I. Der Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad,
der, nebenbei angemerkt, in Deutschland nur unter Polizeischutz leben
kann – hat sich die politische Linke eigentlich dazu geäußert? –
vergleicht in seinem Buch Der islamische Faschismus
strukturähnliche Prinzipien zwischen dem politischen Islam und den
rechtsnationalen Ausprägungen des europäischen Totalitarismus.
Charismatische Führer, die unbedingten Gehorsam fordern, die Idee der
Auserwähltheit, die Dichotomie von Gut und Böse, der Kult der Militanz
als Lebensform, die Verachtung von Individualismus, der exterministische
Umgang mit den ideologischen Todfeinden. Die von Abdel-Samad
angeführten Fakten und Übereinstimmungen sind von zwingender Stringenz
und machen sein 2014 erschienenes Buch zu einer Pflichtlektüre für
kritische Leser.
Interessanterweise hat der, inzwischen als „rechter Denker“ denunzierte Sozialphilosoph Peter Sloterdijk, in Zorn und Zeit
einen ähnlichen, mehr geschichtsphilosophischen Versuch unternommen,
dafür aber den linksfaschistischen Teil der totalitären Bewegungen, den
Kommunismus, als Vergleich mit dem politischen Islam herangezogen. Für
Sloterdijk gibt es in der abendländischen Geschichte nur zwei mächtige
„Zornkollektive“ die thymotische Energien freisetzen konnten: die
katholische Zorn-Gottes-Lehre und die kommunistische Organisation, als
Sammlung der Zornmasse der Unterdrückten definiert. Die faschistischen
Bewegungen sind für Sloterdijk, politisch nicht ganz korrekt, nur Klone
der leninistischen Direktiven vom Spätherbst 1917, eine These, die etwa
auch der sowjetische Nobelpreisträger der Physik, Lew Davidowitsch
Landau, in den 50er Jahren vertrat.
Beide großen „Zornkollektive“ sind historisch gescheitert: der
Katholizismus hat sich um den Preis seines Überlebens gewandelt und
theologisch sozusagen abgerüstet. Der Zorn Gottes, die Bilder des
rächenden Weltgerichtes, sind heute nur noch symbolische Kuriositäten.
Aufklärung und Säkularisierung haben den christlichen Glauben
pazifiziert. Was den Kommunismus angeht, so hat der real existierende
Sozialismus, in seinen furchtbarsten Varianten des Stalinismus und
Maoismus, jeden Anreiz, außer für „Sonderschüler der Geschichte“
(Sloterdijk), verloren.
[Von diesen Sonderschülern gibt es in Italien immer noch sehr, sehr viele]
Man kann sich nur noch, außer man ist zu stolz
für die Wahrheit, für eigene Verirrungen entschuldigen und sie bedauern.
[In Italien wurden in der Überzeugung, dass der sowjetische Terror nicht böse gemeint war, sondern nur in guter Absicht aus Übereifer aus dem Ruder lief, immerhin zwei Parteien gegründet, die es Prodi unmöglich machten, effizient zu regieren und immer noch Wählerpotentiale binden können, sobald Europa, Renzi und Berlusconis Nachfolger scheitern sollten. Wie soll es gelingen, zu Osteuropa einen Verständigungsweg zu finden, wenn unsere Diplomaten, Politiker und Journalisten nicht einmal in der Lage sind, Italien zu verstehen?]
II. Der Islamismus ist nun für Sloterdijk insofern
mit dem Kommunismus vergleichbar, da er die (linke) Fortschreibung der
großen Erzählung von der Erhebung der Erniedrigten und Beleidigten ermöglicht. Man kann ihn als ein Empörungsparadigma bezeichnen, "was den politischen Islam als möglichen Kommunismusnachfolger qualifiziert.“ Im
Wesentlichen sind es für Sloterdijk drei Gründe, die den Islamismus
mehr als alle anderen Bewegungen im 21. Jahrhundert für eine Fortsetzung
der beiden großen Zornkollektive prädestiniert:
Erstens eine Missionsdynamik, das heißt, die Fähigkeit, eine Bewegung
zu bilden die sich prinzipiell an alle wendet (man denke an die
Leichtigkeit, zum Islam zu konvertieren und vergleiche diese
Anspruchslosigkeit etwa mit den strengen Prüfungen der Aufnahme in das
Judentum). Der Islamismus tritt, analog zum Kommunismus, als
Repräsentant aller Unterdrückten, Benachteiligten, Verlierer und
Beleidigten auf, in dem er ein Kollektiv (die Umma) als von
verschwörerischen Mächten bedroht sieht, seit Jahrhunderten das Opfer
übermächtiger Feinde (Judentum, Westen, säkulare Moslems).
Zum zweiten liefert der Islamismus ein theatralisches Weltbild, in
der der Ungläubige als absoluter Feind (analog zum Klassenfeind)
vernichtet werden muss, um das glorreiche Kalifat zu errichten,
sozusagen die klassenlose Gesellschaft, die nur über die „Geburtswehen
der Revolution“ (Marx) und des Kampfes Wirklichkeit werden kann. Die
Militanz der Anhänger ist dabei die essentielle psychologische
Grundbedingung für den imaginierten Erfolg. Am Ende, nach einer langen
Phase des Leidens, wird das Gute (die Arbeiterklasse im Kommunismus)
siegen und der Himmel auf Erden errichtet.
Der dritte Grund für die herausragende Stellung und die Gefahr des
politischen Islam ist wahrscheinlich der Wichtigste. Die von Autoren wie
Samuel Huntington oder Gunnar Heinsohn beschriebene Dynamik der
demografischen Entwicklung, in der Forschung Youth Bulge
genannt, also der exorbitante Überschuss an jungen Männern in den
muslimischen Ländern. Insofern könnte man den Islamismus, auch das eine
Analogie zu den links- und rechtsfaschistischen Bewegungen Europas der
30er Jahre, als eine „Jungmännerbewegung“ begreifen. Seine Energie
erhält er aus der Existenz großer Gruppen von jungen Männern, zweite,
dritte, vierte Söhne, für die keine gesellschaftliche Position zu
Verfügung steht und deren Energien sozusagen frei flottieren. Aktuell
strömt der Youth Bulge zahlreicher failed states arabischer und
afrikanischer Staaten in das alternde Europa und wird die uns vertraute
Welt verändern bzw. tut das bereits. Sloterdijks abschließende
Bemerkungen machen denn auch wenig Hoffnung auf eine Kontrolle der
Situation:
„Selbst Kenner der Lage besitzen heute nicht die geringste
Vorstellung davon, wie der machtvoll anrollende Youth Bulge, die
umfangreichste Welle an genozidschwangeren Jungmännerüberschüssen in der
Geschichte der Menschheit, mit friedlichen Mitteln einzudämmen wäre.“
III. Wie zumeist werden die Kassandras der
Geschichte, die Warner und Mahner, recht behalten, wir wollen
abschließend aber doch überlegen, was die Schwäche des Islamismus,
zugegeben auf einer abstrakten gedanklichen Ebene, sein könnte. Halten
wir uns zunächst an ein paar harte Fakten, die den ab 2002 erstellten Arab Human Development Reports
im Auftrag der Vereinen Nationen entnommen sind. Im Zentrum der
Untersuchungen stehen Parameter wie Bildung, Frauenrechte oder der
Alphabetisierungsgrad in den Staaten der arabischen Liga. Ein
Zusammenschluss mit im Jahr 2015 annähernd 370 Millionen Einwohnern,
davon ein großer Teil unter 25 Jahren, also die oben erwähnte klassische
Youth Bulge Situation mit ihren massiven Herausforderungen.
In allen wesentlichen Kennzahlen der untersuchten Parameter konstatieren die Autoren der Arab Human Development Reports
düstere Verhältnisse: die geringsten politischen Rechte für Bürger, die
inferiore Stellung der Frau, die meisten Analphabeten, die geringste
Innovationskraft, die wenigsten wissenschaftlichen Patente, selbst die
Anzahl der übersetzten Bücher ist verschwindend gering. Alle
Voraussetzungen für eine längerfristig prosperierende Wirtschaft fehlen:
persönliche Disziplin, korruptionsfreie Räume,
Leistungsgratifikationen, Innovationsdynamiken, kurz, ein Bildungs- und
Arbeitsethos, die entscheidende Grundlage für die westliche (und
ostasiatische) Dominanz in Wissenschaft und Forschung.
Wir können also konstatieren: Die Schwäche des Islam, und der aus ihm
hervorgehenden islamistischen Bewegung, ist seine gegen die Moderne
gerichtete Ideologie, die eine Wissenschaftskultur, die Fähigkeit zu
Innovation, Selbstreflexion und Kritik verhindert. Man gebraucht zwar
moderne Technologien, aber der „immanente Geist“ der etwa in einem
Smartphone steckt, wird nicht internalisiert, es bleibt ein rein
parasitäres Verhältnis, ohne eine psychische Entsprechung. So ist der
politische Islam eine reine Racheideologie, die nichts hervorbringt noch
schafft, sondern nur eine schwarze Utopie der Vernichtung, für
Sloterdijk der Hauptgrund dafür, warum der Islamismus als potenzieller
Nachfolger des Kommunismus keine „Weltoppositionsbewegung“ sein kann. Es
fehlt eine positive Utopie, zudem setzt die globalisierte Welt „der moralischen Produktivität von Vorwurfsbewegungen enge Grenzen.“
1996 hatte der amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin Barber in seinem Buch: Jihad vs. McWorld,
noch die Auffassung vertreten, dass auf lange Sicht der Siegeszug von
McWorld, also des westlichen Konsumismus, unaufhaltsam sein wird. Zwar
mögen spektakuläre Selbstmordattentate und Bombenanschläge den Dschihad
medial wirksamer erscheinen lassen als die Gesetze des Marktes, am Ende
aber, so die tröstende Prognose, wird McWorld gewinnen:
„Die Mikrokriege des Dschihad werden die Schlagzeilen noch bis
weit in das nächste Jahrhundert füllen und die Prognosen von einem Ende
der Geschichte als töricht erscheinen lassen. Aber McWorlds
Homogenisierung wird mit aller Wahrscheinlichkeit einen Makrofrieden zur
Folge haben, der den Triumph des Handels und seiner Märkte begünstigt.“
Diese Zeilen sind vor dem 11. September 2001 geschrieben worden. Es
fällt heute schwer an diese langfristig positive Entwicklung zu glauben,
aber niemand von uns kann für sich in Anspruch nehmen die Zukunft
vorherzusagen. Die trinitarische Formel: Leben, Freiheit, Eigentum (John
Locke: 1689) ist überall da, so lässt sich sagen, wo sie permanente
Gültigkeit besitzt, der Garant für ein zivilisiertes Leben. Sind wir
aber heute mental bereit dazu, diese Normen unter Einsatz aller uns zur
Verfügung stehenden Kräfte zu verteidigen? Davon wird der Ausgang des
aktuellen historischen Einschnitts abhängen.
Dr. Alexander Meschnig ist Psychologe, Politikwissenschafter und Publizist. Er lebt seit Anfang der 90er Jahre in Berlin. Alexander Meschnig am 20. 4. 2016
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