanischen Dominanz. So sieht es Pjotr Jakowlew, Professor an der Moskauer Staatlichen Universität für die Lateinamerika-Forschung. Für ihn ist Obamas Besuch in Argentinien ein Versuch, den faktischen Einflussverlust der USA in Lateinamerika zu korrigieren. 

Es fällt auf, dass die USA seit einigen Jahren bemüht sind, die russische Einflusssphäre an gleich mehreren Fronten zurückzudrängen. Insofern stellt auch die Annäherung an Kuba einen erneuten Seitenhieb auf Russland dar. Für den Kreml stellt sich durchaus die Frage, ob die USA ihm einen langjährigen Verbündeten abjagen wollen. Von 1960 bis 1990 hatte die Sowjetunion als Bruderhilfe ganze Industriezweige aufgebaut. Mit dem Zerfall der Sowjetunion ließ die Handels- und Wirtschaftskooperation zwar deutlich nach, aber spätestens seit Putins Besuch 2014 in Havanna wurde die wirtschaftliche Zusammenarbeit reaktiviert. Zuletzt hat Moskau Kuba Schulden im Wert von 30 Milliarden US-Dollar erlassen sowie einen Kredit für den gemeinsamen Bau eines Stromkraftwerks über umgerechnet 1,2 Millionen Euro und einen Kredit von 100 Millionen Dollar für die Modernisierung einer Metallfabrik gewährt. Vielleicht hat auch Fidel Castros Aussage, man dürfe die feindlichen Handlungen seitens der USA in den vergangenen 60 Jahren nicht vergessen, im Kreml zur Beruhigung beigetragen. 

Glaubt Putin auch, in Lateinamerika den USA eine Nasenlänge voraus zu sein, so bereitet ihm die Situation in den Ländern, die Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion in die Unabhängigkeit entlassen hat, größte Sorgen. Ob Georgien, die Ukraine, Moldau oder jüngst das Wiederaufflammen des Berg-Karabach-Konflikts: Überall dort, wo Staaten sich vom einstigen Bruder losgesagt und sich nach Westen orientiert haben, stehen die Länder vor dem politischen oder wirtschaftlichen Kollaps. Ein militärisches Eingreifen im Kaukasus kann und will Moskau sich nicht leisten. 

Stattdessen ist Russland bemüht, ein weiteres Vorrücken der Nato an seine unmittelbaren Grenzen aufzuhalten. Der Stellvertreterkrieg in Syrien kommt ihm gelegen, verdeutlicht die russische Waffenschau dort doch, dass mit Russland als Militärmacht zu rechnen ist. Zu dieser Erkenntnis scheint auch der Westen gelangt zu sein. Kürzlich erst kündigte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg eine Wiederaufnahme des Nato-Russland-Rates an. 

Dass Putin sich mit Kritik an Obama zurückhält, ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass er auf ein baldiges Ende der Sanktionen hofft. Deshalb auch die Kooperation mit den USA zur Bekämpfung des IS in Syrien.
Mit verschiedenen europäischen Vertretern, darunter auch deutschen, wurde bei Treffen in Moskau zumindest bereits über eine Lockerung der Sanktionen gesprochen.     Manuela Rosenthal-Kappi am 18.4. 2016

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.