„Apperzeptionsverweigerung“ ist das Wort zur Lage. Die Lage kennen wir alle: Da ist eine virale Pandemie, die – so sagen uns die Medien – die Menschheit beinahe ausgerottet hätte; aber wenn wir in unserem Umfeld nach Anzeichen der Pandemie suchen, finden wir keine. Da ist eine Klimakatastrophe samt Erderhitzung; aber wenn wir aus dem Haus gehen, finden wir nichts als den gewöhnlichen Sommer, vielleicht etwas verregneter und kälter als zumeist. Da ist ein amerikanischer Präsident, von dem man uns vier Jahre lang sagt, er sei geistig voll auf der Höhe; aber wer genau hinsah, konnte vier Jahre lang das Fortschreiten einer Demenz beobachten. Und da ist ein Boxer, von dem es heißt, er sei eine Frau; aber es gelingt uns nicht, an ihm die körperlichen Merkmale einer Frau zu finden, und niemand kann uns erklären, warum wir eine Person mit XY-Chromosomen für eine Frau halten sollen. Das ist die Lage. Es ist die Lage einer überall rasch um sich greifenden Wirklichkeitsverkennung, an der zahllose Medien und die allermeisten Parteien zu laborieren scheinen wie an einer Grippe, die sie nicht mehr loswerden und die sie im Fieberwahn gefangen hält. In diesem Fieberwahn glauben sie unverdrossen, sie könnten uns eine zweite Wirklichkeit aufnötigen, in der Männer Frauen, Demente wirklichkeitskompetent, der normale Sommer eine Katastrophe und ein virales Beinahe-Nichts eine letale Krankheit ist.
In der Welt des medial-politischen Fieberwahns gilt das alles als richtig, weil man meint, dass alles, was wir wahrnehmen, durch unsere Sinne verfälscht wird und auf die Verfälschung durch die Sinne noch die Verfälschung durch die Sprache dazukommt. Denn Sprache, so sagt man uns, ist nicht nur historisch gewachsen, sondern im Mund alter weißer Männer auch ein Machtinstrument zur Durchsetzung einer altweißmännischen Weltsicht. Wir stecken daher, so heißt es, in einer zweiten Wirklichkeit fest, die eine machtpolitische Lügenwelt ist; das alles können wir nur ändern, wenn wir die Macht der alten weißen Männer und ihre Sprache abschütteln. Dann kommen wir zwar immer noch nicht aus der zweiten Wirklichkeit heraus, aber es wäre eine zweite Wirklichkeit mit weniger Lüge, eine freundlichere und sensiblere Wirklichkeit, in der die Opfer der alten weißen Männer mehr zu sagen hätten.
Heimito von Doderer, der große österreichische Romancier, hat das hier skizzierte Verhältnis zur Welt „Apperzeptionsverweigerung“ genannt. Er meinte damit die Weigerung, die Welt und die Dinge und die Lebewesen in der Welt so wahrzunehmen, wie sie von sich her sind. Möglichst unverfälscht. Damit opponierte er gegen die gesamte moderne Philosophie seit Kant, die uns Mal um Mal erklärt, dass die Wirklichkeit als solche uns nicht zugänglich sei. Doderer sah es anders, und in diesem Anderssehen wusste er sich in einer Traditionslinie, die über Thomas von Aquin auf Aristoteles zurückgeht und erst in der Moderne beiseitegeschoben wurde. In dieser auf die Seite geschobenen Traditionslinie erkennen wir die Welt, wie sie ist, wir sehen die Grippe als Grippe, den Sommer als Sommer, Demente als Demente und Boxer als Boxer. Wir sehen immerzu etwas als etwas und jemanden als jemanden. Aber wir sehen nicht immer genau. Uns entgeht dieses oder jenes. Um genauer zu sehen, müssen wir daher lernen, genauer hinzuschauen. Dann sehen wir die Verlaufsform einer Demenz oder die körperlichen Merkmale eines Mannes. Und je mehr wir hinschauen, desto genauer erkennen wir, was wirklich ist.
Das alles ist zuletzt keine Frage der Theorie, sondern der Wahrnehmung. Was es daher braucht, um nicht auf den Abweg der „Apperzeptionsverweigerung“ zu geraten, ist eine Schulung der Wahrnehmung: Es braucht die Mühe des Sich-Einlassens auf Gegenstände und Lebewesen, es braucht einen meditativen Weg, der an die Stelle leichtfertiger Schlagwörter und falscher Abstrakta so viel Konkretes in die Sprache zurückbringt, wie sich meditativ erfahren lässt. Das ist Arbeit, Arbeit an der Wahrnehmung und an der Sprache. Ihr Gegenteil ist die Faulheit der „Apperzeptionsverweigerung“, die wir seit Jahren überall am Werk sehen, wo wieder einmal versucht wird, uns ein X für ein U vorzumachen. Dazu muss man weder etwas wissen noch etwas wahrgenommen haben noch sprachkompetent sein. Man muss in seiner Faulheit nur fähig sein, sich selbst und andere zu betrügen. „Apperzeptionsverweigerung“ ist das Wort für die faule Lage, in der wir sind. Uwe Jochum
Beim Speisen
KPM will jetzt unbedingt geschmacklos sein!
Man möchte ja nicht nachtragend sein, selbst Nichtchristen möchten das nicht immer; aber es gibt eben für alles Grenzen.
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