Als Merkel tagelang zum Böhmermann-Gate schwieg und der türkische
Präsident zusätzlich den zivilen Klageweg einschlug, dachte ich, unsere
Kanzlerin hätte auch diesmal zu ihrer Lieblingslist gegriffen: Unter
dem Radar bleiben und es möglichst allen irgendwie recht machen. Ich
dachte wirklich, die Idee mit der Zivilklage sei die ihre gewesen, um zu
vermeiden, dass sie in aller Öffentlichkeit Erdogan vor den Kopf stoßen
oder sich zu weit in seinen Verdauungstrakt vorwagen muss. Denn ich
glaubte, Narr der ich bin, die Kanzlerin hätte sich ihren Justizminister
Maas und vielleicht noch eine Hand voll echter Juristen mit Grips
gegriffen, um Abschnitt III StGB mal genauer zu lesen und alle zusammen
hätten dann bei einer Tasse Kamillentee und etwas Gebäck festgestellt,
dass man hier besser keine Präzedenzfälle schaffen sollte.
Schließlich
kann ein jeder in diesem Land nach Gusto zivilrechtlich gegen andere
Menschen, Gruppen oder Firmen vorgehen, von denen er oder sie sich auf
Schlips, Schwanz oder Ehre getreten fühlt.
Ich dachte wirklich, Mutti hätte in Ankara angerufen und dem Sultan
erklärt, dass er den zivilen Weg wählen solle! Vielleicht hat sich auch
Claudia Roth angeboten, Wiedergutmachungs-Böröck zu machen, die kann sie
doch so gut. Ich dachte auch, Kanzlerinnenamtsminister Altmeyer hätte
Merkel nach ihrer Äußerung, das fragliche Gedicht sei „absichtlich
verletzend“ von weiterer Literaturkritik abgeraten. Wahrscheinlicher ist
aber, dass Gabriel und Steinmeier ihr sagten, wie Adenauer, Schmidt,
Kohl oder Schröder in dieser Situation gehandelt hätten – und das gab
wohl den Ausschlag dafür, dass Frau Merkel eben genau das Gegenteil von
dem tat, was geboten war. Sie machte sich auf den Weg zur
Presseerklärung, der sie direkt in den Enddarm von Präsident Erdogan
führte.
Frau Merkel hat am 15.4.2016 wieder mal Neuland betreten. Diesmal
juristisches. Sie hat per Order, zu der sie nicht mal befugt ist, die
Abschaffung eines Paragraphen „noch in dieser Legislaturperiode“
angekündigt. Das bedeutet in etwa binnen eines Jahres – was ich im
deutschen Rechtsystem für äußerst ambitioniert halte. Der Paragraph zur
Majestätsbeleidigung ist uns noch aus der Kaiserzeit erhalten
geblieben. Genau wie eine große Anzahl anderer Gesetze und Verordnungen.
Was der Kaiser nicht in Paragraphen goss, schmiedeten die Nazis – sie
werden kaum glauben, was alles aus der Zeit von 1933-1945 noch in
unserer demokratischen Gesellschaft Gesetzeskraft hat oder nur leicht
umgeschrieben wurde. Da wurde geschnibbelt, ergänzt, novelliert, bis es
irgendwie passte. Das macht die Gesetze so unübersichtlich. Ergebnis
sind oft Vorschriften mit ganz vielen Buchstaben dran, weil sie zwischen
zwei Paragraphen geschoben werden müssen. Wenn in bestimmten
Situationen sogar noch auf das Allgemeine Preußische Landrecht
zurückgegriffen werden muss, ist das nur scheinbar komisch. Den einzigen
rigorosen Schnitt durch die Gesetzeslandschaft schaffte man mit dem
Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Nur sehr wenig wurde von der
Gesetzgebung aus der DDR übernommen. Bundesdeutsches Recht und besonders
das Strafrecht ist aber eine Flickschusterei ohne Beispiel. Wäre das
StBG ein Auto, würde der TÜV sich darüber köstlich amüsieren. Fahren
dürfte es wohl kaum.
Der §103 ist nur einer von dreien, die die Befindlichkeiten
ausländischer Staaten betreffen. § 102 befasst sich mit Angriffen und
Verletzungen von Staatsvertretern, §104 mit der Verletzung von Flaggen
und Hoheitszeichen. Man darf annehmen, dass die Präsidenten der USA und
Israels besonders letzteres deutsche Juwel der Strafgesetzgebung gut
kennen und man fragt sich, warum sie nicht längst gegen die Schändung
ihrer Flaggen bei jeder öffentlichen Verbrennungsgelegenheit davon
Gebrauch gemacht haben. Ganz einfach: Weil es nichts bringt! Man kann
weder politische Einstellungen verbieten, noch kann man mit Mitteln des
Gesetztes gegen das vorgehen, was sich die Menschen zwischen ihren Ohren
als Meinung bilden. Die Klage gegen eine Beleidigung schafft die
Beleidigung nicht aus der Welt, die Klage gegen das Verbrennen einer
Flagge ändert nichts an den Gewaltphantasien der Zündler.
Frau Merkel hat mit ihrer Entscheidung jedoch wieder einmal ihre
sprichwörtliche politische Kurzsichtigkeit bewiesen. Es kann nun nämlich
zweierlei passieren. Besonders Mutige könnten austesten, wie ernst es
ihr mit der „Einmaligen Ausnahme“ ist, diese Klage zuzulassen, indem sie
Erdogan in lyrischer Form darstellen, wie er sich an allerlei anderem
Getier koitual zu schaffen macht. Das Stöckchen der „absichtlich
verletzenden Satire“ ist geworfen. Jeden der höher wirft, MUSS Erdogan
verklagen, will er nicht sein Gesicht und seine Diktatorenehre
verlieren. Dass er nichts Besseres zu tun hat, zeigt die Zahl der
Beleidigungsklagen in der Türkei. Merkels Versprechen schützt den
Stöckchenwerfer aber vor staatlicher Verfolgung. Vorsichtigere
Zeitgenossen könnten „das Ende der Legislaturperiode“ abwarten, weil
dann das Gesetz abgeschafft sein soll. Ich sehe schon Stadtfeste in
Berlin, Köln, Hamburg und München, bei denen „3-2-1-Beleidigung“ aus
tausenden Kehlen gerufen wird.
Liebe syrische Flüchtlinge in Idomeni, die ihr nicht in die Türkei
zurück und nach Deutschland weiterreisen wollt: Deutschland ist ab
sofort die Türkei! Seid also gewarnt, dass die uneingeschränkte
Gastfreundschaft, die euch Mutti Merkel scheinbar in Deutschland
gewährt, eine Falle ist und zur Anbiederung an totalitäre Regime wie dem
in der Türkei führt. Wenn es ganz übel läuft, könnt ihr dann in ein
paar Jahren ein Stadion in Köln oder Berlin besuchen, in dem euer
ewiger Präsident Assad euch zuruft „integriert euch nicht“, wie das Herr
Erdogan in Deutschland auch schon regelmäßig tut. unbesorgt am 16. 4. 2016
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