Von den vielen Problemen, die Israel hat, ist die Demographie ein besonderes und strukturelles. Über 20 Prozent der Israelis sind heute Araber – deren Anteil an der Gesamtbevölkerung steigt seit der Staatsgründung stetig. Von den israelischen Arabern sind die meisten Muslime, es gibt auch christliche und drusische Minderheiten. In einigen Regionen Nordisraels stellen Araber sogar die Bevölkerungsmehrheit. Auch im Bereich der Negev-Wüste und in Jerusalem ist ihr Bevölkerungsanteil hoch. Da Israel sich explizit als jüdischer Staat definiert, stellen nichtjüdische Bürger in gewisser Weise ein Paradox dar. Doch im Lauf der Jahrzehnte hat sich ein modus vivendi entwickelt – über alle Widersprüche und Gegensätze hinweg haben sich für viele Einzelprobleme immer wieder Lösungen gefunden. Die Araber, auch die Muslime unter ihnen, haben ihren festen Platz in der israelischen Gesellschaft, auch wenn sich die Mehrheit der Araber weiterhin als Bürger zweiter Klasse fühlt.
Arabische und muslimische Abgeordnete sitzen in der Knesset, dem israelischen Parlament. Darunter auch Frauen und schon vor Jahren wurde der erste arabische Minister ernannt. Araber fungieren als israelische Botschafter und als Richter. Seit Juni 2021 gehört sogar erstmals eine arabische Partei der Regierungskoalition des konservativen Ministerpräsidenten Naftali Bennett an – ein Tabubruch.
Die Drusen, eine geheimbundartige Sekte mit Wurzeln im Schiitentum, die um das Jahr 1000 entstand, haben am wenigsten Schwierigkeiten, sich mit Israel zu arrangieren. Ihre Identität ist nicht panarabisch und auch nicht wirklich islamisch – sie definieren sich durch die Zugehörigkeit zur eigenen, verschworenen Gemeinschaft.Nachdem es ihnen früher oft gelang, sich in gebirgigen Rückzugsgebieten von den Großmächten, die den syrischen Raum kontrollierten, fernzuhalten, haben sie sich in den Ländern, in denen Drusen als Minderheiten leben – Libanon, Syrien und Israel – inzwischen auch politisch positioniert und im jeweiligen nationalen Kontext eine Rolle gefunden.
Für die Muslime vor allem, aber auch für viele Christen unter den israelischen Arabern, ergab sich ein Spannungsfeld zwischen Loyalität zu Israel und Verbundenheit mit der palästinensischen Sache – sind doch alle israelischen Araber auch Palästinenser. Ein arabischer Abgeordneter formulierte, sein Land lebe im Krieg mit seinem Volk. So war das Miteinander der jüdischen Israelis und ihrer muslimischen Mitbürger oft ein steiniger Weg, oft sogar stürmisch. Die Intifada, ein arabischer Wahlboykott und israelische Aktionen im Libanon führten immer wieder zu krisenhaften Entwicklungen. Die israelische Westbank- und Gaza-Politik spiegelte sich in der Haltung der israelischen Araber wider und führte in Folge zu ernsthaften Spannungen.
Die israelische Armee (IDF) ist eine Institution, in der jüdisch-muslimische Spannungen besondere Relevanz entfalten, da diese Armee immer wieder in akute polarisierende Konflikte mit arabischen Nachbarn verwickelt ist – wie beispielsweise im Mai 2021 in einen erneuten Gaza-Krieg. Dieser führte zu gewaltsamen Konflikten innerhalb Israels und stellte das friedliche Miteinander jüdischer und muslimischer Staatsbürger auf eine harte Probe.Das geschah vor dem Hintergrund einer zunehmenden Zahl von israelischen Muslimen, die sich für den Wehrdienst in der israelischen Armee interessieren, wie laut der „Jerusalem Post“ aus neuen Armeestatistiken hervorgeht. Diese Zahl bewegt sich zwar auf einem bescheidenen Niveau , zeigt jedoch seit Jahren steigende Tendenz – von 436 muslimischen Soldaten, die 2018 in die israelische Armee eintraten über 489 in 2019 auf 606 im Jahr 2020. Auch die Zahl der Muslime, die ihren Dienst abbrachen oder unerlaubt vom Dienst fernblieben, ist in diesem Zeitraum zurückgegangen.
Schon seit jeher sind Drusen in den israelischen Streitkräften präsent – einige von ihnen haben bereits Generalsrang erreicht. Neu allerdings ist das zunehmende muslimische Interesse am Dienst bei der IDF. Eventuell ist diese ansteigende Tendenz Resultat einer Werbekampagne. Die israelische Armee hat gezielt arabische Beduinen angesprochen, die in den letzten Jahren sesshaft gemacht wurden und mehr an Staat und Gesellschaft herangeführt werden sollen. Hierbei soll der Dienst in der IDF helfen, zumal die Muslime einen hohen Anteil junger Menschen aufweisen und ihre Anbindung an den Staat, in dem Muslime einen immer höheren Prozentsatz an der Gesamtbevölkerung stellen, zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Denkbar wäre auch, dass unter den Bedingungen der Covid-19-Epidemie
die Armee als sicherer Arbeitsplatz mit guter medizinischer Versorgung
attraktiv ist, wenn auch die Zunahme muslimischer Soldaten ja bereits
2019 eingesetzt hatte. In Israel unterliegen Muslime nicht der
Wehrpflicht, können sich jedoch freiwillig bei der IDF bewerben. Es
bleibt abzuwarten, wie sich die Entwicklung im Jahr 2021 , dem Jahr
eines neuen Gaza-Konflikts, der die Gesellschaft Israels schwer belastet
hat, gestaltet. Möglicherweise trifft die Hamas-Politik auch bei
israelischen Muslimen auf immer weniger Verständnis und Zustimmung. Tagespost
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