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Mittwoch, 25. Oktober 2023

In memoriam Gunnar Kaiser

Seine Stimme konnte hypnotisieren. Das wussten seine Schüler, und später, nachdem er eine Medienpersönlichkeit geworden war, seine zahlreichen Fans. Mehr als eine Viertelmillion Abonnenten folgten seinem Kanal „Kaiser TV“ auf Youtube. Das ist eine für den deutschsprachigen Raum stupende Zahl, zumal er dort keine Katzenvideos und Lifehacks verbreitete, sondern philosophische Erörterungen. Trotzdem gibt es auf Wikipedia für Gunnar Kaiser keinen Eintrag. Jedenfalls nicht auf Deutsch. Man kann sich höchstens an einem von Antipathie und Falschinformation getränkten Artikel in der englischsprachigen Wikipedia orientieren. 

Als wir einander kennenlernten, war Gunnar noch Studienrat an einem Kölner Gymnasium. Er hatte einen Roman geschrieben und wollte sein Deutschlehrerdasein hinter sich lassen. Nebenher arbeitete er für die „Neue Zürcher Zeitung“, die „Welt“ und die „Jüdische Allgemeine“. Doch dann senkte sich unvermittelt der Corona-Kult über unsere Gegenwart, und der lockere Habitus des Literaten wich einer tief empfundenen Weltverzweiflung, die gar nichts mehr von dem Gestus des Bohemiens hatte, der Gunnar auch war. 

Die erste Konsequenz bestand darin, dass er seine Beamtenstelle kündigte, weil er den Gewaltakt, mit dem Schüler zum Maskentragen während des Unterrichts gezwungen wurden, nicht hinnehmen, geschweige denn selber vornehmen konnte. Gleichzeitig erlangte er durch die steigenden Einschaltquoten seiner Videos nicht nur finanzielle Unabhängigkeit, sondern wurde zu einem wirklichen Star des Widerstands. Als Filmemacher entfaltete er eine kaum menschenmögliche Produktivität, reiste kreuz und quer durch Europa, drehte Interviews mit prominenten Kritikern des laufenden Staatsverbrechens, erwies sich auch als wortgewaltiger Alleinredner mit einem soliden philosophischen Background und zugleich als talentierter Satiriker, der Szenen von umwerfender Komik spielte. 

Das Publikum erlebte eine Künstlerpersönlichkeit im Vollbrand: einen kämpferischen Intellektuellen, einen witzigen Entertainer und einen perfekten Frauenschwarm, denn Gunnar Kaiser war ein schöner Mann mit einer, wie gesagt, hypnotischen Stimme. Er nutzte auch die neuen Möglichkeiten der Medientechnik auf seine souveräne Weise, organisierte Liveübertragungen per Youtube, in denen er rotweintrinkend mit seinen Zuschauern interagierte, die ihm per Kommentarfunktion Fragen stellen konnten. Ein Höhepunkt war die Silvestersendung vor zwei Jahren: eine One-Man-Show, wie sie kein öffentlich-rechtliches Format jemals zustande brachte – geistvolle und zugleich unterhaltsame Minimal Art. 

Mit der düsteren Erkenntnis, dass der Pandemieterror viel tiefer geht und länger dauert, als es sich selbst der luzide Denker Gunnar Kaiser vorzustellen vermocht hatte, orientierte er sich weg vom großen Publikumserfolg zur Rückzugsidee einer kleinen, fast klösterlichen Gemeinschaft. Er gedachte, ein Landgut in Italien zu kaufen, wo er mehr als Guru denn als Superstar Menschen um sich scharen wollte, die philosophische Gespräche und spirituelle Erlebnisse suchten. Diesen Plan stoppte die Diagnose seiner Krebserkrankung jäh. Die Nachricht davon verbreitete er selbst, sprach seine Erwartung und Verzweiflung direkt in die Kamera, versteckte auch nicht die Zeichen der Chemotherapie: den kahlen Kopf und das ausgezehrte Antlitz. Er wusste, dass er, der das Philosophieren stets mit einem fröhlichen, fast jugendlichen Touch gepflegt hatte, sich jetzt der Wahrheit des Satzes von Michel de Montaigne aus dem 16. Jahrhundert fügen musste: Philosophieren heiße sterben lernen. 

Als die Öffentlichkeit am Montag von seinem Tod erfuhr, lag dieser schon zwei Wochen zurück. Ein bemerkenswerter Umstand bei jemandem, der immer die Publizität gesucht und genossen hatte. Man kann dieses Embargo, ob er es selbst verfügt hat oder nicht, als einen Versuch deuten, dem Schicksal wenigstens ein kleines bisschen seiner Macht abzutrotzen – die Macht über den Zeitpunkt der Mitteilung. 

Wir Empfänger der Mitteilung sind aber betäubt und betroffen darüber, dass Gunnar den üblen Lauf der äußeren Dinge nicht mehr mit seiner geschliffenen Kritik und seinem kreativen Spott begleitet. Gestorben ist ein Kämpfer für freie Debattenräume, ein Märtyrer der wildgewordenen Vernichtungslust eines verkommenen Establishments von Mainstreampresse bis Friedrich-Naumann-Stiftung – ewig unvergessen sind die widerwärtigen Versuche, ihn wegen seines schlichten Zweifels an der politischen Orthodoxie zum rechtsextremen Corona-Leugner zu machen. Und gestorben ist auch, das soll nicht unerwähnt bleiben, ein junger Vater.    Burkhard Müller-Ullrich

 

Leider zählte ich nicht zu den engeren Vertrauten Gunnar Kaisers: Wir kannten uns vor allem aufgrund einiger Interviews, die er in den letzten Jahren mit mir geführt hat, und in deren Folge wir uns über Gott und die Welt ausgetauscht haben. Selten habe ich die relative Oberflächlichkeit unserer Bekanntschaft so sehr bedauert wie vorgestern, als ich von seinem Tod erfuhr: So vieles beginnen wir in dem leichtfertigen Glauben, es eines Tages beliebig fortführen zu können; und erst, wenn das Schicksal zuschlägt, wird uns auf einmal bewusst, welche Gelegenheiten wir ungenutzt haben verstreichen lassen.

Wenn ich den Vorschlag trotzdem angenommen habe, hier eine kurze Würdigung zu versuchen, so auf der einen Seite in dem vollen Bewusstsein, dass es weitaus Berufenere als mich gibt, auf der anderen Seite aber auch aus dem Wunsch heraus, ihm zumindest durch diesen letzten Dienst stellvertretend für so viele andere Leser und Zuhörer die Botschaft mit auf dem Weg ins große Unbekannte mitzugeben, dass ich ihn sehr mochte und es als Ehre empfunden hätte, ihm näher vertraut sein zu können, als ich es durfte.

Ich bitte nicht um Entschuldigung dafür, einen Nachruf mit einem eher persönlichen Exkurs begonnen zu haben, denn dieser scheinbare Umweg führt uns vielmehr mitten ins Thema: Gunnar Kaiser war ein Mensch, der andere berührte, eine Präsenz, die den anderen durch seine unbedingte Aufrichtigkeit dazu einlud, ja geradezu dazu zwang, sich als das zu offenbaren, was er wirklich ist – mit seinen Licht- wie auch seinen Schattenseiten. Und wenn sein Tod im Netz gegenwärtig so viele ehrliche Ausdrücke von Mitgefühl, Trauer und Leid von Seiten unzähliger Menschen hervorruft, für die Gunnar Kaiser doch konkret gesehen eigentlich nur eine Stimme aus einem Lautsprecher, eine Hand hinter einer Aneinanderreihung von Buchstaben und ein Farbfleck auf einem Bildschirm hätte sein sollen, so liegt dies nicht nur daran, dass eine wichtige Stimme verstummt ist, sondern vor allem daran, dass ein wahrer Mensch verschwunden ist, dem andere sich wirklich und innerlich verbunden fühlten.

Wenn ich etwas mit Gunnar Kaiser assoziiere, so ist es der Begriff der absoluten Aufrichtigkeit – gerade heute eine überaus selten gewordene Qualität. Kaiser machte es sich niemals einfach; er wählte niemals die argumentative Abkürzung, die rhetorische Blendung, die sophistische Rechthaberei: Er wollte den Dingen in völliger Ehrlichkeit und als wahrer Philosoph auf den Grund gehen und ließ sich dabei einerseits immer wieder ehrlich auf die Argumentation des anderen ein, stand aber andererseits auch felsenfest zu dem, was er selbst als wahr erkannt hatte – und bezahlte für seine Überzeugung, wenn nötig, mit dem, was gemeinhin der „gute Ruf“ genannt wird.

Ob es nun um Cancel Culture, Politikversagen, Meinungsfreiheit, Covid-Lügen, Abendland oder Gott ging: Immer wieder zeichnete er sich durch Kohärenz, Folgerichtigkeit und Ehrlichkeit aus; und wenn dies bedeutete, dass man in exakt denselben Medien, die heute lauwarme Nachrufe auf den Verstorbenen veröffentlichen, vollmundig erklärte, man müsse jemanden wie Kaiser fortan ausgrenzen und dürfe ihm keinerlei öffentliches Forum mehr für seine Überlegungen bieten, so nahm er dies im wahrsten Sinne des Wortes stoisch hin: Was er als Wahrheit empfand, war ihm wichtiger als seine eigene Person – so sehr er auch psychisch und zweifellos auch gesundheitlich darunter gelitten haben wird.

Besonders berührt hat mich Kaisers letzter Weg, seitdem er von seinem nahen Ende erfahren musste, und dabei nicht nur die ruhige und offene Gelassenheit, die er sich in jenen stillen und einsamen Kämpfen errungen hatte, von denen wohl nur seine Frau, seine Kinder und seine Allernächsten wussten, sondern auch und vor allem die Tatsache, dass er sich in jenen letzten Monaten den Weg zu Gebet und Transzendenz eröffnet hatte. Und mehr noch: Dabei hat er nicht etwa, wie nur allzu verständlich und natürlich gewesen wäre, das Gefühl für seine öffentliche Verantwortung in den Wind geschlagen, sondern vielmehr seine Stellung bei seinen vielen Lesern und Zuhörern dazu genutzt, seine Freunde auch an seiner letzten und größten Reise teilhaben zu lassen und noch den Tod zum Anlass zu nehmen, in großer Würde und Einfachheit zu philosophieren, letzte Fragen zu stellen und vor allem Antworten zu geben: Über Kaisers letzte Monate schwebte zumindest für den Außenstehenden eine Art heitere Phaidon-Stimmung, wie man sie im 21. Jahrhundert eigentlich völlig ausgestorben zu sein glaubte.

So werde ich es mir immer als eine besondere Ehre anrechnen, im Mai 2023 einer seiner letzten öffentlichen Gesprächspartner gewesen sein zu dürfen. Selten habe ich ein solches Interview erlebt, sowohl, was die Vor- und Nachbereitung betrifft, als auch die eigentliche Diskussion: Kaiser hatte aus seiner unmittelbaren Erfahrung der letzten Dinge wie niemand, mit dem ich bisher sprechen durfte, verstanden, dass alle politischen, sozialen, wissenschaftlichen, kulturellen oder wirtschaftlichen Erwägungen wenig mehr sind als ein vorübergehender eitler „Windhauch“, wenn sie nicht immer wieder rückgebunden werden an das einzig Wichtige: das Wahre, Gute und Schöne, das man auch als Gott oder Transzendenz bezeichnet. Dies, und nichts anderes, ist echter Konservatismus.

„Habe ich genug getan?“, lautet daher auch der Titel des wohl berührendsten unter den vielen Videos Gunnar Kaisers, in dem dieser ganz offen über den Satz reflektiert, demzufolge philosophieren heißt, sterben zu lernen. Ja, Gunnar, Du hast genug getan, für Dich und uns alle, und es wird hier wie dort nicht vergessen werden.   David Engels

"Wir haben die Pflicht, heilig zu sein". Josemaría Escrivá de Balaguer y Albás

"Vergiss deine Beweisführung. Nicht deiner Predigt höre ich zu, sondern deiner Stimme". Nicolás Gomez Dávila

 "Ich wandele in der Finsternis. Aber mich führt der Duft des Binsenginsters". Nicolás Gomez Dávila

 

Auch Martin Lichtmesz würdigt Gunnar Kaiser

 

 

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