Heute
ist ein guter Tag für DDR-Erinnerungen. Zwar waren es die Nazis, die
den 1. Mai zum Feiertag erklärten, doch an keinem anderen Datum außer
vielleicht dem 7. Oktober ("Tag der Republik") wähnten sich die
DDR-Genossen so sehr in ihrem Element wie am "Kampf- und Feiertag der
Werktätigen", an welchem man gehalten war, Fahnen aus den Fenstern zu
hängen und mit sogenannten Winkelementen wedelnd an den von ihren
Tribünen zurückwinkenden führenden Genossen vorbeizudefilieren, um sich
danach auf diversen Volksfesten die Kante zu geben oder einer FDJlerin
aus dem blauen Fummel zu helfen.
Mit dem 1. Mai hat meine Reminiszenz aber nicht zu tun. Sondern:
Als
ich vor ein paar Tagen erstmals im Arbeitsamt vorstellig wurde, um
mich, der ich seit meinem Beitritt zur Bundesrepublik weit über eine
Million Mark und später Euro in die Steuer- und Sozialkassen eingezahlt
habe, für ein kurzes Verschnaufpäuschen an die Brüste des Sozialstaates
sinken zu lassen, fiel mir schlagartig ein, dass ich ja doch schon
einmal davor auf einem Arbeitsamt gewesen bin, nämlich im Sommer 1991 in
Ostberlin. Dieses Arbeitsamt nun befand sich – oder befindet sich noch –
an einem sehr exklusiven Ort, nämlich in einem Flügel der ehemaligen
Stasi-Zentrale Normannenstraße. Als ich von dort aus dem Fenster sah,
blickte ich auf das Hans-Zoschke-Stadion, ein Fußballstadion mit knapp
10.000 Plätzen, benannt nach dem 1944 hingerichteten kommunistischen
Widerstandskämpfer Johannes Zoschke. Diese Perspektive entzückte mich
insofern, als ich sie in umgekehrter Richtung schon einmal genießen
durfte, nämlich drei Jahre früher. Damals war ich als Platzwart im
Zoschke-Stadion tätig beziehungsweise untätig, das heißt, ich lief jeden
Morgen auf dem Weg zur Arbeit an den mit Maschinenpistolen bewaffneten
Wächtern des Stasi-Hauptquartiers vorbei, die Haltung annahmen und
salutierten, wenn die Generäle in ihren schwarzen, wenn ich mich recht
entsinne, Citroen-Limousinen hineinfuhren, und während ich die
Kreidekarre schob, um die Strafraumlinien nachzuziehen, starrte mich der
ummauerte Moloch, der das Stadion von drei Seiten einschloss, aus
seinen aberhundert Fenstern an. Am liebsten hätte das MfS dieses Stadion
einfach geschluckt, doch die Witwe Zoschke war wohl noch sehr kregel
und verhinderte mit ihrer schieren Existenz die Umwandlung des
Fußballplatzes in eine Stasi-Betriebssportanlage.
Ich kann mich
noch entsinnen, dass einmal der BFC Dynamo dort spielte, entweder die
Junioren oder die zweite Mannschaft, und zwei Herren aus dem Ministerium
inspizierten vorher die Umkleideräumlichkeiten mit dem Resultat, dass
sämtliche Poster von westlichen Fußballmannschaften entfernt werden
mussten. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die tausendohrigen
Nachbarn ergriffen mithörten, wenn die anderen Sportplatzangestellten
vom Diensttelefon aus Westberliner Prostituierte anriefen, deren Nummern
sie einer Ausgabe der BZ entnahmen, die irgendwer mitgebracht
hatte, und sich nach deren Repertoire erkundigten, um danach bittere
Klage über die Mauer anzustimmen.
Eines schönen Sommertages, um
nun zu der Anekdote zu kommen, die ich eigentlich zum Besten geben will,
legte ich mich also in den Mittelkreis des Fußballplatzes in die Sonne,
und während vor meinem inneren Ohr Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune
lief, entschlummerte ich sanft. Nur wenige Minuten später rief der
Direktor des Sportstättenbetriebs im Zoschke-Stadion an. Die Genossen
des Ministeriums für Staatssicherheit hatten sich beschwert, dass der
Platzwart nicht arbeite. Auf die Jungs war eben Verlass.
Und ihr Geist ist noch quicklebendig. MK am 1. 5. 2017
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