Zeus wütet. Der Sturm mit dem Namen des Göttervaters fuhr über
Frankreich, knickte Strommasten wie Streichhölzer. Fast eine Million
Haushalte waren zwei Tage ohne Strom, sozusagen abgeschaltet. Zeus ist
wie ein Symbol für die politische Situation. Frankreich steht vor einem
stürmischen Frühling. Am wütendsten tobt es im Lager der Konservativen.
Dort scheinen auch einige politische Hirne ausgeschaltet worden zu sein.
Beeindruckt von Umfrage-Instituten, die schon in jüngster Vergangenheit
völlig danebengelegen hatten, haben einige führende Politiker des
konservativen Lagers ihren mit großer Mehrheit gewählten Kandidaten
François Fillon im Stich gelassen und auf den Verlierer der Vorwahlen,
Alain Juppé, Liebling der linksliberalen Medien, gesetzt.
Sie, die selbst mit kleineren Skandalen zu tun haben, empörten sich:
Fillon habe sein Wort gebrochen, denn er habe versprochen, seine
Kandidatur niederzulegen, sollte er angeklagt werden. Diese Anklage wird vermutlich am 15. März erfolgen. Im vorauseilenden Gehorsam zu den
Trends in Medien und Umfragen eilten sie nun in das imaginäre Lager des
Verlierers, der ihnen einen Sieg und damit Mandate, Ministerposten und
Scheinwerferlicht verhieß. Ihr Vorbild ist Talleyrand, der sechs Regime
überlebte und dessen Devise lautete: Da geht mein Volk, ich muß ihm
hinterher, ich bin sein Führer.
Aber der Führer ohne Volk, Juppé, wollte lieber Verlierer und bei
seinem kommunalen Volk in Bordeaux bleiben. In gekränkter Eitelkeit über
die Ablehnung der konservativen Wählerschaft, wo doch die Medien und
Umfragen ihn schon lange zum Sieger erkoren hatten, verharrte er nun in
der Schmollecke und sagte definitiv ab, für Fillon als Kandidat
anzutreten. Natürlich hatte er mit diesem Gedanken gespielt und seine
Entourage laut und medial spekulieren lassen. Seine Voraussetzung war,
daß Fillon seine Kandidatur niederlegen würde. Denn sonst stünde er als
Prinzenmörder da und die Wähler würden ihm die Gefolgschaft verweigern.
Fillon aber blieb standhaft. In bonapartistischer Manier, der Mann
der Vorsehung allein vor dem Volk, rief er das Volk auf dem Trocadero
zusammen und das jubelte ihm zu, im strömenden Regen, den Vorboten von
Zeus. Der Jubel beeindruckte die nacheilenden Führer der Partei. Das
Präsidium kam am Montag abend zusammen, Zeus wütete schon vor den Toren
von Paris. Einstimmig stellten sie sich hinter „unseren Kandidaten“.
Fillon-Bonaparte hatte wieder eine Schlacht gewonnen.
Der Krieg ist damit keineswegs beendet. Im Gegenteil, er geht erst
richtig los. Am Dienstag abend rief Fillon in Orleans, der Stadt der
Jungfrau, die sich nie unterwarf, wieder Tausenden jubelnden Anhängern
zu: Diese Stadt ist ein Symbol des Widerstands, es war das Volk, das
Jeanne d’Arc zum Sieg führte, auch wir werden uns nicht unterwerfen.
Alle verstanden: Dies ist ein politischer Krieg gegen das Establishment,
gegen die „Federhutträger“ und Barone im eigenen Lager, gegen die
meisten Medien.
Im fernen Bordeaux und aus anderen Rathäusern flogen einige
Giftpfeile Richtung Orleans, die vergeblich vorausgeeilten Barone wollen
den Kandidaten nicht unterstützen. Ein geplantes Dreier-Treffen
zwischen Fillon, Juppé und dem früheren Präsidenten Sarkozy fand nicht
statt. Juppé sagte ab. Das konservative Lager ist de facto gespalten.
Zumindest auf Parteiebene.
Der Gegner dagegen sammelt Truppen. Der heimliche Kandidat des Elysee
und frühere Wirtschaftsminister, Emmanuel Macron, erhält Zuspruch aus
der Sozialistischen Partei und aus der Regierung. Die Schwergewichte der
Partei, die mit der Wahl des linken Rebellen Benoit Hamon nicht
einverstanden waren, haben sich jetzt für Macron ausgesprochen. Premier
Bernard Cazeneuve, die Minister Stephane Le Folle, Jean-Yves Le Drian
und Ségolène Royal wollen ihn im Wahlkampf unterstützen.
Das ist nicht nur eine schallende Ohrfeige für den gewählten
Kandidaten Hamon, sondern auch für das Wahlvolk. Und es zeigt, noch
deutlicher als im konservativen Lager, daß die Parteibarone längst nicht
mehr auf das Wahlvolk, sondern auf das Volk der Journalisten und
Demoskopen hören. Insofern wird diese Wahl eine über Frankreich
hinausgehende symbolische Bedeutung haben: Wer ist der Souverän, die
Beziehungs-Oligarchien in Medien und Parteien oder das Volk?
Unerwartet erhält in dieser Situation Fillon Schützenhilfe aus dem
linken Lager.
Der frühere Verteidigungsminister unter Mitterrand und
Innenminister unter Chirac, Jean Pierre Chevenement, kritisiert den
Zeitplan der Justiz, mithin die Einmischung der Richter in den
Wahlkampf. Er teile nicht die politischen Ansichten des konservativen
Kandidaten, aber seine wehrhafte Standhaftigkeit gegenüber der
Komplizenschaft zwischen Richtern und Journalisten.
Dieses „Konkubinat“ gefährde nicht nur die Unschuldsvermutung und
führe zu medialen Vorverurteilungen, es gefährde vor allem die
Demokratie. „Die Republik“, so der angesehene elder statesman, „das ist zuerst die allgemeine, freie, unbeeinflußte Wahl der Bürger“.
Es bleibt stürmisch und spannend in Frankreich. Und Marine Le Pen schaut
zu. Die Stürme wehen für sie in die richtige Richtung. Jürgen Liminski
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