Das Wort „Nationalismus“ hat einen negativen Beigeschmack. Das ist
kein neues Phänomen. Als sich der französische Schriftsteller Maurice Barrès an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ausdrücklich als
„Nationalist“ bezeichnete und der deutsche Schriftsteller Ernst Jünger
diese Geste eine Generation später wiederholte, diente das der
Provokation: Man wollte zeigen, daß man aufs Äußerste ging für die
Nation und sich so von den spießbürgerlichen „Patrioten“ absetzen.
An der Verfemung hat das wenig geändert. Nur für ganz kurze Phasen
der Geschichte konnte man den Begriff „Nationalismus“ vom Odium der
Übertreibung und des Extremismus befreien. Da half auch wenig, daß die
Geschichts- wie die Politikwissenschaft interessiert waren und sind,
wertfrei von „Nationalismus“ zu sprechen, wenn sie Bewegungen
kennzeichnen, die entweder die nationale Befreiung anstreben oder die
Schaffung oder Verteidigung eines Nationalstaates oder den Gewinn neuer
nationaler Geltung.
Deshalb überrascht es, wenn neuerdings versucht wird, diesen
sachlichen Umgang für die politische Debatte zu nutzen, um die Krise der
Institutionen in der westlichen Welt besser zu verstehen. So hat Julian Nida-Rümelin, Sozialdemokrat, ehemaliger Kulturstaatsminister,
Professor für Philosophie, in einem Interview geäußert, es handle sich
bei den populistischen Bewegungen im Grunde um einen „neuen
Nationalismus“, der „nicht immer fremdenfeindliche, chauvinistische oder
sonstige Motive hat, sondern … eine verbreitete Besorgnis der
Bevölkerung, die Kontrolle zu verlieren“, zum Ausdruck bringe.
Das Gespräch fand nach dem Ende einer von Nida-Rümelin geleiteten
Tagung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften statt,
die sich mit dem Thema „Internationale Gerechtigkeit und institutionelle
Verantwortung“ befaßte. Daher kann man seine Feststellungen durchaus
als Kritik an dem Generaltenor dieser Veranstaltung deuten.
Denn die Referenten kamen offenbar nicht los vom Glauben an die
segensreiche Wirkung einer Weltregierung, wogegen Nida-Rümelin die
nüchterne Feststellung setzte, daß es „im Sinne funktionierender
Staatlichkeit im Grunde nur die Nationalstaaten“ gebe und schon die
Vorstellung einer handlungsfähigen EU wenig Wirklichkeitssinn verrate.
Das, was Nida-Rühmelin meint, ähnelt in vielem dem, was sich im
„Loblied auf den Nationalismus“ findet, das Rainer Hank in der letzten
Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung angestimmt hat. Ausgerechnet im Wirtschaftsteil der FAS wies er darauf hin, daß der „liberale Kosmopolitismus“ der westlichen Eliten seine Verheißungen nicht erfülle.
Auch wenn das Selbstbewußtsein der Vielflieger im globalen Dorf
unbeeindruckt bleibe, sei die Basis nicht länger gewillt, als
selbstverständlich hinzunehmen, daß alle vertraute Ordnung aufgelöst,
alle Sicherheit für obsolet erklärt, jede Grenze beseitigt und jede
Lebensform verflüssigt werde. Den „Weltbürger“ im Wortsinne gebe es
nicht, könne es nicht geben: „‘Bürger’ oder ‘Citizen’ ist man qua
definitionem nur innerhalb eines Staates oder einer Nation.
Gibt es dort gute demokratische Institutionen mit freien Wahlen und
Gewaltenteilung, dann ist ein solcher Nationalstaat das Stärkste, was
man den Schwächsten wünschen kann. Unter einer Weltregierung oder einer
Europaregierung wäre der Weltbürger ziemlich verloren.“
Selbstverständlich sind die Versuche von Nida-Rümelin und Hank, dem
Begriff des Nationalismus seinen Ruch zu nehmen, nicht zweckfrei. Hier
geht es vielmehr darum, sich ein ungeheures gesellschaftliches
Energiereservoir zu sichern, bevor es zu spät ist.
Das heißt: Die
klügeren Köpfe des Establishments sehen ab, was geschehen wird, wenn
eine Bewegung, die schon in Gestalt des Populismus unkontrollierbar
bleibt, weiter Zulauf gewinnt, weil sie sich auf die einzige verbliebene
Legitimationsquelle – die Nation – beruft.
Ihre Einflußnahme hat bisher allerdings wenig Wirkung erzielt.
Denn
die Verantwortlichen können das alte Denken nicht lassen. Da zählt zum
Volk jeder, „der hier lebt“ (die Kanzlerin), oder es wird gleich ganz
Mitteleuropa zum ethnisch-religiösen Labor erklärt, in dem diejenigen
die Abläufe der Experimente kontrollieren, die willkürliche „Leitbilder“
festlegen (die Integrationsbeauftragte).
Es zeigt sich hier dieselbe Beratungsresistenz, die André Taguieff,
einer der interessantesten politischen Denker Frankreichs, schon vor
Jahren in seiner Heimat beklagte. Damals bemühte er sich, den Front
National (FN) zu entdämonisieren und der Politischen Klasse
klarzumachen, wie es zu Entstehung und Aufstieg einer solchen neuartigen
Massenpartei kommen konnte.
Denn der Front National ist nach Taguieff nicht Faschismus, der
fröhlich Urständ feiert, oder die Folge der Miesepetrigkeit von
Modernisierungsverlierern oder ärgerliche, massenhafte Blödheit oder die
Konsequenz fehlender sozialer Wohltaten. Der FN ist vielmehr die „Rache
des Nationalismus“, ein – im Grunde erwartbarer – Rückschlag,
provoziert durch den „Antinationalismus der Eliten in Staat und Kultur,
deren erklärtes Ideal es ist, die Nationen zu `denationalisieren´“. Karlheinz Weißmann
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