Schon im Mittelalter war die Zeit des Jahres, wenn die Christen
Ostern und die Juden Pessach feiern, die Hochsaison für das
antisemitische Blutgerücht: Die Juden, so lautete es, würden christliche
Kinder töten, um mit deren Blut ihre Matzen zu backen. Nicht selten kam
es dann zu Pogromen.
Jetzt hat der amerikanische Senator Bernie Sanders, der sich neben
Hillary Clinton als zweiter Demokrat um die Präsidentschaftskandidatur
seiner Partei bemüht, es wieder aufgewärmt: Israel, sagte er der
Website New York Daily News habe 2014 in Gaza in „wahllosen Bombardements“ "über 10.000 Menschen getötet“:
„Ich habe nicht die genaue Zahl, aber ich glaube, es waren über
10.000. Wie ich weiß, wurden eine Menge Wohnungen dem Erdboden gleich
gemacht. Krankenhäuser, denke ich, wurden bombardiert. Also, ja, ich
meine – und ich glaube nicht, dass ich damit allein bin –, dass Israels
Gewalteinsatz wahlloser war, als er es hätte sein sollen.“
Solche Vorwürfe gegen Israel sind in Europa und unter amerikanischen
Linken üblich, aber falsch. Der damalige Vorsitzende des Joint Chiefs of
Staff (der vereinigte Generalstab des US-Militärs), General Martin
Dempsey, sagte nach
dem Krieg, dass Israel „außerordentliche Anstrengungen unternommen hat,
um zivile Verluste im Gazakonflikt zu vermeiden“. Eine neuere Untersuchung der High Level Military Group, die aus amerikanischen und Nato-Offizieren besteht, kam zu dem Schluss:
„Wir können zudem mit Bestimmtheit sagen, dass Israels Verhalten
im Gazakonflikt 2014 die höchsten Standards, die wir für das Militär
unserer Länder gesetzt haben, erreicht und in mancher Hinsicht
übertroffen hat. Es ist unsere Überzeugung, dass Israel einen
beispielhaften Feldzug durchgeführt hat, angemessen vorbereitet, mit
angemessenen begrenzten Zielen. Dabei hat es ein sehr hohes Maß an
operationellen Fähigkeiten gezeigt und die Gesetze des bewaffneten
Konflikts uneingeschränkt befolgt. Die IDF hielt sich nicht nur an die
Verpflichtungen des Rechts des bewaffneten Konflikts, sondern ging oft
darüber hinaus, selbst wenn dies mit einem deutlichen taktischen
Nachteil einherging. Das gilt auch für die humanitäre Nothilfe, die die
Operationen begleitete.“
Was die Zahlen der Toten betrifft, so hat sie Sanders vervielfacht –
wohl, weil die tatsächliche Zahl in seinen Augen nicht imposant genug
wäre und seiner antiisraelischen Agenda nicht dienlich. Laut der UNO
(die die Zahlen von der Hamas übernommen hat) wurden während des
Gazakonflikts 2014 im Gazastreifen insgesamt 2.251 Personen
getötet, nach israelischen Angaben waren es 2.125. Und selbst der nicht
als besonders israelfreundlich bekannte britische Fernsehsender BBC gab Anfang August 2014 zu, dass die große Zahl der Männer im kampffähigen Alter unter den Toten darauf schließen lasse,
dass viele Kombattanten darunter seien. Israel sagt, es seien 50
Prozent gewesen, die UNO, die auch hier wieder der Hamas vertraut, beziffert den
Anteil der Kombattanten unter den Toten auf 30 Prozent. In jedem Fall
ist der Vorwurf, Israel habe „wahllos“ getötet, unhaltbar.
Michael Oren, der ehemalige Botschafter Israels in den USA und jetzige Knessetabgeordnete, kommentierte Sanders‘ Äußerung:
„Er bringt das Blutgerücht gegen uns vor. Er beschuldigt uns,
Krankenhäuser zu bombardieren. Er beschuldigt uns, 10.000
palästinensische Zivilisten getötet zu habe. Ist da nicht eine
Entschuldigung angebracht? Er erwähnt nicht die vielen Tausend Raketen,
die die Hamas auf uns gefeuert hat. Er erwähnt nicht die Tatsache, dass
wir uns aus dem Gazastreifen zurückgezogen haben, um den Palästinensern
die Chance zu geben, mit Staatlichkeit zu experimentieren, und sie
daraus ein Experiment mit dem Terror gemacht haben. Er erwähnt all dies
nicht. Meiner Meinung nach ist das Verleumdung.“
Sanders ist Jude und hausiert damit, dass er 1963 ein Jahr in einem Kibbutz in Israel verbracht hat. Zu seinen Beratern zählen antiisraelische Organisationen wie J Street und das Arab American Institute.
Noch stärker als Clinton steht Sanders für die Abkehr der Demokraten
von Israel. Offenbar versucht er nun auch, mit antiisraelischen
Äußerungen Werbung für sich zu machen.
„Eine Demokratische Partei, die von der Linken geentert wurde, ist
eine Partei, die Israel mehr und mehr mit Verachtung begegnet“, schrieb Jonathan S. Tobin in einem Rückblick auf die Geschichte der Israelpolitik der Demokraten, der im Dezember 2015 im Commentary Magazine erschien. „In der Demokratischen Partei Barack Obamas sind proisraelische Stimmen an den Rand gedrängt.“
Ausgerechnet Israel, den einzigen Staat im Nahen Osten, in dem
religiöse und ethnische Minderheiten nicht diskriminiert und verfolgt
werden, hatte US-Außenminister John Kerry 2014 mit „Apartheid“ in Verbindung gebracht.
Sanders‘ Äußerung erinnert auch an den bizarren Auftritt von Martin
Schulz (SPD), dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, vor der
Knesset am 12. Februar 2014. Schulz hatte dort für Empörung gesorgt,
indem er ein antisemitisches Gerücht wiedergab, das ihm ein Araber in den Kopf gesetzt hatte:
"Einer der Fragen dieser jungen Menschen, die mich am meisten
bewegt hat – wobei ich die genauen Zahlen nicht nachschlagen konnte –,
war: Wie kann es sein, dass Israelis 70 Liter Wasser am Tag benutzen
dürfen und Palästinenser nur 17?"
Man beachte, dass sich sowohl Schulz als auch Sanders zu ihrem
Nichtwissen bekennen. Beide geben offen zu, dass sie die Wahrheit
dessen, was sie Israel vorwerfen, gar nicht geprüft haben. Das ist sehr
bemerkenswert und ungewöhnlich. Jemand, der als hochrangiger
ausländischer Vertreter eine Rede vor einem Parlament hält, bringt dort
üblicherweise keine Gerüchte zur Sprache, die er irgendwo aufgeschnappt hat
– und die noch dazu so beleidigend sind. Und für Kandidaten im
amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf ist nichts, aber auch gar
nichts wichtiger, als Fehltritte und Fettnäpfchen zu vermeiden.
Jeder weiß, dass eine einzige unbedachte Äußerung seine Kandidatur
zunichte machen kann (es sei denn, sie kommt von Donald Trump, dem so
etwas nicht schadet). Das weiß auch Bernie Sanders. Er ist vielleicht
nicht so abgebrüht wie Hillary Clinton, aber doch professionell genug,
um in Interviews nichts zu sagen, was er bereuen, nichts, was Wähler
verprellen könnte. Dass es in der amerikanischen Politik wieder möglich
ist, frei heraus boshafte Lügen gegen Israel zu verbreiten, ohne
Konsequenzen fürchten zu müssen, ist zutiefst verstörend.
Die heutige Welt ist nicht aufgeklärter, als es das Mittelalter war.
Damals glaubten es viele, wenn jemand das Gerücht verbreitete, die Juden
hätten einen Menschen getötet. Für Bernie Sanders sind es gleich
10.000. Stefan Frank
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