Eine Kulturgeschiche der politischen Denunziation in Deutschland seit
1945 wird sich nicht auf die DDR und die Stasi beschränken können.
Gerade wird ein neues Kapitel geschrieben.
Anlaß ist das neue Lied
„Marionetten“ von Xavier Naidoo. „Reichsbürger-Hymne“, donnert die FAZ
und widmet dem Titelsong eine lange Exegese, die von E.T.A. Hoffmanns
Zensurminister Knarrpanti oder einer DDR-Kontrollbehörde stammen könnte.
„Rechtspopulismus“, giftet die Süddeutsche Zeitung, und der Kölner Stadt-Anzeiger zürnt: „Xavier Naidoo verankert rechtsextremes Gedankengut im Mainstream“. Die Hamburger Morgenpost
setzt noch eins drauf: „Naidoo beliefert die Jukebox von AfD-Fans und
Pegida-Marschierern. Und macht so auch noch braune Kohle.“ Die Welt zieht gar Parallelen zum Völkischen Beobachter.
Naidoo, Frontmann der Söhne Mannheims, reimt auf „Volksvertreter“
„Volksverräter“ und „Volks-in-die-Fresse-Treter“ und fragt sie: „Wie
lange wollt ihr noch Marionetten sein/ Seht ihr nicht, ihr seid nur
Steigbügelhalter/ Merkt ihr nicht, ihr steht bald ganz allein/ Für eure
Puppenspieler seid ihr nur Sachverwalter“. Er prophezeit ihnen den
„wütenden Bauer mit der Forke“. Im Lied „Der Deutsche Michel“ fragt er:
„Du glaubst doch nicht wirklich, daß unsere Nachrichten nicht
nachgerichtet sind?“
Je nach persönlichem Geschmack kann man das spätpubertär, frech,
respektlos, provokant oder auch läppisch finden. Dezenter als das, was
der Punk oder der „Rock gegen Rechts“ bietet, ist es allemal, von den
Brutalo-Rappern ganz zu schweigen. Mit jedem totgeprügelten Opfer der
multikulturellen Gesellschaft gewinnt das sperrige Kompositum
„Volks-in-die-Fresse-Treter“ größere Plausibilität, und der Bauer mit
der Mistgabel ist ein klassisch-revolutionäres Bild, ein
Kollektivsymbol.
Vor drei Jahren mahnte der amerikanische Milliardär Nick Hanauer
seine Milliardärskollegen in einem offenen Brief, aufzuwachen und sich
vor den „Mistgabeln“ in acht zu nehmen. Es sei nur eine Frage der Zeit,
bis die verarmenden 99 Prozent der Bevölkerung den Aufstand wagen.
Was
die „Marionetten“ betrifft: Hat nicht eine neoliberale Politik den
Finanzsektor aus allen Fesseln befreit, so daß er ihr nun das Gesetz des
Handelns diktieren kann?
Schon 2015 war Naidoos Teilnahme am Eurovision Song Contest durch
eine Medienkampagne gekippt worden. Seine Lieder und öffentlichen
Äußerungen, raunte es, seien irgendwie anzüglich, homophob,
antisemitisch gar und verschwörungstheoretisch. Naidoo hatte sich
erdreistet zu behaupten, Deutschland sei kein souveränes, sondern ein
besetztes Land.
Eine überzogene These, mit der sich der Sänger trotzdem klüger erwies
als seine Kritiker. Denn er bezog sich auf den Geschichtsprofessor
Josef Foschepoth, der im Zuge des NSA-Skandals den geheimen
Vereinbarungen zwischen den Amerikanern und der Bundesregierung
nachgegangen war und herausgefunden hatte, daß die Überwachung der
Deutschen durch die Amerikaner vertraglich gedeckt ist.
Damit hatte Naidoo auf eine Systemfrage und einen blinden Fleck im
bundesdeutschen Selbstverständnis gezielt. Das unterscheidet ihn von
seinen Kollegen, die mit flapsigem Vokabular und engagierter Attitüde
Nonkonformismus simulieren und das Einverständnis mit der Merkel-Politik
meinen.
Naidoo verweigert sich dem klebrigen Mainstream und verstößt mal
aufreizend, mal verschroben oder versponnen gegen seine Sprach- und
Spielregeln. Eine selbstsichere, im Innern souveräne Republik könnte
auch das gelassen hinnehmen; eine uninformierte und infantile
Gesellschaft dagegen fühlt sich zwangsläufig herausgefordert und in
Frage gestellt.
Nun marschieren sie alle auf: Der Satiriker Jan Böhmermann macht sich
mit maximaler medialer Verbreitung über die „Hurensöhne Mannheims“ her –
und bestätigt seine Position als öffentlich-rechtlich ausgehaltener,
konformistischer Pausenclown. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth,
die Meisterin des feinziselierten Ausdrucks und der präzisen
Gedankenführung, konstatiert im „Marionetten-Song“ einen „plumpen und
gewaltverherrlichenden Pegida-Sprech“.
Ihr grüner Parteikollege Volker Beck hat sogar „Tatbestandsmerkmale
von Volksverhetzung“ ausgemacht. „Im Kern geht es in dem Lied um die
Delegitimierung der parlamentarischen Demokratie.“ Dementiert sich ein
System, das Figuren wie Roth und Beck schon bis in den Vorhof der
Regierungsmacht gespült hat, nicht von ganz allein?
Auch Politiker der Union und der SPD distanzieren sich kraftvoll.
Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) kommt das Verdienst zu, mit
dem Vorwurf an Naidoo und die Söhne Mannheims, „anti-staatliche
Tendenzen“ zu verbreiten, den Kern der Angelegenheit freigelegt zu
haben. Der Künstler hat staatsnahe zu sein und zu akzeptieren, daß seine
Freiheit die des Hofnarren ist.
Eine vergleichbare politisch-mediale Aufmerksamkeit unter den Sängern
hatte zuletzt Wolf Biermann erlangt, als die DDR ihm 1976 wegen
staatsfeindlicher Hetze die Wiedereinreise verwehrte. Da sage noch
einer, Kunst könne nur in Diktaturen politische Brisanz entwickeln, weil
Demokratien sie als Ersatzmedium nicht nötig hätten und alle
Streitfragen in den zuständigen Gremien kompetent, tabufrei und
öffentlich ausgehandelt würden!
Auf dem berüchtigten Kulturplenum des SED-Zentralkomitees 1965, das
die Liberalisierungstendenzen im DDR-Kulturbetrieb abrupt beendete,
schimpfte Staats- und Parteichef Walter Ulbricht: „Ist es denn wirklich
so, daß wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen? Ich
denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles
heißt, ja, sollte man doch Schluß machen.“ Erich Honecker, damals der
zweite Mann im Staate, geiferte, „der Gegner“ locke mit „einer
hektischen, aufpeitschenden Musik, die die moralische Zersetzung der
Jugend begünstigt“.
Auch in Naidoo wird ein Jugendverderber gewittert. Das Vokabular
klingt ganz ähnlich. Ein Musik-Experte hat seine sämtlichen Sündenfälle
aufgelistet. Schon 1999 sei Naidoo „das erste Mal auffällig geworden, da
sagte er in einem Interview, statt für ‘irgendwelche Tiere oder
Ausländer’ agiere er lieber für seine Heimat Mannheim“. Man beachte den
Ausdruck „auffällig geworden“, der dem Polizeijargon entstammt.
Ein anderer Journalist meint, Naidoo gehöre „längst in die rechte
Ecke gestellt“, also mundtot gemacht. Ein Dritter schrieb in einem
offenen Brief: „Für die Zukunft wünsche ich dir allen Boykott, den du
bekommen kannst.“ Blickt man auf die niedlichen Autorenfotos, denkt man
unwillkürlich: So jung noch und schon so verdorben, beflissen, angepaßt!
Marionetten halt. Starke Individuen, Einzelgänger, Querköpfe sind
diesem Typus naturgemäß ein Greuel.
Die Boykottbewegung läuft sich warm. Den Anfang hat Radio Bremen, der
Staatssender des rot-grünen Chaos-Landes, gemacht und die Präsentation
von zwei Konzerten der Söhne Mannheims und Xavier Naidoo in Bremen
storniert. Immer schneller dreht sich das bundesdeutsche
Denunziationskarussell, werden Volksfeinde namhaft, dingfest und
unschädlich gemacht. Argumente und Appelle an die Fairneß helfen nicht,
denn es handelt sich um ein pathologisches Verhalten, das
politisch-historische Ursachen hat.
Im Gedicht „Artikel 3“ von Alfred Andersch aus dem Jahr 1976 heißt
es: „ein volk von ex-nazis und ihren mitläufern betreibt schon wieder
ihren Lieblingssport die hetzjagd auf kommunisten sozialisten humanisten
dissidenten linke“. Andersch spielte auf die Praxis der Berufsverbote
an. Sie gehört zur Geschichte des Kalten Krieges, in dem die zwei
feindlich aufeinander bezogenen deutschen Staaten im eigenen Haus die
vermuteten Parteigänger des jeweils anderen bekämpften.
Als Andersch das Gedicht verfaßte, hatte der Wind sich allerdings
längst zu drehen begonnen. Der Antifaschismus, dieser wichtigste
Legitimationsgrund der DDR, wurde nun auch in der Bundesrepublik
kulturell hegemonial, was an der von Andersch festgestellten,
postnazistischen Mitläufer-Mentalität nichts änderte. Wie ja auch in der
DDR der Antifaschismus bestens mit der totalitären Stasi-Mentalität
harmonierte.
Beide Antifa-Varianten fanden im wiedervereinten Land nach einigen
Irritationen zu einer aggressiven Synthese zusammen. Drei der fünf
Verfolgtengruppen in Anderschs Gedicht betätigen sich heute als
Verfolger, die Humanisten sind indifferent, während die dissidenten
Jagdopfer auf der Rechten zu finden sind. Schon in Kürze könnte Naidoo
dazugehören. Thorsten Hinz
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