Stationen

Samstag, 6. Mai 2017

Im Zeitenstrudel

Die Frage, warum ausgerechnet viele Hollywood-Stars psychische Probleme haben, beantworten Psychologen gemeinhin mit dem Umkehrschluss, dass eben oft Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten Stars werden. Zu einem vergleichbaren Resultat gelangt der Militärhistoriker Martin van Creveld bei der Analyse des Phänomens, dass immer mehr Frauen beim Militär beschäftigt sind: Nicht deren massenhafte Rekrutierung habe die westlichen Armeen bis zur Kriegsunfähigkeit geschwächt – "Pussycats" heißt van Crevelds neues Buch zum Thema –, sondern die Truppen seien, von ein paar Elteeinheiten abgesehen, bereits kriegsuntauglich gewesen, als sie begannen, den Frauen die Kasernentore zu öffnen.

Die Existenz von Soldatinnen in großer Zahl signalisiert: Wir wollen keinen Krieg, wir wollen strenggenommen nicht einmal kämpfen, außer vielleicht mit Drohnen und Robotern und Seit' an Seit' mit Gleichstellungsoffizierinnen gegen den alltäglichen Sexismus. Wie der Westen insgesamt befinden sich auch seine Armeen weltweit auf dem Rückzug.

Die Bundeswehr, immerhin die Nachfolgerin der unbestritten besten Armee, die die Welt je gesehen hat, ist heute eine besonders exemplarische Kasperltruppe, in Narrenkleider gehüllt, miserabel bewaffnet, kaputtgespart, geführt von feigen Generälen und einer Ministerin, der man vielleicht besser die Chefredaktion der Brigitte anvertrauen sollte. Die Neu- und Restdeutschen wollen bekanntlich alles zu hundert Prozent anders machen als die Nazis, was speziell beim Militär auf das Paradox einer pazifizierten, friedfertigen, handzahmen Truppe hinauslaufen musste, die offiziell keine Feinde mehr kennt, und so sieht der Laden denn auch aus: Die Soldaten sind gehalten, sogar unter Feuer brav ihren Müll zu trennen, die Panzer werden schwangerentauglich, die Kasernen kindergerecht ausgestattet, die Artillerie wird demnächst nur noch biologisch abbaubare Munition verschießen, nicht einmal beim Häuserkampf darf die Wehrmacht mehr das Vorbild sein, sondern vielleicht besser die Berliner Antifa, und wer eine Soldatin in allen Ehren anmacht, wird in Unehren entlassen. Deutschlands "schimmernde Wehr" hat keinen Schimmer, wie sie ihr Land im Ernstfall verteidigen sollte. Dass da und dort noch ein paar Kampfflieger, Afghanistan-Infanteristen und KSK-Männer einen guten Job machen, ist unbenommen, aber Arnold Gehlens Vorschlag, die Bundeswehr möge sich "Leben und leben lassen" aufs Koppelschloss schreiben, darf praktisch als durchgesetzt gelten.

Und nun attestiert also eine Emnid-Umfrage im Auftrag von N24 der Bundeswehr ein Rechtsradikalismus-Problem: 49 Prozent der Deutschen sehen ein solches – unter den Anhängern der Grünen sind es naturgemäß 90 Prozent, bei den SPD-Sympathisanten 75 Prozent (hier). Selbst in dem sagenhaften Atlantis brüllten in der Nacht, als das Meer es verschlang, die Ersaufenden nach ihren Sklaven, und so werden die Roten und die Grünen dereinst nach Schutz brüllen, und sie werden es, inschallah und gottlob, gewiss vergeblich tun. Die Bundeswehr hat in der Tat ein gewaltiges Problem, aber das hat mit Extremismus nichts zu tun – es fällt übrigens auf, dass die vor kurzem beim Bund aufgeflogenen islamischen Extremisten nicht ein Achtel der Medienaufmerksamkeit bekamen wie jetzt dieser dubiose "Völkische" namens Franco A. –, sondern damit, dass sie keine Armee mehr ist. Jede normale Armee ist nämlich in gewisser Weise "rechtsradikal", insofern das Militärische, das Martialische, der Drill, die Manneszucht, die organisierte Brutalität, die ganze Kunst des Tötens samt der Bereitschaft, fürs Vaterland zu sterben, "rechtsradikal" sind – oder von mir aus, Genosse Trotzki, Genosse Shukow, "linksradikal" –, aber eben nicht "grün" oder "feministisch" oder "bunt" oder "diskursiv" oder "tolerant" oder "zivilgesellschaftlich"...


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Als ein den Geistesdingen Wohlgesonnener und Homme de lettres pflege ich eine gewisse Distanz gegenüber den fürs Technische und Bezifferbare Empfänglichen. Ich akzeptiere aber, dass es eine Art Notwehrrecht der Naturwissenschaften gegen die Anmaßungen der meist nur noch sogenannten, in Legionenstärke agierenden Geisteswissenschaften gibt. Davon macht mit Regelmäßigkeit der treffliche Hadmut Danisch Gebrauch, diesmal indem er die These entwickelt, der politische Extremismus und all das faktenresistente und rechthaberische genderistisch-feministisch-diversistische Gedöns beruhten womöglich auf einer evolutionsbedingten Fehlfunktion des menschlichen Cerebrums.

Wissenschaftler wollen herausgefunden haben, schreibt Danisch, "dass die Stellen im Gehirn, die auf physische Bedrohung und Gewalt reagieren, genauso reagieren, wenn wir mit Informationen konfrontiert werden, die unserem Weltbild widersprechen, wir uns also in unserer Umgebungsdarstellung 'angegriffen' fühlen.  Jemandem in seiner festgeglaubten Meinung zu widersprechen, kann also wohl dieselben Hirnreaktionen auslösen, wie von einem Räuber mit dem Knüppel angegriffen zu werden. Das Hirn ist evolutionär noch nicht so weit, Intellektuelles von körperlichen Angriffen und echten Bedrohungen zu unterscheiden. (...)

Da dreschen die Soziologen und Philosophen und Genderisten unablässig auf uns und die Biologen ein, weil sie meinen, der Mensch würde als neutrales, leeres, unbeschriebenes Blatt geboren und dann kulturell-diskursiv programmiert, und am Ende beruht das alles darauf, dass deren Gehirn nicht richtig oder noch zu archaisch funktioniert. Es wäre eine hochinteressante Frage, ob deren Gehirn irgendeinen Defekt oder eine Störung hat, oder ob es einfach die Entwicklung zur Intellektualität noch nicht mitgemacht hat und im Prinzip noch in der Steinzeit mit der Keule herumrennt. Was vor allem deshalb pikant wäre, weil Genderisten ja immer so gern den Mann als zurückgebliebenen Höhlenmenschen einstufen und Frauen für modern, intelligent, progressiv halten – viele von ihnen aber noch mit der Keule in der Urzeit leben, was deren Amygdala angeht" (weiter hier).


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Vor kurzem fragte mich die Junge Freiheit, ob ich einen Artikel über Ralf Stegner schreiben wolle resp. könne. Angesichts der Tatsache, dass Ludger Lütkehaus ein ganzes Buch über das Nichts zustandegebracht hat, stellte ich mich kühn der sogenannten Herausforderung und brachte Folgendes quasi zu Papier:  

Im Grunde kann ein Artikel über Ralf Stegner nur mit dem Satz beginnen: Zu Ralf Stegner fällt mir nichts ein. Niemandem fällt zu Ralf Stegner etwas ein. Nicht einmal Ralf Stegner selber.

Bevor die AfD auf der politischen Szenerie erschien, wusste kaum ein Mensch, wer Ralf Stegner ist. Inzwischen hat sich der Sozialdemokrat als eine feste Größe im Talkshow- und Twitter-Zirkus dieser Republik etabliert. Sein hölzernes Gesicht mit den nach unten gezogenen Mundwinkeln ist zur Marke geworden, zu einer Art Emoji. Stegner erscheint wie eine Commedia dell’arte-Figur, die sich im Jahrhundert und im Genre geirrt hat.

Den Aufstieg in die Glamourwelt des Gefragtseins und sogar -werdens verdankt Stegner den rechtspopulistischen Schwefelbuben, deren Bekämpfung er mangels anderer Alternativen zu seiner Obsession erklärt hat. Und auch die "rechtsextreme AfD-Bande" oder "die AfD-Idioten", wie er sie liebevoll nennt, profitieren von der symbiotischen Anhänglichkeit ihrer sozialdemokratischen Klette: Von Stegners Genossen Heiko Maas abgesehen, besitzen sie zur Zeit keinen verlässlicheren Wahlkämpfer als den stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden und Wiedergänger des Mr Beaker ("Mimimi") aus der Muppet-Show.




 Das wirklich Drollige, ja Hochkomische an der Konstellation Stegner-AfD besteht ja darin, dass der Sozi habituell genau jene Eigenschaften verkörpert, die er der politischen Konkurrenz unterstellt: Er wirkt frustriert, dumpf, hasserfüllt und harthirnig. Stegners Charme gehört in eine Liga mit der Virilität von Anton Hofreiter und der Selbstironie von Martin Schulz. Gäbe es eine rechte „heute-Show“, er wäre deren personifizierter Running Gag.

Wer der SPD Arges will, muss nichts weiter tun, als Stegner ins Fernsehen einzuladen. Optimisten kalkulieren um die 10.000 Minusstimmen für die Sozialdemokraten pro Talkshow-Auftritt von Stegner. Nie wirken Rechtspopulisten sympathischer, als wenn der Kastenschädel aus Bordesholm/Kreis Rendsburg-Eckernförde neben ihnen sitzt und ein Gesicht macht, als habe er ein Stück Gammelfleisch im Mund.

Eine zweite Möglichkeit, der SPD zu schaden, besteht darin, Stegner zu zitieren.

"Die rechtsgerichtete politische Instrumentalisierung der Terroranschläge ist widerlich", twitterte er am 14. November 2015 nach den Massakern islamischer Radikaler in Paris. Einen Monat zuvor hatte er das Messerattentat auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker mit den Worten kommentiert: "Pegida hat mitgestochen." Dieser ethische und auch logische Spagat bereitet unserem roten Rabauken nur wenig Mühe. Im September 2016 erklärte er in einem Interview, die AfD sei ein Fall für den Verfassungsschutz, weil "die Brandreden der Rechtspopulisten zu Brandsätzen zum Beispiel gegen Flüchtlingsunterkünfte werden". Die Partei trage "eine politische Mitverantwortung für das, was durchgeknallte Rechtsextremisten machen, denn sie bereitet verbal den Boden". Und er?

"Fakt bleibt, man muss Positionen und Personal der Rechtspopulisten attackieren, weil sie gestrig, intolerant, rechtsaußen und gefährlich sind", hatte er schon am 8. Mai 2016 getwittert, um 0:33 Uhr übrigens, da war der grobianische Spross eines Gastwirts-Ehepaars vielleicht schon etwas beschickert. Wer ihn wegen solcher Äußerungen angesichts der ständigen körperlichen Attacken auf AfD-Politiker einen geistigen Brandstifter nennt, geht dennoch fehl; geistig und Stegner, das ist wie eloquent und Merkel.

Stegners Wahrnehmung der Wirklichkeit ist oft von exklusiver Art. "Wenn Leute hinter einer Naziflagge hinterherlaufen, finde ich es falsch, so zu tun, als wüssten die nicht, was sie täten", erklärte er am 18. November 2016, vergaß aber zu erwähnen, wo er dergleichen beobachtet haben will (gab es vielleicht ein Länderspiel?). Am 13. Dezember 2016 empfahl der promovierte Politikwissenschaftler: "Wer vor der Islamisierung Deutschlands warnt, braucht medizinischen Rat, keinen politischen. Hier wird man doch eher vom Blitz erschlagen, als dass man einen Islamisten auf der Straße trifft." (Immerhin machte er keinen Unterschied zwischen Islam und Islamismus.) Sechs Tage später ermordete ein Dschihadist am Berliner Breitscheidplatz zwölf Menschen, verletzte 55 weitere zum Teil schwer und versaute unserem Statistiker die Pointe, denn an Blitzschlag sterben im Schnitt nur zehn Deutsche pro Jahr. In kecker Unbeirrtheit schob er am 23. Dezember nach: "99,9 Prozent der Flüchtlinge haben mit Terrorismus genauso wenig zu tun wie 99,9 Prozent der Deutschen." Mit anderen Worten: Deutsche und Flüchtlinge sind zu exakt gleichen Teilen für den Terrorismus verantwortlich.

Was dagegen hilft, weiß Stegner auch. "Schweinefleisch in Kantinen, Abschiebe-TV: Dieser ganze konservative Quark zeigt den Unterschied zu uns auf. Wir wollen eine Politik für sozialen Zusammenhalt für alle Menschen, die hier leben", gab er am 2. Januar 2017 zum Besten. Notfalls eben ohne Schweinefleisch.

"Ich bin jemand, der sagt, was er denkt", vertraute Stegner im Januar 2014 der Badischen Zeitung an. Wenigstens kennt er sein Problem.


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"Der Mensch ist nicht gut. Wenn man Nietzsche gelesen hat, ahnt man es, wenn man Rousseau gelesen hat, weiß man es."
(Jürgen Große)

Apropos: "Am längsten braucht ein abtretendes Volk, um die Verachtung der Nachrückenden zu begreifen, die sich um seine Stelle prügeln."
(Nochmals Große)

Und: "Stolz ist die Volksausgabe des Ekels."
(Ebenjener)

Zugabe: "Der Menschenliebe ist die Heiterkeit fremder als dem Menschenhaß."
(Derselbe)   MK am 5. 5. 2017

Dass jemand, der erst nachdem er Rousseau gelesen hat zu dem Schluss kommt (obwohl er vorher schon Zeit mit Nietzsche verschwendet hatte), dass der Mensch nicht gut ist, offenbar dennoch gute Aphorismen schreibt, ist auch erstaunlich. Der Mensch ist unzulänglich. Er ist trotz allem das liebenswerte, was es gibt. Er ist gar nicht so schlecht, aber gut erst recht nicht. Er ist eben unzulänglich. Und es gibt viel zu viele davon.

Einer meiner jüdischen Freunde macht sich Sorgen, dass irgendwann jemand merkt, dass es Juden vergleichsweise nur so wenige gibt.


Die Welt ist wie eine Tasse Kaffee, die jemand beim Frühstücken umrührt. Nur heißer.

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