In einem nachgelassenen Text schrieb der im September 2016 von
eigener Hand gestorbene Universalhistoriker Rolf Peter Sieferle, daß
Angela Merkel der Platz in den Geschichtsbüchern sicher sei: Mit der
Grenzöffnung von 2015 sei sie zu einer unserer „großen
Katastrophengestalten“ geworden.
Am vergangenen Wochenende hat die
Kanzlerin den Anspruch auf Unsterblichkeit bekräftigt, als sie auf der
CDU-Landesvertreterversammlung von Mecklenburg-Vorpommern erklärte: „Das
Volk ist jeder, der in diesem Land lebt.“
Von der prekären Grammatik abgesehen, enthält der Satz offenkundigen
Unsinn und darüber hinaus eine Ermutigung an kriminelle Schleuserbanden.
Jeder IS-Terrorist, der mit einem hinausgezögerten Asylverfahren ein
Bleiberecht erwirkt, würde zum deutschen Volk zählen, dem er als einer
Ansammlung „Ungläubiger“ den Garaus machen will. Auch mit dem
Grundgesetz, dem Staatsangehörigkeitsgesetz und dem
Bundesverfassungsgericht gerät die Kanzlerin in Konflikt.
Selbst wenn man „Volk“ nicht mehr ethnisch-kulturell, sondern
ausschließlich staatsrechtlich bestimmt, hat sie schlechte Karten: So
stellte Karlsruhe in seinem Urteil zum NPD-Verbotsantrag zwar fest, das
Konzept einer „ethnisch definierten ‘Volksgemeinschaft’“ sei „mit dem
Demokratieprinzip unvereinbar“, weil es sich gegen die
„gleichberechtigte Teilhabe aller Staatsangehörigen an der politischen
Willensbildung“ richte. Doch es geht eben um „alle Staatsangehörigen“
und nicht um alle, die hier leben.
Gewiß, nicht jedes Politikerwort gehört auf die juristische
Goldwaage, denn ein Politiker muß noch andere Horizonte aufzeigen,
historische, gesellschaftliche, politische, und das Recht auf einen
unbedachten Satz hat jeder! Nur leitet Merkel ihre Erkenntnis von der
„wunderbaren Zeit“ her, als der „eiserne Vorhang“ fiel: „Und deshalb
gibt es auch keinerlei Rechtfertigung, daß sich kleine Gruppen aus
unserer Gesellschaft anmaßen zu definieren, wer das Volk ist.“
Die Logik dieser Sätze mag sich einer CDU-Konferenz erschließen, die
Merkel fast einstimmig zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl
bestimmt, doch für einen klar denkenden Menschen bleibt sie ein Rätsel.
Die Völker im Osten wollten das kommunistische Staatsgefängnis
aufbrechen und die „kleinen Gruppen“ der Parteioligarchen entmachten, um
sich als freie Völker in freien Staaten zu konstituieren. Das ist das
genaue Gegenteil von staatlicher und nationaler Selbstabschaffung!
Wenn Merkels tapsiger Vorvorgänger Helmut Kohl sagte, Ziel der
Bundesregierung sei „die Beseitigung der Arbeitslosen“ oder in der
Politik sei wichtig, „was hinten rauskommt“, dann mußte man sich nichts
Böses denken. Bei Merkel ist das anders. Sie redet unverständlich,
verdruckst und peinlich – das aber konsequent.
Erst vor einigen Monaten reduzierte sie das Volk von einer
rechtlichen, historischen, kulturellen Qualität zu einer zeitabhängigen
Quantität, indem sie die Deutschen als diejenigen bezeichnete, „die
schon länger hier leben“. Mit der neuesten Aussage knüpft sie daran an
und überbietet das aktuelle Papier der Friedrich-Ebert-Stiftung
„Miteinander in Vielfalt. Leitbild und Agenda für die
Einwanderungsgesellschaft“, das unter Leitung der
Integrationsbeauftragten Aydan Özoğuz erarbeitet wurde. Die
Masseneinwanderung wird darin zum naturhaften Prozeß erklärt, den man
nicht verhindern, nur gestalten könne.
Das Leitbild ist eine innovative „Vielfalt“, die aus dem
Zusammenspiel freier, selbstbestimmter, kreativer Individuen gleich
welcher Herkunft entstehe. Reaktionäre Querulanten sollen nötigenfalls
in die multikulturelle Disziplin gezwungen werden. Solche Leitbilder
werden von keinerlei historischer und empirischer Erfahrung gedeckt.
Was sich abzeichnet, ist die Verwandlung Deutschlands in einen
Vielvölkerstaat, in dem archaische und gewaltaffine Kulturen die
gleichberechtigte Teilhabe beanspruchen. Daß damit der Rechtsstaat und
mit der unkontrollierten Einwanderung von Analphabeten in ein
High-Tech-Land auch der Sozialstaat zerstört wird, liegt auf der Hand.
Merkel interessiert daran nur die Behauptung der unabänderlichen
Prozeßhaftigkeit. Die Kanzlerin als begnadete Machttaktikerin setzt sich
an die Spitze dieses apolitischen Mainstreams, dem die gesamte
politisch-mediale Klasse folgt. Als Funktionärin eines natürlichen
Prozesses macht sie sich unangreifbar und ist zugleich der Notwendigkeit
enthoben, ihr Handeln politisch zu begründen.
Dieses Handeln ist geeignet, den Bestand der Bundesrepublik
entscheidend zu ihrem Nachteil zu verändern und die verfassungsmäßige,
kulturelle, soziale, lebensweltliche Ordnung umzustürzen. Die
fortschreitende Tribalisierung kann auf mittlere Sicht sogar zu
Sezessionsbestrebungen von Einwanderern führen, die von auswärtigen
Mächten unterstützt werden. Alles läuft auf eine Preisgabe des Landes
hinaus. Der Sieferle-Text, in dem Merkel als „Katastrophengestalt“
bezeichnet wird, trägt den Titel: Vom gesinnungsmäßigen Rausch in den
Untergang.
Finden sich in Deutschland noch genügend Widerstandskräfte, die die
vorgebliche Unabänderlichkeit der Entwicklung aus Überzeugung und mit
Klugheit bestreiten und ihr energisch entgegenwirken? Innerhalb des
etablierten Parteiensystems und der politisch-medialen Klasse sind
solche Kräfte zumindest unsichtbar. Von der Union bis zur Linkspartei
hat sich eine Merkel-Front formiert, die sich vom Blockparteien-System
der DDR bloß noch äußerlich unterscheidet. Die Alternative kann sich nur
außerhalb der etablierten Strukturen herausbilden.
Tatsächlich waren dezidierte Gegenstimmen fast ausschließlich aus der
AfD zu vernehmen. Die Worte der Kanzlerin müssen als der definitive
Weck- und Mahnruf verstanden werden: Es geht um mehr als um Posten,
Befindlichkeiten, taktische Vorteile. Es geht um alles! Thorsten Hinz
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