Auf der Webseite von openDemocracy widmet sich ein Beitrag dem in chinesischen online-Foren vagabundierenden Terminus baizuo (白左),
"or literally the 'white left'" (ich danke Leser *** für den Hinweis).
Der Begriff sei erstmals vor etwa zwei Jahren aufgetaucht und gehöre
inzwischen zu den am meisten gebrauchten "derogatory descriptions for
Chinese netizens to discredit their opponents in online debates". In
China kann also jemand geschmäht werden, indem man ihn als "weißen
Linken" bezeichnet – ist das nicht skurril? – bzw. diesem Menschen
vorwirft, wie ein solcher zu argumentieren. Aber selbstredend findet die
für Langnasen ungewöhnliche Verbindung eines schlimmen Wortes mit einem
Gutwort vornehmlich auf sie selber Anwendung, insofern sie eben der
Kategorie "white left" zugeordnet werden.
Doch wer gehört in diesen edlen Kreis? Eine online-Portal stellte die Frage und bekam zur Antwort, das Wort baizuo werde
gemeinhin verwendet, um diejenigen zu beschreiben, die sich um "Themen
wie Immigration, Minderheiten, LGBT und Umwelt" kümmerten und "keinen
Sinn für die wirklichen Probleme in der Welt" besäßen; "heuchlerische
Humanitaristen", die sich für Frieden und Gleichheit einsetzten, "um ihr
Gefühl moralischer Überlegenheit zu befriedigen". Wer "white left"
sage, referiert der Autor des Artikels, insistiere auf ein Symptom
"westlicher Schwäche". Texte des Tenors "The white left are destroying
Europe" seien im chinesischen Netz weit verbreitet.
Im Mai 2016 bezeichnete Amnesty International China als "the most welcoming country for refugees". Die Pekinger Global Times
fragte ihre Leser, was sie von dieser Aussage hielten, und das Ergebnis
war das genaue Gegenteil: 90,3 Prozent sagten "Nein" zu der Frage
"Würden Sie Flüchtlinge in ihrem eigenen Haushalt akzeptieren?", 79,6
Prozent lehnten "Flüchtlinge in ihrer Stadt oder Nachbarschaft" ab.
Viele Netizens hielten die Amnesty-Behauptung für den "Teil
einer ausländischen Verschwörung mit dem Ziel, die chinesische Regierung
unter Druck zu setzen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen".
Die
Karriere des Begriffs, heißt es weiter, hänge mit der europäischen
"Flüchtlingskrise" zusammen, und Angela Merkel "was the first western
politician to be labelled as a baizuo for her open-door refugee
policy. Hungary, on the other hand, was praised by Chinese netizens for
its hard line on refugees, if not for its authoritarian leader." Ein
zweiter – ebenfalls abfälliger – Titel, der neben baizuo benutzt werde, sei shengmu (圣母),
was soviel wie "heilige Mutter" bedeute. (Die Chineser blicken durch;
in Deutschland beschreibt diese Chiffre praktisch die einzige
Alternative zur Realpolitik.) Doch auch Obama und Mrs. Clinton habe man
den Ehrentitel baizuo verliehen. Trump indes "was taken as the champion of everything the ‘white left’ were against, and baizuo critics naturally became his enthusiastic supporters".
Bezeichnend
ist folgender Passus: "Viele chinesische Studenten und Jobsucher in
Europa halten es einfach für unfair, dass sie 'so hart arbeiten müssen,
um bleiben zu dürfen, während diese Flüchtlinge einfach kommen und Asyl
beanspruchen'." Aus der innenpolitischen Perspektive liege die Anti-baizuo-Haltung
auf einer Linie mit dem brutalen Pragmatismus im postsozialistischen
China, wo Darwins "logic of 'survival of the fittest'"gelte (ich will
freilich nicht müde werden, darauf hinzuweisen, dass Darwins Modell
keineswegs so simpel angelegt ist und eben auch "the choice of beauty",
die für ihn quasi schon im Vogelreich beginnende Kulturfähigkeit,
einschließt). In China gelte der Grundsatz, dass jeder für seine Misere
verantwortlich sei und jeder sich selber helfen müsse.
Beim online-Dienst Weibo
– quasi dem chinesischen Pendant zu Facebook – wurde ein akademischer
Essay mehr als 7000mal geteilt, dessen Verfassers, ein "fantasy lover
Mr. Liu", die europäische Philosophie "von Voltaire und Marx zu Adorno
und Foucault" mit den "white left" als Abschluss eine "geistige Epidemie
auf dem Weg zur Selbstvernichtung" nennt. So nah ist uns das Reich der
Mitte!
(Den gesamten Artikel finden Sie hier.)
Wenn
man jetzt einen Kameraschwenk auf das chinesische Engagement in Afrika
macht, offenbart sich das europäische Dilemma in aller Deutlichkeit. Die
Chinesen investieren, kaufen Land und Rohstoffe, beschäftigen die
Einheimischen zu niedrigen Löhnen, treiben also eine Art
Kolonialkapitalismus zum eigenen Nutzen, bei dem für die Einheimischen
einiges abfällt. Die (West-)Europäer haben zuerst jahrzehntelang mit
ihrer Entwicklungshilfe vor allem afrikanischen Diktatoren deren
Schweizer Bankkonten gefüllt, jetzt importieren sie im großen Stil und
unter Beteiligung z.B. der Bundeswehr als staatliche
Schlepperorganisation sogenannte Flüchtlinge aus Afrika und dem Orient,
für deren Versorgung die einheimische Bevölkerung aufkommen muss. Statt
auf dem schwarzen Kontinent zu investieren und Afrikanern dort, wo sie
leben und in einem gewissen Sinne auch hingehören, Jobs zu verschaffen,
holen europäische Regierungen mit shengmu an der Spitze
afrikanische Analphabeten nach Europa, damit die Europäer für sie
arbeiten. Praktisch findet ein umgekehrter Kolonialismus statt, die
Europäer penetrieren nicht mehr, sondern lassen sich penetrieren, was
sich hierzulande am besten mit dem Personalwechsel von Bismarck, Moltke
oder Hindenburg zu Mutti, Flinten-Uschi und Volker Beck verdeutlichen
lässt.
China aber, das Land in dem vor hundert Jahren an den
Parks von Shanghai noch Schilder standen "Zutritt für Hunde und Chinesen
verboten!" – wer hat’s erfunden? Die Deutschen waren's nicht –, das in
den Opiumkriegen kolonialiserte, von den Angelsachen tief gedemütigte
China ist augenscheinlich nicht schulddurchglüht und willens, denselben
Weg zu gehen. Vielleicht, Genossen, ist es an der Zeit, das alte
Kampflied neu zu intonieren: "Der Osten erglüht, China ist jung!" Auch
wenn dort keine Kulturrevolutionen und Massenmorde mehr stattfinden,
sondern nur die "Kompetenzfestungen" (Gunnar Heinsohn) der Zukunft
errichtet werden. Niemand soll meinen, ich wünschte, in eine davon
einzuziehen. Aber das Epöchlein des Optativs, die bundesrepublikanische
Märchenwelt der Wünschbarkeiten, könnte bereits weit hinter uns liegen.
***
Leser *** bemerkt zu meinem Beitrag vom 11. Mai:
"Sie zitieren dort den Text des Songs 'Kill all the white man' der Punk-Götter meiner Jugend (in den guten alten 1990igern).
Nun
muss man deren Musik nicht mögen, kann über den künstlerischen Wert
streiten und das Werk dieser Rüpel gerne auch gar nicht erst als Musik,
sondern als Krach einordnen (letzteres tue ich nicht – zu viele
Jugenderinnerungen sind damit verbunden!). Erst recht muss man die
politischen oder gesellschaftlichen Ansichten der Krachbrüder nicht
teilen (was ich nie getan habe).
Dennoch möchte ich zur Ehrenrettung
der Band darauf hinweisen, dass der besagte Song ganz offensichtlich
Satire ist, was schon der grammatikalisch falsche Titel ('man') und der
Gesang mit aufgesetztem jamaikanischem Akzent nahelegt. Es gibt von der
Band verschiedene antirassistische Songs (bei Linken ja sehr beliebt),
diese geraten aber m.E. nie auf die anti-weiße (= rassistische) Schiene,
sondern wenden sich schlicht gegen einen Stolz auf die eigene Rasse
(egal welche), z.B. in 'Jaundiced Eyes' (1989):
'Black is beautiful, white is so pure
Can you see a difference? all I see's a blur
Is one color a virtue how can you be sure
Ignorance the disease education the cure
So how can you say that your proud of your race
Proud of your gender
Or proud of your faith'
Als weiteres Beispiel möchte ich 'Don't call me white' (1994) anführen, dessen Botschaft im Kern lautet:
'So go ahead and label me
An asshole cause I can
Accept responsibility, for what I've done
But not for who I am'
Der
langen Rede kurzer Sinn: Der Imperativ 'Kill all the white man' ist
natürlich keinesfalls wörtlich gemeint – ganz im Gegenteil! Eine andere
Frage ist, welches Textverständnis die mitgrölenden Festivalbesucher
gehabt haben mögen."
***
"SPD
stellt zweiten Martin Schulz auf" ("mit 200 Prozent Zustimmung");
"Neuer Skandal-Vorfall bei der Bundeswehr: Xavier-Naidoo-Brille in
Yassir-Arafat-Kaserne gefunen": Bernd Zeller bleibt verlässlich auf
kathartische Weise komisch (hier).
***
Bezugnehmend auf das heutige Zitat aus openDemocracy:
"Viele chinesische Studenten und Jobsucher in Europa halten es einfach
für unfair, dass sie 'so hart arbeiten müssen, um bleiben zu dürfen,
während diese Flüchtlinge einfach kommen und Asyl beanspruchen'.”
schreibt Leser ***:
"Das gilt nicht nur für Chinesen. Ich hab
viel mit Japanern zu tun (meine Frau ist Japanerin), und alle, mit denen
ich darüber gesprochen habe, denken genau so. Das böseste Beispiel: ein
Japaner hat in DE eine Schreinerei eröffnet und Leute eingestellt,
Deutsche. Er hat Arbeitsplätze geschaffen. Er zahlt Steuern und Abgaben
bis zum Abwinken. Dennoch muss er seine Aufenthaltserlaubnis jährlich
verlängern lassen, ohne einen Rechtsanspruch darauf zu haben. Falls sein
Betrieb mal nicht mehr läuft und er auf Transferleistungen angewiesen
sein sollte, droht ihm die Ausweisung. Und natürlich wird das Land NRW
eher ihn ausweisen statt irgendwelche kriminellen Libanesen, einfach
weil von ihm dabei keinerlei Gefahr ausgeht."
Und schickt diesen sowie jenen erläuternden Link. MK am 16. 5. 2017
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