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Sonntag, 5. März 2017

Dummheit, Heuchelei, Duckmäuserei, Antipluralismus und Ekel eskalieren

 

Haß und Hetzer prägen zunehmend das gesellschaftliche Klima – ein Umstand, den vor allem das bürgerliche Feuilleton beklagt. Und es hetzen nicht nur die verklemmten Anonymen im Internet; ganz prominente Namen gehören dazu. Etwa der seit Februar in der Türkei einsitzende Deniz Yücel, Deutsch-Türke mit doppelter Staatsbürgerschaft, Welt-Korrespondent und Autor gedruckter Infamien, die an die übelsten Federn deutscher Pressevergangenheit erinnern. In Istanbul erwartet ihn ein Verfahren wegen Volksverhetzung und Propaganda für eine terroristische Vereinigung (es geht um die Kurdenpartei PKK).
Auch vor deutschen Gerichten wurde schon gegen Yücel verhandelt. 20.000 Euro kostete seinen früheren Arbeitgeber taz Yücels Bewertung des „leider erfolgreichen Buchautors Thilo S., den man, und das nur in Klammern, auch dann eine lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur nennen darf, wenn man weiß, daß dieser infolge eines Schlaganfalls derart verunstaltet wurde und dem man nur wünschen kann, der nächste Schlaganfall möge sein Werk gründlicher verrichten“.


Starker Tobak? Pustekuchen. Für einen Gutteil der deutschen Medienbranche ist das nicht mehr als die tägliche Häme, Fingerübungen der Feindbeleidigung, praktiziert an den Buhmännern und Buhfrauen vom Dienst. Ein Mehrheitsbiodeutscher wie Thilo Sarrazin, der sich auch noch erdreistet, Patriot zu sein, das Schicksal seines Vaterlands zu beklagen und der zudem noch in vielen Argumenten unwiderlegbar ist. Gibt es eine willkommenere Zielscheibe für Hetze, Haß, Spott und Verachtung?
Die Freiheit unserer Meinungsführer ist grenzenlos. Ihr Hochamt besteht darin, daß Jan Böhmermann den türkischen Präsidenten einen Ziegenficker nennt. Allfällige Kritik, die dann doch nicht ausblieb, beantworteten die Witzbolde vom „Zentralrat der Ziegen“ (ZZ) mit der Erklärung: „Keine Ziege hat sich jemals von Recep Tayyip Erdogan ficken lassen.“ Was sind wir doch für ein humorvolles Land. Noch setzt der Paragraph 103 des Strafgesetzbuchs, der die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter sanktioniert, den öffentlich-rechtlichen Satirikern Schranken. Doch keine Sorge, die Bundeskanzlerin schafft ihn zum nächsten Jahresersten ab. Ein allfälliger Bundeskanzler sicher auch.
Deniz Yücel wünscht im übrigen nicht nur Einzelpersonen wie Thilo Sarrazin den Tod. An anderer Stelle, ebenfalls in der taz, jubelte er vor einigen Jahren geradezu hymnisch über den demographischen Niedergang seines Zweitpaßvolks: „Der baldige Abgang der Deutschen aber ist Völkersterben von seiner schönsten Seite.“ Was etwa kinderreichen Deutschen – die es auch noch geben soll – wie ein unschönes Schicksal droht, tut Yücel mit einem höhnischen Fußtritt ab: „Etwas Besseres als Deutschland findet sich allemal.“




Man hört nichts von solchen Sätzen, wenn es in diesen Tagen um Deniz Yücel geht. Kein Journalistenkollege will sich den Vorwurf einhandeln, nachzutreten oder aufzurechnen. In der ZDF-Talkrunde „Markus Lanz“ am Mittwoch abend sprach die Spiegel-Hauptstadtkorrespondentin Melanie Amann von Yücels taz-Artikel zur deutschen Nation als „Polemik“, die nur das „AfD-Publikum“ interessiere. Das mag Frau Amanns Ansicht sein. Allerdings ginge nach solchem Maßstab ein Großteil der haßtriefenden Hetze im Internet, ob von links oder von rechts, folgerichtig auch als Polemik durch. Dem wird man sich schwerlich anschließen.
Im übrigen sind Yücels Sätze in der taz, ob zu Thilo Sarrazin oder zum Volk der Deutschen, Teil des Gesamtbilds seiner Person. Sich öffentlich an der Vorstellung des Sterbens anderer Menschen zu ergötzen, ist moralisch kein Kavaliersdelikt. Auch das Haus Springer muß sich die Frage gefallen lassen, ob es verantwortungsvoll war, einen Korrespondenten, der zu derartigen Sätzen neigt, ausgerechnet in die Türkei zu schicken. Stand dahinter die Spekulation auf den großen Skandal?
Nun sitzt Yücel in seiner zweiten Heimat, sitzt buchstäblich und im übertragenen Sinn und, man darf mutmaßen, nicht eben angenehm. In einem türkischen Gefängnis zu landen, wünscht man seinem ärgsten Feind nicht. Auch keinem deutschen Hetzer, und Deniz Yücel, daran ändert das öffentliche Verschweigen nichts, ist ein deutscher Hetzer. Wenn er in dem Ton, den er auf deutsch unter Beweis gestellt hat, auf türkisch über die Türkei schreibt, werden 20.000 Euro nicht reichen, ihn rauszuhauen. Hätte er in der taz nicht das Aussterben der deutschen Nation, sondern der israelischen oder einer anderen bejubelt, wäre auch hierzulande die Anklage wegen Volksverhetzung fällig gewesen.

Wie immer die Sache ausgeht, ein Held des freien, fairen und kritischen Journalismus ist Deniz Yücel nicht.   Thomas Faßbender


Man muß nicht auf die Türkei schauen, um brutalen Terror gegen Oppositionelle zu sehen. In Rheinland-Pfalz wird nachts das Auto des AfD-Fraktionschefs angezündet, nur aufgrund der Aufmerksamkeit der Nachbarn bleibt die Familie unversehrt; in Schleswig-Holstein müssen die Teilnehmer einer Wahlkampfveranstaltung durch einen wütenden und tobenden Mob Spießruten laufen.
Nur unerschrockene Gastwirte und Hoteliers wagen es überhaupt noch, der beim Establishment verhaßten Oppositionspartei Räume und Unterkunft zu geben; Farbbeutelanschläge und Denunziations-Kampagnen in der Nachbarschaft gegen AfD-Politiker zählt schon keiner mehr.

Szenen aus einem Land, das dem Bürgerkrieg näher scheint als demokratischer Normalität. Älteren und Geschichtskundigen drängt sich da unwillkürlich das Stichwort „Weimarer Verhältnisse“ auf. Genug zu tun, sollte man meinen, für eine politische Klasse, deren Spitzenvertreter sich gerne als Verteidiger von Demokratie und Anstand in die Brust werfen, wenn sie Andersdenkende in den sozialen Netzwerken jagen.

Doch die Moralriesen schweigen, die Heuchler ducken sich weg. Keine parteienübergreifende Solidaritätserklärung, keine gemeinsame Verurteilung politischer Gewalt. Nicht einmal zu einem Wahlkampf-Fairneßabkommen können sich die Fanatiker durchringen. Schlimmer noch, sie zündeln eifrig mit.
Sozis, Grüne, Linke und Gewerkschafter sind stets vorne mit dabei, wenn es gilt, zu Haßkundgebungen aufzuhetzen; Unionspolitiker heben immer schön brav das Händchen, wenn mal wieder mehr Steuergeld für den geistigen Bürgerkrieg gegen Andersdenkende lockergemacht werden soll – natürlich immer schön nur an Linke und Linksextreme und „gegen Rechts“. Nur immer schön weiter nach links rücken, damit man bloß selbst nichts abbekommt.
Wird es da dem ein oder anderen nicht langsam mulmig, was er da mit angerichtet hat? Die Brandstifter sitzen nicht dort, wo die Selbstgerechten sie gemeinhin ausmachen. Sie sitzen an den Schalthebeln von Politik, Parteien und „Zivilgesellschaft“. Wer da auch noch „Schande für Deutschland“ schreit, um die Stimmung weiter anzuheizen, spricht tatsächlich nur ein Urteil über sich selbst.  Michael Paulwitz



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