François Fillon macht seit Wochen eine neue
Erfahrung: Recht strukturiert nicht nur Gesellschaften, regelt nicht nur
das Zusammenleben der Bürger; Recht kann auch instrumentalisiert werden
und politisch töten.
Die Affäre der angeblichen Scheinbeschäftigung
seiner Frau und zwei seiner Kinder bezeichnete er als „politischen
Mord“. Es ist ein Putschversuch linker Robenträger. Es ist in der Tat
nicht einsehbar, warum gerade der Kandidat der Konservativen von der
Justiz verfolgt wird und jetzt auch angeklagt werden soll, da doch mehr
als die Hälfte der französischen Abgeordneten ebenfalls
Familienangehörige beschäftigt haben und diese nicht untersucht werden.
Klar ist auch, daß das Geld so oder so in der „Familienkasse“ bleibt,
denn wenn der Abgeordnete es nicht für das Gehalt von
Parlamentsassistenten ausgibt, bleibt es bei ihm. Es entstehen dann nur
keine Rentenansprüche.
Fillon hat die Beschäftigung seiner Frau und der
zwei Kinder offengelegt, das Tribunal für Finanzkriminalität konnte ihm
nichts nachweisen und hat das Dossier an die Staatsanwaltschaft
weitergeleitet. Damit kann die Affäre weiterköcheln.
Daß es sich hier um eine Intrige handelt, mit dem Ziel, „dem Volk die
Wahl zu stehlen“, ist ein offenes Geheimnis. Entsprechend hat Fillon in
einer ersten Reaktion auch seinen Entschluß bekräftigt, weiter im
Rennen zu bleiben, auch wenn er nach dem Verhör am 15. März angeklagt
werden sollte. Für diesen Fall hatte er, als die Affäre aufkam,
angekündigt, seine Kandidatur niederzulegen. Das war ein Fehler, denn
auf dieses Versprechen berufen sich jetzt einige Konservative und vor
allem die Zentristen, die ihm die Gefolgschaft verweigern.
Er war sicher, daß die Justiz nichts finden würde. Aber das war naiv.
Es ging nicht um die Sache, sondern darum, seine persönliche
Glaubwürdigkeit und damit auch sein Wahlprogramm zu erschüttern. Das hat
Fillon erst erkannt, als das von der Linksregierung installierte und
vom Elysee abhängige Finanztribunal den „Fall“ vor einer Woche an die
Staatsanwaltschaft weiterleitete.
Ab diesem Zeitpunkt fühlte er sich an
das Versprechen nicht mehr gebunden und verkündete, daß nur noch das
Wahlvolk über ihn und die Affäre zu entscheiden habe.
Aber das war zu spät. Zwar konnte er in den Umfragen noch zulegen und
für ein paar Tage seinen Rivalen Emmanuel Macron von Platz zwei
verdrängen. Die neue Allianz zwischen Macron und dem linksgerichteten
Zentrumspolitiker François Bayrou, der sich vor
fünf Jahren für Hollande ausgesprochen und somit die Wiederwahl Nicolas
Sarkozys verhindert hatte, sorgte für neuen Aufwind für Macron, den
Liebling der linksliberalen Medien.
Fillon ist angeschlagen. Das Wochenende wird zeigen, ob er noch
einmal seine Truppen mobilisieren kann. Er hat für Sonntag zu einer
großen Versammlung auf dem Trocadéro, gegenüber
dem Eiffelturm in Paris aufgerufen. Er hat sein politisches Schicksal
dem Votum des Wahlvolks anheimgegeben. Es ist möglicherweise seine
letzte Schlacht. Sollten sich am Sonntag nur wenige tausend auf dem Trocadéro einfinden, wird er das Handtuch werfen müssen. Das Volk, die Straße aber ist in Frankreich unberechenbar.
„Le peuple est un élément – Das Volk ist eine
elementare Kraft“, meinte der Schriftsteller und Politiker Alphonse de
Lamartine, so elementar wie Wind, Wasser und Feuer. Er schrieb das in
einem Aufsatz über die Todesstrafe vor rund 160 Jahren und dachte dabei
an die diversen Revolutionen, die Frankreich damals schon erlebt hatte.
Fillon, der für sein Programm drei Jahre lang durch Frankreich gereist
war und sich immer auf diese Erfahrung und nicht auf Medien und
Umfrage-Institute verlassen hatte, setzt auch jetzt auf das Volk. Auch
die Justiz spricht ja ihre Urteile im Namen des Volkes.
Aber das Trommelfeuer der Medien und die Unsicherheiten in den
eigenen Reihen bleiben nicht ohne Wirkung. Wenn ihm auch das Wahlvolk
nur noch zögerlich folgt, wird es einsam um ihn werden. Das um so mehr,
als sein Rivale Macron jetzt sein Programm vorlegt und viele Punkte aus
dem Programm Fillons übernommen und schlicht etwas abgeschwächt hat. Da
stellt sich für viele Franzosen die Frage, ob sie einem Kandidaten
folgen sollen, der gegen den politisch-medialen Strom schwimmt und harte
Reformen in Aussicht stellt, oder ob sie kleineren, leichter
erträglichen Reformen und den Versprechen des Hollande-Zöglings den
Vorzug geben sollen.
Nur eins ist sicher: Sollte Fillon aufgeben, wird das die Vorsitzende
des Front National stärken. Denn dann werden sich viele konservative
Wähler gegen Macron und diejenigen wenden, die die Affäre eingefädelt
haben. Ein linkes „Weiter so“ werden sie nicht ertragen. Dann lieber die
Ungewißheit einer Zukunft mit Marine Le Pen. Die dürfte in den Umfragen
eher zulegen, auch und gerade nachdem das Europa-Parlament ihr heute
ein politisches Geschenk gemacht hat, indem es ihre Immunität aufhob
wegen der Veröffentlichung von Enthauptungsfotos des IS. Jürgen Liminski
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