Seit einem halben Jahr ertönt in Frankreich das Feldgeschrei der
Politiker. Aber wirklich begonnen hat der Wahlkampf am Montag abend.
Dreieinhalb Stunden dauerte das Fernsehgefecht zwischen den fünf großen
Kandidaten und es ging recht gesittet zu. Die Schlussworte dieser ersten
von drei großen Debatten markierten auch die Vorstellungen, die die
Kandidaten von Frankreich haben.
Der Linksaußen Jean-Luc Melenchon rief die Franzosen auf, sich von
der Oligarchie und dem präsidentiellen Monarchen zu befreien, sozusagen
eine neue Revolution zu wagen. Der Kandidat der Sozialisten, Benoit
Hamon plädiert auch für eine neue, die VI. Republik und für ein
„nützliches Votum“, das er nur im Übergang zu einem ökologischen System
sieht, das zudem den Menschen mehr Kaufkraft durch das Grundeinkommen
verschaffe.
Der Mitte-Links-Politiker und Kronprinz des noch amtierenden
Präsidenten Hollande, Emmanuel Macron, appelliert an die Gemütslage der
Franzosen, sie sollten Mut haben zu einem Projekt, das sie befreie und
Gewohnheiten und Gesichter erneuere.
Der Kandidat der Konservativen, François Fillon, erinnert daran, daß
parlamentarische Mehrheiten auch Stabilität garantieren und daß er der
einzige sei, der diese Mehrheiten um sein Reformprogramm versammeln
könne. Die V. Republik sei besser als ihr Ruf und auf jeden Fall besser
als die Hinwendung zu chaotischen Verhältnissen, die Zeiten seien zu
Ernst zum Experimentieren.
Kopftuch als Zeichen der Unterwerfung der Frau
Die Vorsitzende des Front National und Rechtsaußen der Runde, Marine
Le Pen, beschwört die Franzosen, sich von der EU nicht mehr knebeln und
bevormunden zu lassen, sie werde Frankreich von der EU befreien aber bei
allen wichtigen Schritten, etwa dem Austritt aus der EU, das Volk
befragen.
Vor diesen Schlußworten hatten sich die Kandidaten manch engagiertes
Rededuell geliefert. Leidenschaftlich wurde es beim Thema Islam. Macron
wand sich: Der Burkini sei harmlos, ihn zu ignorieren sei die beste Art,
den Islamismus zu bekämpfen, die Kleiderordnung solle die Kommune
bestimmen. Dann aber waren Burka und Burkini wieder ein politisches
Manifest, das gegen die Laizität verstoße und das Kopftuch ein Zeichen
der Unterwerfung der Frau.
Auch bei anderen Themen drehte er sich wortreich um die eigene Achse,
so daß Le Pen verwundert ausrief: „Monsieur Macron, Sie haben jetzt
fünf Minuten ununterbrochen geredet, ich wäre nicht in der Lage, das
zusammenzufassen, und zwar aus dem einzigen Grund: Sie haben nichts
gesagt.“ Polemische Spitzen gab es auch beim Thema Terror. Melenchon und
Hamon lassen das bei Linken übliche Verständnis für den Islam erkennen,
gegen den Fundamentalismus müsse man mit Bildungsprogrammen arbeiten.
Fanfarenzug der Einzelmaßnahmen
Fillon spricht vom totalitären Islamismus, der nicht nur Frankreich
bedrohe. Es gehe beim Terrorismus um „einen Krieg von langer Dauer, der
ein Bündnis mit den Russen und Iranern erfordert“, um in Nahost an die
Wurzeln zu gehen. Le Pen will „wieder Ordnung herstellen“, das Budget
für Polizei und Armee aufstocken und zwar auf zwei Prozent des BIP ab
2018 und auf drei Prozent bis 2022, Macron und Fillon wollen die zwei
Prozent erst 2024 und 2025 erreichen, Hamon und Melenchon erklären sich
zu den künftigen Präsidenten des Friedens, die mit Verhandlungen und
nicht mit Aufrüstung den Frieden schaffen wollen.
Macron präsentiert sich als der „einzige Kandidat, der ein
EU-konformes Budget anstrebt“, die anderen gehen in der Tat von
nationalen, sozialistischen oder neoliberalen Vorstellungen aus,
europäische Richtlinien sind nicht programmbestimmend.
Viele Einzelmaßnahmen werden diskutiert, Hamon will ein Recht auf
Euthanasie einführen und wie Le Pen das Rentenalter auf 60 Jahre senken.
Fillon will es auf 65 Jahre anheben, bei Macron soll es bei 62 Jahren
bleiben. Der Fanfarenzug der Einzelmaßnahmen durchzieht sämtliche
Bereiche, von der Gesundheits- über die Sicherheits- und Außenpolitik
bis hin zu Wirtschaft und Finanzen.
Affären spielen keine Rolle
Gelegentlich halten die Angaben der Kandidaten einem Faktencheck
nicht stand. Besonders fahrlässig im Umgang mit Fakten sind die
Linkskandidaten. Programmatisch kohärent auch mit Blick auf die
Zusammenhänge und Interaktionen der Bereiche erscheint am ehesten das
Projekt Fillon. Er überzeugt in ersten Umfragen rund vierzig Prozent,
gefolgt von Macron mit 24 und Le Pen mit 18 Prozent. Die Zahlen
variieren je nach Zeitung und Institut. In den Netzwerken liegen Hamon
und Le Pen vorne.
Bilanzierend läßt sich aus diesem ersten Schlagabtausch folgern, daß
der Wahlkampf jetzt, fünf Wochen vor dem ersten Wahlgang, erst richtig
anläuft. Die Affären mit der Finanzjustiz – ein neuer
Scheinbeschäftigungsskandal um den sozialistischen Innenminister bringt
jetzt die Justiz in eine gewisse Verlegenheit – spielten keine Rolle, es
ging überwiegend sachlich zu.
Entschieden ist die Wahl nach dem TV-Duell vom Montag noch lange
nicht. Wer also, wie die deutsche Qualitätspresse, Macron schon zum
Sieger hochstilisiert, verrät nur Hybris im Umgang mit der Macht. Denn
nach einem Wort von Peter Sloterdijk ist „Macht das Vermögen, die
Tatsachen in die Flucht zu schlagen.“ Aber manchmal sind Tatsachen wie
ein Bumerang. Jürgen Liminski
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